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Schweinfurt
"Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen": CSU-Landtagsabgeordnete Martina Gießübel über ihr erstes Jahr und die neuen Krisen
Von der Transformation der Industriebetriebe bis zu den Sorgen der Bürger vor Ort: Was sind die Schwerpunkte der Grafenrheinfelder Abgeordneten.
Am 8. Oktober 2023 wurde Martina Gießübel zur CSU-Landtagsabgeordneten gewählt als Nachfolgerin von Gerhard Eck. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen ihres ersten Jahres im Landtag.
Foto: René Ruprecht | Am 8. Oktober 2023 wurde Martina Gießübel zur CSU-Landtagsabgeordneten gewählt als Nachfolgerin von Gerhard Eck. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen ihres ersten Jahres im Landtag.
Josef Schäfer
,  Marcel Dinkel
 und  Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 13.09.2024 02:33 Uhr

Weniger reden, mehr anpacken – das ist das Credo der CSU-Landtagsabgeordneten Martina Gießübel, die den Wahlkreis Stadt und Landkreis Schweinfurt seit Oktober vergangenen Jahres vertritt. Sie folgte dem langjährigen Abgeordneten und Staatssekretär Gerhard Eck nach. Wie viel anpacken, wie viel Veränderung ihr schon gelungen ist, darüber spricht die 54-Jährige im Interview mit dieser Redaktion.

Frau Gießübel, Sie wurden am 8. Oktober 2023 zur Landtagsabgeordneten gewählt, sind nun seit etwas mehr als 300 Tagen im Amt. Wie hat sich Ihr Leben bisher verändert?

Martina Gießübel: Ich bin schon einige Jahrzehnte politisch aktiv und es war in den letzten 20 Jahren immer ein Spagat als Alleinerziehende zwischen Fulltime-Job, Hausaufgaben und ehrenamtlicher Politikarbeit. Mein Sohn ist nun 25 und ich hatte jetzt die Chance, mein Hobby zum Beruf zu machen. Jetzt darf ich die Bürgerinnen und Bürger der Stadt und des Landkreises im Bayerischen Landtag vertreten. Als Mensch habe ich mich nicht verändert. Ich bin, wie ich bin. Anpackend, geradlinig und oft etwas ungeduldig, eine aus dem Volk. Viele sagen zu mir: Bitte bleib genau so, wie Du bist. Eine große Erleichterung ist es, dass ich jetzt zwei zuverlässige Mitarbeiter in meinem Büro habe, die die Termine organisieren und auch inhaltlich zuarbeiten. Es gibt viel zu tun, und ich mache alles mit großer Freude. Meine Bürgersprechstunden werden intensiv angenommen. Ich bin gerne bei den Menschen, höre mir ihre Sorgen an und versuche ihnen zu helfen. Ich halte engen Kontakt zu meiner Fraktionsvorsitzenden im Kreistag, Gabriele Jakob, der Bundestagsabgeordneten Anja Weisgerber, den Bürgermeistern, den Ämtervertretern, Schulen, Vereinen und Organisationen. Das ist sehr zeitaufwendig, aber Grundlage meiner politischen Arbeit. Ich möchte Sprachrohr für alle in München sein.

"Ich möchte Sprachrohr für alle in München sein."
Martina Gießübel
Sie sind im Präsidium des Landtages eine der Schriftführerinnen. Was muss man sich darunter vorstellen?

Gießübel: Es ist mir eine große Ehre dieses Amt auszuführen. Es war ein bisschen Glück dabei, denn das Präsidium wurde nach der letzten Wahl fast komplett neu besetzt. CSU-Bezirkschef Steffen Vogel war spontan und hat mich als "Neue" vorgeschlagen. Als Frau darf man nicht lange fackeln und muss die Chance ergreifen. Das Präsidium ist für alles rund um das Landtagsamt zuständig. Für Baumaßnahmen, Personal, Besuchergruppen, die Auszeichnungen verdienter Bürger und das Pflegen von Kontakten außerhalb Bayerns. Im Frühjahr war ich mit auf Delegationsreise in Quebec in Kanada. Bei den Plenarsitzungen assistiere ich der Landtagspräsidentin, im stündlichen Wechsel mit den anderen Schriftführern. Die Zwischenrufe bei Debatten sind oftmals so laut, dass man den Redner gar nicht mehr versteht. Persönliche Beleidigungen werden mittlerweile mit Bußgeldern geahndet. Die gab es früher nicht und wurden in dieser Amtsperiode eingeführt.

Von welcher Fraktion geht das aus?

Gießübel: Da schenkt sich keine was. Das geht von rechts nach links und von links nach rechts.

Ist die bayerische AfD eine Gefahr für die Demokratie in Bayern?

Gießübel: Bei den letzten Landtagswahlen wurde in Bayern konservativ gewählt und wir haben, zusammen mit den Freien Wählern, einen ganz klaren Wählerauftrag bekommen. Insofern spielt die bayerische AfD bei Entscheidungen keine Rolle. Zu beobachten ist allerdings, dass der Ton schärfer geworden ist. Junge Abgeordneten sind bei diversen Events schon negativ aufgefallen. Die Parolen und Lieder, die da medial veröffentlicht wurden, gehen ganz klar in die rechtsradikale Richtung. Ich war aber nicht dabei und kann nur das bemerken, was ich aus den Medien entnommen habe. Ich bin auch nicht auf deren Social-Media-Seiten unterwegs.

'Wir müssen den Bürgern die Wahrheit sagen': Die CSU-Landtagsabgeordnete Martina Gießübel fordert, dass man die Sorgen der Menschen bezüglich großer Themen wie Migration oder Wirtschaftskrise ernst nehmen und die etablierten Parteien entsprechend handeln müssten.
Foto: René Ruprecht | "Wir müssen den Bürgern die Wahrheit sagen": Die CSU-Landtagsabgeordnete Martina Gießübel fordert, dass man die Sorgen der Menschen bezüglich großer Themen wie Migration oder Wirtschaftskrise ernst nehmen und die ...
Es stellt sich bei manchen Themen die Frage, ob die Wählerinnen und Wähler trotz Versprechungen der etablierten Parteien am Ende nicht lieber doch "das Original" wählen?

Gießübel: Das glaube ich nicht. Wir müssen den Leuten auch die Wahrheit sagen, dass es mit bestimmten Themen nicht mehr so weitergehen kann. Es geht um Migration, Wohnungsmarkt, Wirtschaftskrise, Gesundheitsversorgung. Natürlich ist die Frage, wie weit die Bevölkerung mitgeht, wenn es Einschnitte gibt. Aber wenn die Bevölkerung merkt, man hat einen ehrlichen Umgang mit den Menschen, indem man sie einbezieht, dann funktioniert das. Wir führen sehr viele Fachgespräche, denn die Politik darf nicht von oben herab entscheiden. Die Bürger müssen das Gefühl haben, dass sie mitgestalten können. Ich glaube, wenn wir die Probleme lösen, würde die AfD nicht noch stärker werden. Wir machen genau das Gegenteil, weil wir Themen "soft" bearbeiten, weil wir keinem auf die Füße treten wollen. Aus meiner Sicht ist das der falsche Weg und wir stärken so die politischen Ränder, weil die Politik vom Bürger als handlungsunfähig angesehen wird. Wir haben ein großes Problem mit der Rechtssprechung und eine extreme Überregulierung. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und merke auch die Widerstände in München, vieles dauert mir zu lange. Auch beim großen Thema Migration sind wir abhängig von Bund und EU. Wir haben das Problem, die Geflüchteten unterzubringen und sich entwickeln zu lassen. Aber wir müssen natürlich konsequenter ran, wenn Geflüchtete Straftaten begehen. Denn die, die sich bemühen, hier Fuß fassen wollen, sich in die Arbeitswelt integrieren und ihre Deutschkurse machen, die ziehe ich runter in diesem Sog.

Wir haben gerade in Thüringen und Sachsen gesehen, wie unzufrieden die Menschen mit der aktuellen Bundespolitik sind. Die Ampelparteien wurden brutal abgestraft. Alle Umfragen sagen aber auch aus, dass über die Hälfte der AfD-Wähler Protestwähler sind. Das ist auch mein Empfinden, wenn ich mit den Bürgern spreche. Selbst in meinem Freundeskreis fliegt mir vor allem der Unmut über die Migrationspolitik um die Ohren. "Wir wählen Protest", weil "ihr" nichts ändert, heißt es. Die Menschen in unserem Land möchten kein "Weiter so". Hier sind jetzt die Parteien gefragt, dem Bürger Lösungen zu präsentieren. Es ist ratsam, sich an den Umfragen zu orientieren. Die sagen nämlich aus, was der Bürger fordert, und das sollte uns als Politiker oberster Grundsatz sein, da wir die gewählten Vertreter des Volkes sind. Gelingt uns das nicht, könnten wir bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr unser blaues Wunder erleben!

In den vergangenen Monaten gab es eine Vielzahl negativer Nachrichten für Schweinfurt, Arbeitsplatzabbau an vielen Stellen. Wie beurteilen Sie die Transformation, gerade in der Industrie in Schweinfurt?

Gießübel: Wir haben in der Großindustrie das grundsätzliche Problem, dass keine Verlässlichkeit und keine Planungssicherheit seitens der Bundespolitik besteht. Das wurde mir beim Besuch bei ZF deutlich gemacht. Dazu kommen die hohen Energie- und Rohstoffpreise. China subventioniert den Stahl für seine Betriebe. Somit sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Und auch durch den weiteren Ausbau von Digitalisierung werden Arbeitsplätze verändert. Die Unternehmen unterziehen sich einer ständigen Transformation, um zu überleben. Wir haben auch über alternative Geschäftszweige für die Industrie gesprochen, die ich in München anfragen werde. Arbeitsmarkttechnisch habe ich mich mit der Leiterin der Arbeitsagentur getroffen, um mir einen Überblick zu verschaffen, wie die Unternehmen und auch die Beschäftigten unterstützt werden könnten.

"Wir haben gerade in Thüringen und Sachsen gesehen, wie unzufrieden die Menschen mit der aktuellen Bundespolitik sind."
Martina Gießübel
Was könnte der Freistaat tun für die Industrie?

Gießübel: Die prekäre Situation unserer Schweinfurter Industrie habe ich direkt beim Ministerpräsidenten platziert. Er berief daraufhin einen runden Tisch mit dem Oberbürgermeister, der IHK und mir ein, um Informationen zu bekommen, wie vor Ort mit der Lage umgegangen wird und wie er uns unterstützen kann. Außerdem habe ich den Arbeitskreis Wirtschaft der CSU-Landtagsfraktion Mitte September eingeladen. Hier werden wir zusammen mit den Vertretern der Industrie und den Betriebsräten Perspektiven und Handlungsfelder besprechen. Wir sollten positiv in die Zukunft blicken und nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir können was in Schweinfurt! Alle Kräfte werden jetzt gebündelt. Ein kleines und kompetentes Gremium aus dem Präsidenten der THWS, der IHK, dem Oberbürgermeister und der Finanzreferentin entwickelt gerade ein Zukunftskonzept, das wir dann gemeinsam dem Ministerpräsidenten vorlegen werden. Wir denken hier "groß". Mein Vater sagte immer zu mir: "Mädle, Du musst immer zwei Schritte voraus sein, wenn Du einen zurückgepfiffen wirst, bist Du immer noch einen voraus." Das probieren wir jetzt mal.

"Wir sollten positiv in die Zukunft blicken und nicht den Kopf in den Sand stecken."
Martina Gießübel.
Wie sehr hat Sie ihr Vater, der frühere Grafenrheinfelder Bürgermeister Robert Gießübel, geprägt?

Gießübel: Mein Vater war Familienmensch, Visionär und Gestalter und hatte klare Vorstellungen, die er mit aller Konsequenz durchzog. Seine Bürgernähe fand ich immer klasse. Irgendwie mochten ihn alle. Viele Menschen sagen mir: Du bist wie Dein Vater! Ich denke, die Frage ist somit beantwortet.

Wie groß ist das Erbe Ihres Vorgängers Gerhard Eck oder spielt das für Sie keine Rolle?

Gießübel: Gerhard Eck war ein wunderbarer Vorgänger, der viel bewegt hat und das in seiner ureigenen Art und Weise. Er war mit Leib und Seele Politiker. Wir sind ähnlich gestrickt. Nahe am Bürger, unkompliziert und ungeduldig. Durch seine jahrzehntelange Verantwortung als Bürgermeister, Abgeordneter und Staatssekretär hat er sich ein unglaubliches Netzwerk aufgebaut, das er für all seine Vorhaben eingesetzt hat. Am Aufbau meines Netzwerks arbeite ich intensiv. In München bin ich nicht still. Mir ist es wichtig, mit allen, die mir gegenüber sitzen auf Augenhöhe wertschätzend zu kommunizieren. Da passt wieder ein Spruch meines Vaters: "Mädle, pass auf was Du sagst, der Bumerang kommt immer wieder zurück!"

 
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  • Ottmar Söllner
    Frau Gießübel
    Wenn Sie so nah bei den Bürgern unserer Region sein wollen, dann setzen Sie sich bitte endlich mit all Ihren zur Verfügung stehenden Kräften für eine Reaktivierung der Steigerwaldbahn ein. Die Bevölkerung unserer Region wird es Ihnen mit Sicherheit danken auch über Ihre Amtszeit hinaus.
    Ihr Vorgänger, Herr Eck, hat mit seiner rückwärtsgewandten politischen Einstellung mehr Vertrauensverluste bei den Bürgern erzeugt. (Fettnäpfchenaffären)
    Ergreifen Sie Ihre Chance und holen Sie das verlorene Vertrauen in die Politik wieder zurück, welches Herr Eck hinterlassen hat.
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  • Juergen Ramming
    Frau Gießübel ist eine der wenigen Politiker, denen ich vertraue . Was sie sagt, hat Hand und Fuß. Auch hat sie eine erfolgreiche Vita neben der Politik, die sehr anerkennenswert ist. Und ja, ich vertraue ihr und kann nur sagen, weiter so!
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  • Stefan Fuchs
    "Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen"
    Genau Frau Gießübel!
    Ampel schlecht, CSU gut.
    Komisch nur das das" Auto Deutschland" 16 Jahre von der Union gewartet wurde und wir jetzt vor einem Schrotthaufen stehen.
    16 Jahre Verkehrsminister von der CSU , die den letzten Sargnagel noch in das Unternehmen DB reinschlugen.
    Als Stammkunde dieses Unternehmens sag ich " Vergelts Gott"
    Ach ja, und den Herrn Eck finden sie ja auch toll.
    Dank des ehemaligen Staatssekretärs fahren jetzt tolle Autonome Busse nach Geo(Satire Ende), während in Baden Württemberg Bahnstrecken erfolgreich wieder reaktiviert werden.
    Über Bildung, Bundeswehr ,Infrastruktur ,Migration usw..., will ich erst nix sagen.
    Abendfüllendes Programm.
    Aber schieben Sie den "Schwarzen Peter "ruhig weiter.
    Das führt weiter zu Politikverdrossenheit und die Menschen in die Fänge von Rattenfängern.
    Selbstreflexion wäre das Gebot der Stunde.
    Ich sehe in unserer Region jedenfalls nur Niedergang.

    Beten Sie dagegen.
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  • Manfred Englert
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