Es ist das erste Mal in dem bisher eher abstrakten Prozess, dass das Geschehene greifbar wird, Gesichter bekommt. Die der neun Männer, die an diesem Verhandlungstag am Landgericht Schweinfurt im Zeugenstand sitzen. Sie und vier weitere Arbeiter waren am 15. Juni 2016 gerade mit der Betonage eines 40 Meter langen Abschnittes der Talbrücke Schraudenbach bei Werneck (Lkr. Schweinfurt) beschäftigt, als das Traggerüst in sich zusammenbrach und sie mit in die Tiefe riss.
An diesem Dienstag geht es nicht um Stahl, Beton und Berechnungen, sondern um das menschliche Schicksal des Unglücks, das einen Familienvater das Leben gekostet hat.
Sie hätten ganz normal gearbeitet, sagen die Arbeiter aus. Die meisten von ihnen stammen aus Kroatien, bei dem Unglück wurden sie verletzt. "Von der Sekunde an, als wir den Boden unter den Füßen verloren haben, erinnere ich mich an nichts mehr", berichtet ein 35-Jähriger, eine Dolmetscherin übersetzt. Ein 42-Jähriger sagt: "Dieser Tag ist wie gelöscht." Die Firma, bei der die kroatischen Schreiner beschäftigt waren, war mit der Holzschalung und der Betonage beauftragt gewesen.
Auch wenn die Erinnerungen so gut wie weg sind, schildern die Männer eindrücklich die Folgen des Unglücks für sie. Fast alle konnten seither nicht mehr arbeiten, sind Frührentner. Zwei der Männer hatten lebensgefährliche Verletzungen erlitten und entkamen nur knapp dem Tod. Der 35-Jährige sagt: "Ich kann nicht mehr arbeiten, kann mich nicht mehr bücken." Er habe dauerhafte Einschränkungen, nehme Schmerzmedikamente. Eigentlich nur bei Bedarf - aber der Bedarf sei zwei bis drei Mal täglich.
59-Jähriger berichtet von psychischen Problemen und Suizidgedanken
Auch wenn man den meisten von ihnen die Verletzungen heute äußerlich nicht mehr ansieht: An diesem Verhandlungstag wird ein gezeichneter Mann nach dem anderen in den großen Verhandlungssaal in der Stadthalle Schweinfurt gerufen.
Ein 59-jähriger Ingenieur, der auf der Brücke die Oberfläche des Betons überwacht hatte, berichtet von Ängsten, Albträumen, Suizidgedanken. Als die Vorsitzende Richterin ihn fragt, was passiert sei, damals, beginnt er zu weinen. Und sagt: "Mir geht's psychisch nicht so gut seit dem Unfall, lieber wäre ich tot." Ihm wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Dass er nicht mehr als Ingenieur arbeiten könne, belaste zusätzlich.
Während er eindrücklich unter Tränen sein Schicksal schildert, sitzen die vier angeklagten Ingenieure vor ihren mitgebrachten Rechnern und vermitteln den Eindruck, als würden sie seinen Ausführungen keine Beachtung schenken. Ihnen wird vorgeworfen, Schuld an dem Einsturz des Traggerüstes zu sein.
Nebenklage-Vertreter begrüßt, dass Mandanten aussagen dürfen
Für den Vertreter der Nebenklage ist es ein "sehr wichtiger Tag" vor dem Landgericht Schweinfurt. Er ist der Anwalt von fünf Verletzten und der Familie des Getöteten und sagt: "Endlich, nach sieben Jahren, haben diese Menschen ein Gesicht bekommen und Gehör gefunden."
Die Vorladung als Zeugen würden seine Mandanten "sehr schätzen", trotz der weiten Anreise und ihrer körperlichen Beschwerden - "weil sie endlich mal Gelegenheit bekommen haben, zu sprechen". Im ersten Anlauf des Verfahrens um den Brückeneinsturz 2019 war es nicht zu der Vernehmung der Verletzten gekommen, weil der Prozess nach sechs Verhandlungstagen ausgesetzt wurde.
Der Anwalt zeigt sich am Dienstag zufrieden darüber, "dass das Gericht sich für die Unfallfolgen und für den Einschnitt in deren Leben sehr interessiert hat". Die Kammer sei sehr einfühlsam gewesen. Doch mit Blick auf die Angeklagten sagt der Vertreter der Nebenkläger: "Was ich mir aber erhofft hätte: dass einer von denen mal sagt, unabhängig davon, ob sie ihre Schuld einräumen oder nicht, dass es ihnen leidtut."
Einen Adhäsionsantrag, der den Verletzten die Möglichkeit gibt, ohne ein weiteres zivilrechtliches Verfahren vermögensrechtliche Ansprüche in dem Strafverfahren zu verfolgen, stellt der Anwalt nicht: "Wir wollen das Strafverfahren nicht unnotwendig aufblähen", erklärt er diese Entscheidung.
Gutachten für diesen Mittwoch angekündigt
An diesem Mittwoch soll der Sachverständige sein Gutachten vorstellen. An den bisherigen Prozesstagen zeichnete sich ab, dass es seitens der Verteidigung dazu viele Fragen geben wird.
Ich gehe davon aus, dass es als "kleiner geschädigter Ausländer" schwierig ist seine Ansprüche in Deutschland geltend zu machen. Selbst deutsche Staatsbürger kapitulieren oftmals vor der Bürokratie.
Im laufenden Prozess sind sie, wie es ausschaut "nur" Zeugen.
@hugo70: wenn sie ein Fachmann sind dann stellen sie ihr Fachwissen bzw. ihre Vermutung doch bitte dem Gericht, den Ermittlern oder den Angeklagten zur Verfügung! Es wäre verwunderlich wenn ihre Hinweise nach so vielen Jahren und nach solch einem Unglück nicht in Betracht gezogen wurde.
Hat diesen Fakt überhaupt jemand mal mit eingebracht?
Wo fließt die Wern? Bestimmt nicht unter dieser Brücke; es ist der Stängersgraben. Wern ist ganz woanders.