
Im Prozess gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" steht nach über einem halben Jahr Verhandlung das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft dem 42-jährigen Kai K. vor, eine heute 31 Jahre alte Frau, die Mitglied der Gemeinschaft aus Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt) gewesen ist, im Mai 2023 geschlagen, mehrfach vergewaltigt und dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben.
Nach seiner Festnahme gab Kai K. in einer Polizeivernehmung an, sich nicht erinnern zu können. Im Prozess äußerte er sich zumindest nicht öffentlich zu den Vorwürfen. Ein Gutachter hält K. nur teilweise für schuldfähig.
In den mehr als 30 Verhandlungstagen vor dem Landgericht Schweinfurt ging es seit Februar 2024 vor allem um Begleitumstände und um Fragen zu "Go&Change". Das, was sich in den zwei Wochen im Mai 2023 zwischen Kai K. und der Frau, die als Nebenklägerin auftritt, abgespielt haben soll, stand eher selten im Mittelpunkt.
Diese Redaktion hat anhand der Anklageschrift und von Zeugenaussagen den zeitlichen Ablauf der mutmaßlichen Taten rekonstruiert.
Dienstag, 2. Mai 2023: Laut Anklage hat Kai K. im ehemaligen Kloster in Lülsfeld, das "Go&Change" bewohnt, während einer fünf Tage und fünf Nächte andauernden Party eine "Vision": Jeder Mensch trage einen "echten" Dämon in sich, der noch aus der Zeit stamme, als die Menschen als Aliens außerhalb der Erde gelebt hätten. Gleichzeitig behauptet K. demnach, die 31-Jährige könne eine "Dämonen-Assassine" sein, die auf die Welt geschickt worden sei, um ihn zu vernichten.
Die Frau wohnt damals nicht mehr im Kloster, ist aber bei der Party zu Gast. Wegen K.s Vorwürfen sei sie "maßlos verzweifelt" gewesen, sagt die 31-Jährige vor Gericht. Sie habe immer Angst gehabt, "ich verliere meine Familie und bin draußen nicht mehr fähig zu leben". Mit Familie meint sie: "Go&Change". Die Tage vor der mutmaßlichen Tat beschreibt die 31-Jährige als "Drogenexzess" mit Schlafentzug, die ganze Gemeinschaft sei im Wahn gewesen.
Mittwoch, 10. Mai 2023, 16 Uhr bis Freitag, 12. Mai 2023, 8 Uhr: Kai K. lädt die 31-Jährige erneut ins Kloster ein und stellt ihr in Aussicht, dass sie wieder eine Beziehung führen und sie wieder in der Gemeinschaft leben könnte, heißt es in der Anklage. Die Bedingung: Sie müsse ihm im Rahmen eines "Prozesses" all ihre angeblichen Verfehlungen gestehen.
Im Beisein zweier "Go&Change"-Mitglieder – Felix Krolle, die Nummer Zwei hinter Kai K., und eine Frau – solle sie zugeben, dass sie K. fremdgegangen sei, "satanistische Sachen" gemacht und andere Personen gefoltert habe. Weil sie dies nicht getan habe, so die Anklage weiter, habe die 31-Jährige ausweichende Antworten gegeben und Geschichten erfunden. Die überzeugen Kai K. aber nicht: Mindestens dreimal soll er die Frau mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben, bis sie vom Hocker fiel.
Vor Gericht sagt die 31-Jährige dazu, K. habe ihr in der Bibliothek des Klosters Geständnisse entlocken wollen. "Am Anfang war er noch lieb, dann immer gewaltvoller", weil er "dachte, ich lüge ihn an". Krolle beschreibt den Vorfall in der Bibliothek anders: Er spricht von einem Handgemenge zwischen K. und der Frau. Ob K. sie geschlagen hat? Das wisse er nicht, gibt er vor Gericht an.
Sicher ist: Nach dieser Situation verlässt die Frau das Kloster.
Freitag, 12. Mai 2023, 22 bis 0 Uhr: Laut Anklage bringt "Go&Change"-Mitbegründer Krolle die 31-Jährige zurück nach Lülsfeld, nachdem er die Frau in ihrer Wohnung in Eichfeld (Lkr. Kitzingen) aufgesucht hat. Im Zeugenstand gibt Krolle an, er habe herausfinden wollen, "was wahr ist".
Im Kloster machen die Anwesenden der Frau der Anklage zufolge den Vorwurf, sie habe zusammen mit weiteren Frauen der Gemeinschaft satanistische Rituale und Folterungen praktiziert. Sie müsse nun im Kloster bleiben und die Welt müsse vor ihr geschützt werden.
Vor Gericht sagt die 31-Jährige, sie habe sich "in einer wahnsinnigen Abhängigkeit befunden".

Samstag, 13. Mai 2023, 11 bis 14.30 Uhr: Kai K. kommt ins Zimmer der 31-Jährigen und behauptet laut Anklage, er müsse einen Dämon bei der Frau austreiben – auch wenn dies ihren Tod bedeuten könne. Er verlangte von ihr, dass sie ihm beim Geschlechtsverkehr ihren Dämon zeigt. Als sie einen Dämon vorspielt, soll ihr Kai K. mindestens fünfmal mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen haben. Während "des sich über mehrere Stunden hinziehenden Geschehens", heißt es in der Anklage, fleht sie K. an, mit den geforderten sexuellen Handlungen "aufhören zu dürfen", sie weint wiederholt. "Ich habe den Sex der Gewalt vorgezogen und immer wieder grausame Geschichten erfunden", erklärt die Frau vor Gericht.
Als K. das Zimmer verlässt, nutzt die Frau die Gelegenheit, das Kloster fluchtartig zu verlassen.
Montag, 15. Mai 2023, 15 Uhr: Laut ihrer Aussage ist die 31-Jährige bei der Arbeit, als Kai K. sie wiederholt kontaktiert. Sie treffen sich in einer zur Gemeinschaft gehörenden Wohnung in Gerolzhofen. Der Anklage zufolge konsumieren sie dort Drogen und haben einvernehmlichen Sex. Als die Frau dabei über Schmerzen klagt und K. auffordert, aufzuhören, macht er weiter. In der Anklage heißt es, K. habe einen "Stopp" und auch das vereinbarte Codewort "Blue Moon" ignoriert. Dennoch sagt die Frau vor Gericht: "Ich habe das damals nicht als Vergewaltigung gesehen."
Auch bei diesem Treffen will K. laut Anklage "an den vermeintlichen Dämon der Geschädigten herankommen".
Dienstag, 16. Mai 2023: Laut einem psychiatrischen Gutachter litt Kai K. ab diesem Tag unter einem "Wahn", ausgelöst durch starken Drogenkonsum. Ab einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt an diesem Tag habe der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt, so der Sachverständige.
In der Anklageschrift ist der 16. Mai nicht erwähnt. Vor Gericht wird klar: Kai K. und die Frau sind noch in der Wohnung in Gerolzhofen. Eine 35-Jährige, die mit K. ein Kind hat, sagt aus, sie sei gegen 18 Uhr in die Wohnung bestellt worden. Dort habe die 31-Jährige "latent aggressiv" gewirkt. K. habe in der Küche gesessen, in sich versunken. Sie habe "weißes Pulver" gesehen.
Die Ex-Partnerin sagt: Kai K. habe ihr vorgeworfen, die 31-Jährige in satanische Zirkel gezogen und mit ihr rituelle Folterpartys mit Kindern organisiert zu haben. Sie sei von K. geschlagen worden, aber: "Ich hatte das Gefühl, er wollte mir nur einen Schrecken einjagen."
Zu dieser Situation sagt die 31-jährige Nebenklägerin vor Gericht: Kai K. habe Geständnisse aus seiner Ex-Partnerin "heraus geprügelt" und sie "blutig geschlagen". Auch sie selbst habe zugeschlagen, räumt sie ein.
Mittwoch, 17. Mai 2023, 3 bis 4 Uhr: Kai K. und die 31-Jährige fahren laut Anklage zurück nach Lülsfeld. Dort erklärt K. den Anwesenden im Kloster, er habe mit der Frau alles aufgearbeitet. Anschließend legen sich K. und die 31-Jährige in K.s Zimmer schlafen, heißt es weiter. Die 31-Jährige sagt vor Gericht, damals habe sie gedacht: "Jetzt wird alles gut, schlimmer kann es nicht mehr werden."
17. Mai 2023, ab dem Nachmittag: In der Anklage heißt es: Als K. und die 31-Jährige aufwachen, beschuldigt er sie erneut, ihm nicht die ganze Wahrheit über ihre dämonischen Taten erzählt zu haben. Er verlangt von ihr, zuzugeben, dass sie auch Kinder gefoltert und getötet habe. Im Laufe der folgenden Stunden soll der 42-Jährige von ihr verlangt haben, mit ihm zu schlafen. Die 31-Jährige habe zunächst mitgemacht, in der Hoffnung, ihn so besänftigen zu können.
"Ich konnte nichts machen, was nicht dazu geführt hat, dass Kai mir wehtut", sagt die Frau vor Gericht.
K. soll ihr mindestens 20 Mal ins Gesicht geschlagen und ihr weitere Schmerzen zugefügt haben. In der Anklage ist von mehreren Bissen die Rede. Außerdem soll sich K. dreimal auf die Frau gesetzt und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Es habe jeweils konkrete Lebensgefahr bestanden, bestätigt ein Rechtsmediziner vor Gericht.
"Ich hatte Angst, dass ich es nicht überlebe", sagt die Frau im Zeugenstand. Sie habe nach Hilfe gerufen. "Am Ende habe ich unter Folter gestanden, dass ich seinen Sohn töten würde."
Zweimal soll K. an der Frau laut Anklage an diesem Tag auch sexuelle Handlungen durchgeführt haben, obwohl sie ihm klar zu verstehen gegeben haben soll, dies nicht zu wollen. Die Staatsanwaltschaft wertet diese mutmaßlichen Taten als Vergewaltigung in zwei Fällen. Fluchtversuche unterbindet Kai K., indem er sie festhält, heißt es in der Anklage. Erst gegen 22 Uhr lässt er die 31-Jährige gehen.
Von all dem will im Kloster niemand etwas mitbekommen haben. Felix Krolle berichtet im Zeugenstand lediglich von Geräuschen, die er aus dem Nebenzimmer gehört habe. Als K. gegen 22 Uhr alleine zu den anderen Bewohnern gestoßen sei, sei er "fix und fertig" gewesen. Er habe berichtet, die 31-Jährige sei ausgerastet und habe sich selbst geschlagen.
Wenig später fährt die Frau zu einer Freundin, die den Rettungsdienst ruft. Im Krankenhaus wird die Polizei eingeschaltet.