Ob sich Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) während der Weihnachtsfeiertage bei einem Rückblick auf das vergangene Jahr vorkommt wie die Queen von England, ist nicht bekannt. Eine Art "Annus horribilis" (schreckliches Jahr) dürfte es aber dennoch gewesen sein, und das hat explizit nichts mit der Corona-Pandemie zu tun.
Das "Annus horribilis" rief Königin Elisabeth von England aus, als sie auf 1992 zurückblickte, mit einem Feuer in Windsor Castle und den gescheiterten Ehen der Söhne Charles und Andrew. Das "Annus horribilis" des Oberbürgermeisters bezieht sich auf 2021: Die Kündigung des früheren Theaterleiters im Mai, dessen anschließende Verurteilung per Strafbefehl zu zehn Monaten Haft auf Bewährung wegen Untreue, die Ermittlungen gegen eine weitere Führungskraft sowie der Skandal um die mutmaßlich zu niedrigen Grundstückspreise im Maintal gehören nicht zu den Höhepunkten der Ära Remelé seit 2010.
Der Fall des Theaterleiters begann vor gut zwei Jahren, als Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung ankamen. Der Oberbürgermeister wurde im Juli 2020 durch einen Bericht informiert, in dem zwar die Vorwürfe zunächst entkräftet, aber dennoch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft empfohlen wurde. Im Herbst 2020 erstattete der OB Anzeige, in diesem Jahr nahm das Verfahren Fahrt auf.
Anfang Mai beantragte die Stadtverwaltung Akteneinsicht. Aus dieser ergab sich eine fristlose Kündigung am 19. Mai, später eine Anklage wegen 51 Fällen der Untreue und ein Strafbefehl. Dem früheren Theaterleiter und Kulturamtsleiter waren falsche Bewirtungsbelege, falsche Abrechnungen in der Theaterkantine und eine falsche Abrechnung einer Benefiz-Veranstaltung zu Lasten der Stadt vorgeworfen worden.
Ermittelt wurde nicht nur gegen den Theaterleiter, sondern eine weitere Führungskraft. Dieses Verfahren wurde im Herbst gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Im Frühsommer wurden auch Büroräumen in der Stadtverwaltung durchsucht. Außerdem gab es Nachwehen bei den Haushaltsberatungen, als die Forderung nach externen Compliance-Beauftragten ebenso gestellt wurde wie ein eigenes Rechtsamt für die Verwaltung. Ob es in 2022 weitere Erkenntnisse aus den Ermittlungen gibt, ist offen.
Aufregung bei Firmenbesitzern im Maintal wegen Nachforderungen der Stadt
Kaum war der Theaterleiter-Skandal abgekühlt, folgte das nächster Problem mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Was stimmt nicht mit den Grundstückspreisen im Maintal?
Einem Teil der Firmen wurde mitgeteilt, dass die beim Kauf ihrer Grundstücke vor Jahren zu Grunde gelegten Preise zu niedrig waren und gewährte Rabatte unter Umständen ein Verstoß gegen den Artikel 75 der Gemeindeordnung sein könnten, wonach eine Kommune Vermögensgegenstände nicht unter Wert verkaufen darf.
Die Folgen sind gravierend: Die Stadt fordert teilweise mehrere hunderttausend Euro Nachzahlung. Die Rechtslage ist verzwickt und die Firmen sind im Gespräch mit dieser Redaktion verärgert, da sie selbst keinen Fehler machten: "Wie soll man mit dieser Verwaltung Geschäfte machen, wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass die Grundstückspreise richtig waren?", so ein Geschäftsmann.
Nicht nur in der Geschäftswelt, auch im Stadtrat musste sich der OB rechtfertigen. Die Stadtverwaltung will "vollständig aufklären und jeglichen wirtschaftlichen Schaden von der Stadt Schweinfurt abwenden." Und: Finanz- und Liegenschaftsreferentin Anna Barbara Keck sucht eine "einvernehmliche Lösungen zusammen mit den Unternehmen."
Probleme mit den Grundstückspreisen gibt es nicht nur im Maintal, sondern auch in den Konversionsgebieten wie Bellevue. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern an und werden wohl erst 2022 abgeschlossen.