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Schweinfurt
Schulden, Kostendruck, Stellenabbau im Konzern: Wohin steuert ZF am Standort Schweinfurt, Herr Moll?
Unruhe beim Autozulieferer, die Stimmung beim größten kommerziellen Arbeitgeber in Mainfranken ist "sehr durchwachsen". Der ZF-Betriebsratsvorsitzende sagt, was das heißt.
Stellenabbau wird es bei ZF in Schweinfurt nicht geben - wenigstens vorerst nicht, sagt der  Betriebsratsvorsitzende Oliver Moll.
Foto: Heiko Becker | Stellenabbau wird es bei ZF in Schweinfurt nicht geben - wenigstens vorerst nicht, sagt der Betriebsratsvorsitzende Oliver Moll.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 14.10.2023 02:57 Uhr

Der ZF-Konzern, einer der größten Autozulieferer in Deutschland, ächzt unter der Kehrtwende weg vom Verbrenner hin zum Elektroauto. Das Unternehmen aus Friedrichshafen am Bodensee hat elf Milliarden Euro Schulden, Standorte wie im nordrhein-westfälischen Eitorf stehen auf der Kippe. Außerdem bremst der neue Vorstandsvorsitzende Holger Klein bei den Kosten. 

Auch in Schweinfurt, einem der größten ZF-Standorte in Deutschland, herrscht deshalb offenbar Unruhe. Angst müssten die 9000 Beschäftigten dort aber – im Moment – nicht haben, meint Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll. Warum er davon ausgeht, dass der Standort schrumpfen wird, erklärt Moll im Interview.

Es sieht nach unruhigen Zeiten bei ZF aus. Wie ist in Schweinfurt die Stimmung in der Belegschaft?

Oliver Moll: Sehr durchwachsen. Das liegt daran, dass – gefühlt – die Menschen sehr viel zu arbeiten haben, gleichzeitig aber das Unternehmen permanent die Sparhebel wo immer möglich ansetzt. Das geht für die Menschen im Kopf nicht zusammen.

Es war zu lesen, dass ZF bundesweit 9000 Stellen streichen will. Wer in Schweinfurt muss sich Sorgen machen?

Moll: Vor 2025 niemand. Das ist unsere Beschäftigungssicherung. Hier in Schweinfurt müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Einflüsse die Transformation vom Antriebsstrang des Verbrennermotors hin zur Elektromobilität noch haben wird. Das wird kommen. Es heute schon zu beziffern, wäre allerdings unseriös. Das muss man abwarten. Ich glaube, wir haben uns ganz gut aufgestellt. Wir haben ein gehöriges Maß an Elektromobilität am Standort Schweinfurt. Wir sind am Anfang des Weges.

Ist die Elektromobilität die Standortgarantie schlechthin für Schweinfurt?

Moll: Sie ist ein Weg in die Zukunft. Er führt dazu, dass wir Beschäftigung in einem bestimmten Umfang erhalten können, der uns verloren gehen würde, wenn wir keine Elektromobilität hätten.

Was ist die Beschäftigungsgarantie für Schweinfurt bis Ende 2025 heute noch wert?

Moll: Sollte es ganz dick kommen und die Konjunktur aus irgendwelchen Gründen zusammenbrechen, dann ist sie der letzte Rettungsanker. Mein persönliches Ziel ist natürlich, mit so vielen Beschäftigten und Qualifikationen wie möglich so breit wie möglich aufgestellt zu sein.

Was kommt nach 2025 für ZF in Schweinfurt?

Moll: Nach 2025 werden wir erleben, wie sich hoffentlich der Markt dahingehend entwickelt, dass wir mit unseren Produkten noch besser bei den Kunden ankommen, gerade hinsichtlich der Elektromobilität. Und dass diese Produkte auch wirtschaftlicher werden. Nur ein erfolgreiches Unternehmen ist ein zuverlässiger Arbeitgeber.

"Das ist die größte Herausforderung, die wir haben."
Betriebsratsvorsitzender Oliver Moll über die Suche von ZF nach Fachkräften in Mainfranken
Wird es ab 2025 eine weitere Beschäftigungsgarantie für Schweinfurt geben?

Moll: Aus heutiger Sicht nicht. Ich will das aber auch nicht ausschließen. Es wird davon abhängig sein, was wir Ende 2025 vorfinden werden in der Welt, wie die Konkurrenzsituation auf den Märkten ist. 

Wird denn jetzt schon hinter verschlossenen Türen über eine Neuauflage der Standortgarantie für Schweinfurt verhandelt?

Moll: Ja. Wir haben am Standort Schweinfurt und ZF-weit sogenannte Zielbildprozesse vom Zaun gebrochen. Das bedeutet: Wir haben uns Gedanken gemacht, wie der Standort Schweinfurt im Jahr 2030 aussehen muss. Mit welchen Produkten, mit welchen Technologien, aber auch mit welchen Menschen? Also: Mit welchen Qualifikationsprofilen müssen diese Menschen ausgestattet sein, um auch 2030 noch ein wirklich namhaftes Unternehmen und ein namhafter Arbeitgeber in der Region zu sein?

Bekommt ZF in Mainfranken gut ausgebildetes Personal in ausreichendem Maß?

Moll: Das ist die größte Herausforderung, die wir haben. Alle Arbeitgeber hier im Raum Schweinfurt haben in den vergangenen Jahrzehnten den Arbeitsmarkt abgegrast.

Tut ZF genügend, um an qualifiziertes Personal zu kommen?

Moll: Ich glaube, da ginge mehr.

Zum Beispiel?

Moll: Ich halte es für unprofessionell, auf irgendwelche Pizzakartons zu schreiben: Ich habe eine Stelle zu vergeben. Wie müssten in den lokalen Medien präsenter sein. Wir müssten uns auch mehr direkt zu den Menschen begeben, an Schulen beispielsweise.

Der ZF-Konzern in Schweinfurt sollte als Arbeitgeber, der qualifiziertes Personal sucht, präsenter sein, sagt der Betriebsratsvorsitzende Oliver Moll.
Foto: Heiko Becker | Der ZF-Konzern in Schweinfurt sollte als Arbeitgeber, der qualifiziertes Personal sucht, präsenter sein, sagt der Betriebsratsvorsitzende Oliver Moll.
Wie attraktiv halten Sie den Lebensraum Schweinfurt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? 

Moll: Ich finde, Schweinfurt ist eine großartige Stadt. Wir haben in der Belegschaft heute schon einen Einzugsbereich von 120 Kilometern einfache Fahrt. Das ist enorm. Stadt und Landkreis Schweinfurt könnten aber gerade beim Öffentlichen Nahverkehr noch einiges tun. Wenn man zum Beispiel von unserem Werk Nord ins Werk Süd mit dem Bus fahren will, dann wird das eine kleine Odyssee. Vor allem dann, wenn man Schicht arbeitet. Anderes Beispiel: Vom Hauptbahnhof Schweinfurt führt ein Fußgängersteg über die Gleise ins Werksgelände. Dieser Steg ist nun baufällig. Leider passiert seitens der Stadt nichts, dass man den Steg wieder begehen kann. Das führt dazu, dass viele Leute von der Bahn wieder aufs Auto umsteigen. Das ist schade.

"Nun spricht man das offen aus, was vorher ein Tabuthema war: Standorte in Deutschland schließen zu wollen."
Oliver Moll, ZF-Betriebsratsvorsitzender, zur neuen Konzern-Spitze
Dem neuen ZF-Vorstandsvorsitzenden Holger Klein wird nachgesagt, dass er im Konzern mit seiner hohen Schuldenlast und starkem Kostendruck mit eisernem Besen kehrt. Was ist davon in Schweinfurt zu spüren?

Moll: Ich kenne Herrn Klein schon seit mehreren Jahren. Er hat ein Erbe angetreten, das er als Vorstandsmitglied kommen sah. Also wusste er, auf was er sich als Vorstandsvorsitzender einlässt. Jetzt nutzt er die Werkzeuge, die ihm zur Verfügung stehen. Das ist nicht ganz ohne, denn nun spricht man das offen aus, was vorher ein Tabuthema war: Standorte in Deutschland schließen zu wollen. Herr Klein versucht, konsequent zu bleiben. Er sagt, dass es keine Alternative zu diesen Konsolidierungsplänen und Sparzwängen gibt. Damit endet mein Verständnis aber auch. Es gibt eben Dinge, die gehen so nicht.

Und was genau?

Moll: Wir hatten früher mal ein Management, das gesagt hat: In der Krise geht niemand von Bord, wir stehen das gemeinsam durch. Natürlich haben wir einen Umbau vor uns. Aber der ist nicht nur einer Krise geschuldet, sondern der gesamten Situation. Gesellschaftspolitisch, marktpolitisch.

Der Standort Schweinfurt ist für ZF wichtig bei der Elektromobilität. Es heißt, dass China bei E-Autos Deutschland den Rang abläuft. Was spürt man in Schweinfurt?

Moll: ZF hat sich beim Thema Elektromobilität auf das Hochpreissegment versteift. Also auf Autos, die wir, wie wir hier sitzen, uns wahrscheinlich nie leisten werden können. Die Chinesen rollen den Markt von unten auf. Daraus müsste man eigentlich schließen können: Wir müssen aus diesem Hochpreissegment auch in die anderen Segmente vorstoßen. Also: kleine und preisgünstige Elektroautos. ZF hat Spitzenprodukte, die in der Spitzenklasse der Autohersteller eingesetzt werden. Das war in der Vergangenheit sehr, sehr erfolgreich. Jetzt muss man aber feststellen, dass wir einen ganz anderen Markt haben. Dem kann man sich nicht mit denselben Ansätzen nähern wie in der Vergangenheit.

Welche Zukunft haben in Schweinfurt die ZF-Bereiche Aftermarket, also Einzelteile, und die auf Rennsport spezialisierte Race Engineering?

Moll: Für Aftermarket wird es immer was zu tun geben. Dort wird der Umsatz eher steigen, das läuft profitabel. Bei Aftermarket haben wir mit zum Teil großen Kunden Lieferverpflichtungen, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Race Engineering ist eine kleine Perle. Rennsport spricht Herz und Bauch an. Das hat weniger mit Vernunft zu tun. Ich bin glücklich, dass sich ZF das leistet. Das ist nicht immer profitabel.

Wie viele Beschäftigte wird ZF in zehn Jahren in Schweinfurt haben?

Moll: Ich schätze, etwa 7000. Es wird weniger sein, weil normale Fluktuation und mehr Rentenabgänge greifen. Und auch, weil wir nicht mehr so viele Nachwuchskräfte finden werden.

Oliver Moll und ZF

Seit 1984 ist Oliver Moll beim Autozulieferer ZF. Der 55-Jährige fungiert seit 2013 als Betriebsratsvorsitzender in Schweinfurt und seit 2014 als Arbeitnehmervertreter im ZF-Aufsichtsrat. Außerdem sitzt der gebürtige Aschaffenburger im Gesamtbetriebsrat des ZF-Konzerns und als Vorsitzender im Gesamtbetriebsrat für alle ZF-Standorte in Europa mit zusammen 83.000 Beschäftigten.
Der ZF-Konzern beschäftigt weltweit 144.000 Menschen und machte zuletzt einen Jahresumsatz von 43,8 Milliarden Euro. Mit 9000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Schweinfurt ist ZF der größte kommerzielle Arbeitgeber in Mainfranken. An dem Standort sind vor allem die Bereiche Elektromobilität, Aftermarket (Ersatzteile) und Race Engineering vertreten. ZF ist eine von einer städtischen Stiftung in Friedrichshafen getragene Aktiengesellschaft, die nicht an der Börse notiert wird.
aug
 
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  • Ralf Eberhardt
    Ich bin mir sicher, dass der Vorstand von ZF sich nicht davon leiten lässt, was Herr Moll an Perspektiven sieht bzw. sich wünscht. Dort wird Rendite "gedacht". Und da gibt es in Verbindung mit Umsatzverlust nur Kostenreduzierung, die anteilsmäßig - im doppelten Sinne - die Personalkosten betreffen. Somit ist ein weiterer Personalabbau absehbar. Allerdings ist der für die Position des Betriebsratsvorsitzenden relativ unproblematisch. Ein gewisses Paradoxon, aber eben auch Realität. Die Zeiten sind vorbei, wo man versuchte, das Halten von Mitarbeitern in eine Zukunftsplanung zu integrieren.
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