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Schweinfurt
Psychiatrie, Gefängnis oder Freispruch? So könnte der Prozess für den "Go&Change"-Guru ausgehen
Ein psychiatrischer Gutachter hält Kai K. für teilweise schuldunfähig. Was das bedeutet und welche Szenarien es für den Ausgang des Verfahrens am Landgericht Schweinfurt gibt.
In Handschellen ins Gericht: Der Prozess gegen Kai K., Kopf der Gemeinschaft 'Go&Change', geht am Landgericht Schweinfurt dem Ende zu. Ob und wie der 42-Jährige bestraft wird, ist offen.
Foto: Thomas Obermeier | In Handschellen ins Gericht: Der Prozess gegen Kai K., Kopf der Gemeinschaft "Go&Change", geht am Landgericht Schweinfurt dem Ende zu. Ob und wie der 42-Jährige bestraft wird, ist offen.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 26.05.2024 02:39 Uhr

Der Prozess gegen den Kopf der Gemeinschaft "Go&Change" geht in die entscheidende Phase. Am 15. Verhandlungstag vor dem Landgericht Schweinfurt an diesem Dienstag hat der psychiatrische Gutachter Kai K. für teilweise schuldunfähig erklärt und ihm eine drogeninduzierte Psychose sowie eine Substanz-Konsum-Störung diagnostiziert, also eine Form der Drogenabhängigkeit.

Vor diesem Hintergrund ist der Ausgang des Verfahrens völlig offen. Professor Frank Zieschang, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Würzburg, erklärt, welche Optionen das Gericht hat.

Wer entscheidet über die Schuldfähigkeit eines Angeklagten?

Darüber entscheidet das Gericht nach der Verhandlung. "Sollte mit sachverständiger Hilfe festgestellt werden, dass der Betreffende schuldunfähig ist, kann gegen ihn keine Strafe verhängt werden", sagt Strafrechtler Zieschang. Entscheidend ist laut Strafgesetzbuch, ob der Täter "bei Begehung der Tat" unter einer psychischen Beeinträchtigung litt.

Muss das Gericht bei der Urteilsfindung den Einschätzungen von Sachverständigen folgen?

Das Wort von Gutachterinnen und Gutachtern sei "sehr richtungsweisend", sagt Zieschang. Das Gericht sei jedoch nicht an Einschätzungen oder Vorgaben von Sachverständigen gebunden.

Was hat der Gutachter im Falle von Kai K. festgestellt?

Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt wirft dem 42-Jährigen Vergewaltigung in vier Fällen, gefährliche Körperverletzung in drei Fällen und vorsätzliche Körperverletzung in 33 Fällen vor. Die mutmaßlichen Taten, deren Opfer eine damals 30-jährige "Go&Change"-Anhängerin sein soll, sollen sich zwischen dem 10. und 17. Mai 2023 ereignet haben.

Doch hier wird es kompliziert: Denn für den psychiatrischen Sachverständigen Prof. Hans-Peter Volz war Kai K. ab einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt am 16. Mai im "Wahn", ausgelöst durch starken Drogenkonsum - und damit schuldunfähig. Das würde laut Anklage unter anderem für zwei Vergewaltigungen gelten und auch für das dreimalige Würgen der 30-Jährigen, bis diese das Bewusstsein verlor.

Daraus lässt sich folgern, dass Kai K. alle vor dem 16. Mai mutmaßlich begangenen Taten, für die Anklage erhoben wurde, im Zustand der Schuldfähigkeit begangen haben soll - darunter zwei Vergewaltigungen und Schläge.

Welche Strafen stehen für die angeklagten Taten vor dem 16. Mai im Raum?

Für die Vergewaltigungen, wie sie die Staatsanwaltschaft in der Anklage beschreibt, stehen mehrere Jahre Freiheitsstrafe. "Wir sprechen hier von zwei bis 15 Jahren", sagt Strafrechtler Frank Zieschang. Die angeklagten Körperverletzungen können laut Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren bestraft werden.

Wie kann das Gericht mit den Taten ab dem 16. Mai umgehen?

"In Betracht kommt die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus", sagt Jurist Frank Zieschang. Eine solche Unterbringung würden Gerichte nur anordnen, "wenn die Gesamtwürdigung" des Falles ergebe, "dass neue Taten zu erwarten sind, der Täter also weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich ist", erklärt der Würzburger Strafrechtler.

Anders als beim normalen Strafvollzug sei die Unterbringung in einer sogenannten Forensik "zunächst unbegrenzt". Nach Ablauf einer vom Gericht festgelegten Mindestdauer des Freiheitsentzugs wird ein Gutachten erstellt, auf dessen Basis die Unterbringung verlängert werden kann. "Maßgeblich" dafür sei, so Strafrechtler Zieschang, "ob der Betreffende weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich ist, also von ihm in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind".

Der Sachverständige Volz hat für den Fall einer Verurteilung angeregt, K. in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Als Behandlungsmaßnahme empfahl er eine Entwöhnungstherapie. Eine solche Unterbringung darf laut Gesetz nicht länger als zwei Jahre dauern.

Wie kann das Gericht mit der Konstellation umgehen? Können Gefängnisstrafe und Unterbringung in einer Psychiatrie kombiniert werden?

"Das Strafgesetzbuch erlaubt es, dass Gefängnisstrafe und Unterbringung kombiniert werden können", erklärt Frank Zieschang. "Das gilt im Übrigen auch für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt."

Möglich ist demnach, dass Kai K. bei einer Verurteilung zunächst in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird und später den Rest seiner Haftstrafe in einem Gefängnis verbüßt. In der Regel ordnen die Gerichte an, dass die sogenannte Maßregel, also die Unterbringung in einer Psychiatrie, vor der Freiheitsstrafe vollzogen werden muss.

Kann Kai K. auch freigesprochen werden?

Ja. Bis zu einem Urteil gilt für den Angeklagten die Unschuldsvermutung. Wird in einem Prozess allerdings der Tatnachweis erbracht, so der Juraprofessor, sei ein Freispruch nur möglich, wenn - etwa mit Blick auf Körperverletzungen - die Tat "mit Einwilligung" des Opfers stattgefunden hat und sie nicht "gegen die guten Sitten verstößt", wie es das Strafgesetzbuch ausdrückt.

 
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  • Cornelius Beyer
    Ein sehr informativer Artikel, der die meisten meiner Fragezeichen behandelt hat. Vielen Dank.
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  • Harald Bach
    Dieser ganze Prozess dient als Bühne für sogenannte W…… advokaten und mutiert zu einer einzigen Farce und Verarschung des Rechtsstaates.
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  • Harald Bach
    Was brauchen wir Richter, wenn es doch solch hochqualifizierte Gutachter gibt?!
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  • Marek Winkel
    Na super. Seine Schäfchen erzählen nun als "Zeugen" alle einhellig, dass der erleuchtete Guru sich bei den 4 Vergewaltigungen und unzähligen Körperverletzungen in einem "Ausnahmezustand" befunden habe und sonst gar nicht so sei.

    Der psychiatrische Sachverständige übernimmt das so, das Gericht übernimmt es ebenfalls so und dann wird dem erleuchteten Guru 2 Wochen in der Psychiatrie eine Standpauke gehalten, anstatt ihn zu Gefängnis zu verurteilen. War irgendwie zu erwarten.
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  • Martin Deeg
    Haben Sie den Artikel überhaupt gelesen?

    Wenn hier die Schuldunfähigkeit und eine "Gefahr für die Allgemeinheit" festgestellt wird, kann eine zeitlich nicht begrenzte (!) Unterbringung im Maßregelvollzug erfolgen.

    In dem Fall erfolgt lediglich formal zuvor ein "Freispruch" - eben wegen Schuldunfähigkeit.
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  • Marek Winkel
    Ja ich habe den Artikel gelesen. Sie auch?

    Dort wird von einer kurzfristigen drogeninduzierten Psychose geschrieben. Damit ist es gerade nicht nicht induziert, ihn langfristig in der Psychiatrie unterzubringen. Außerdem ist bekannt, dass der Guru schon jahrelang mit bewusster Manipulation seine Sekte führt. Von daher ist es ist es frustrierend, wenn er praktisch keine Strafe bekommt.
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