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Schweinfurt
Großkundgebung der IG Metall in Schweinfurt: 3500 Mitarbeitende demonstrieren für Arbeitsplätze und mehr Lohn
Belegschaften aus acht Betrieben versammelten sich an diesem Mittwoch zur großen Demo. Vor allem zum geplanten Stellenabbau bei Schaeffler sprach die Gewerkschaft Klartext.
Tausende Beschäftigte der Unternehmen ZF, SKF, Bosch Rexroth und Schaeffler gingen am Mittwoch in Schweinfurt auf die Straße. Ihre Forderungen: keine weiteren Stellenstreichungen und höhere Löhne.
Foto: Anand Anders | Tausende Beschäftigte der Unternehmen ZF, SKF, Bosch Rexroth und Schaeffler gingen am Mittwoch in Schweinfurt auf die Straße. Ihre Forderungen: keine weiteren Stellenstreichungen und höhere Löhne.
Lisa Marie Waschbusch
,  Marcel Dinkel
 und  Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 10.11.2024 02:32 Uhr

Die Wut war Jürgen Schenk, Betriebsratsvorsitzender von Schaeffler in Schweinfurt, anzumerken. "Eigentlich haben wir doch nur darauf gewartet, dass sich Schaeffler in die Frage der Abbauprogramme einreiht", sagte Schenk auf der Bühne vor den 3500 Mitarbeitenden der Großindustrie. "Jetzt haben wir in Schweinfurt endgültig die Kacke am Dampfen."

Aus acht verschiedenen Betrieben waren die Belegschaften an diesem Mittwoch zur Großdemonstration der IG Metall in Schweinfurt zusammengekommen. Bei Schaeffler sehen sich die Mitarbeitenden mit einer neuen Realität konfrontiert: Erst am Dienstag hatte Vorstandschef Klaus Rosenfeld bekanntgegeben, dass konzernweit in Europa 4700 Arbeitsplätze bis Ende 2027 abgebaut werden sollen. In Deutschland seien vier Standorte betroffen seien: Herzogenaurach, Nürnberg, Regensburg - und der Standort in Unterfranken. "Wie jedes Mal auch Schweinfurt", erklärte  Betriebsratsvorsitzender Schenk am Mittwoch.

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Am Morgen hatte der Betriebsrat die Belegschaft bei einer außerordentlichen Betriebsversammlung über seine Sicht des Themas informiert und sich kämpferisch gegeben, den Arbeitsplatzabbau nicht akzeptieren zu wollen. "In Schweinfurt sollen bis zu 700 Mitarbeiter abgebaut werden", sagte Schenk bei der Kundgebung. "Und der Arbeitgeber hat nicht einmal die Courage, den Beschäftigten ehrlich die Zahlen zu zeigen."

Was ihn besonders enttäusche: Man sei nicht nur bei Schaeffler in Vorleistung gegangen – mit entgeltwirksamen Arbeitszeitabfindungen, Schichtabsagen, Arbeitszeitabbau. "Und dann kommt der Arbeitgeber nach einem Dreivierteljahr und will Stellen abbauen. Das ist für mich eine Kündigung der Sozialpartnerschaft mit allen Beteiligten." 

Unterfränkische Industrie steckt in tiefer Krise

Schaeffler ist nicht der einzige Betrieb, der in den vergangenen Monaten ins Straucheln geraten ist. Auch ZF will deutschlandweit bis zu 14.000 Arbeitsplätze streichen. "In Schweinfurt reden wir inzwischen von einer Zahl von über 3000 in den nächsten drei Jahren", sagte Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt. Auch der Wälzlagerhersteller SKF habe bereits hunderte Arbeitsplätze abgebaut.

"Wir sind in einer tiefen Krise, auch in dieser Region."
Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt

In Augsfeld im Landkreis Haßberge habe Bosch Rexroth seinen 400 Beschäftigten im Werk nun mitgeteilt, dass 130 von ihnen freigesetzt werden sollen. "Damit ist dieser Standort, ein Traditionsstandort, offensichtlich infrage gestellt", verdeutlichte Höhn. Ähnlich sehe es aus bei den Werken von Preh und Valeo in Bad Neustadt im Landkreis Rhön-Grabfeld. "Wir sind in einer tiefen Krise, auch in dieser Region."

Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt, verteidigte die Lohnforderungen der Gewerkschaft in wirtschaftlich turbulenten Zeiten.
Foto: Anand Anders | Thomas Höhn, Erster Bevollmächtigter IG Metall Schweinfurt, verteidigte die Lohnforderungen der Gewerkschaft in wirtschaftlich turbulenten Zeiten.

Forderungen nach einer Nullrunde in den Tarifverhandlungen aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen erteilte Höhn eine Absage: "Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze." Im Gegenteil: Diese würden nur die Gewinnsituation der Unternehmen stabilisieren, auf Kosten der Belegschaft. Umliegende Bäckereien, Handwerkerbetriebe und der Einzelhandel seien darauf angewiesen, dass Menschen bei ihnen konsumieren, sagte der IG Metall-Bevollmächtigte. 

Stabile Löhne seien das Einzige, was die Wirtschaft aktuell noch am Laufen halte, erklärte Höhn. Die IG Metall fordert in der laufenden Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie sieben Prozent mehr Geld für die Beschäftigten und eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 170 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Das Argument, in Deutschland würden die Lohnkosten immer weiter steigen, sei falsch. In anderen Ländern würden diese ebenfalls steigen, so Höhn. 

 Nadine Boguslawski, Tarif-Vorständin der IG Metall aus Frankfurt, attackierte am Mittwoch in Schweinfurt die Aussagen und das Angebot der Arbeitgeberseite bei den laufenden Tarifverhandlungen.
Foto: Anand Anders |  Nadine Boguslawski, Tarif-Vorständin der IG Metall aus Frankfurt, attackierte am Mittwoch in Schweinfurt die Aussagen und das Angebot der Arbeitgeberseite bei den laufenden Tarifverhandlungen.

Ebenfalls zu Wort meldete sich bei der Kundgebung Justin Rieck, ZF-Jugendvertreter bei der IG Metall. Rieck und Alexandra Auer sprachen die verschärften Lebensumstände junger Auszubildender an. 1987 habe die Miete für einen Quadratmeter Wohnung 5,50 Euro gekostet. "Heutzutage sind es 10,50 Euro. Das ist eine ganz andere Lebensrealität", sagte Rieck.

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Tarifstreit: IG Metall bereitet 24-Stunden-Streiks in Bayern vor

IG Metall-Tarifvorständin Nadine Boguslawski sprang den Jugendvertretern in Schweinfurt zur Seite. "Zukunftsperspektive plus Kaufkraft heißt Wirtschaftsperspektive." Scharfe Kritik äußerte sie Richtung Arbeitgeber: "Hört auf, euch zu beklagen, dass die Menschen zu teuer und zu faul sind, weil sie angeblich zu wenig arbeiten." Das Angebot von 1,7 Prozent ab Juli 2025 und 1,9 Prozent ab Juli 2026 nach neun Monaten ohne Erhöhung sei angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten zu wenig.

Ähnlich sah das auch SKF-Betriebsratschef Norbert Völkl, der als Mitglied der bayerischen Delegation bei der nächsten Tarifrunde am kommenden Montag mitverhandelt. "Die Grenze des Erträglichen ist erreicht. Wenn wir am Montag nicht zu einem vernünftigen Abschluss kommen, bereiten wir die 24-Stunden-Streiks vor."

 
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  • Rudolf Selzam
    In dieser Situation, wo es um Arbeitsplatzerhaltung geht, zu den eh schon viel zu hohen Löhnen der Fabrikler noch Lohnerhöhungen zu forden, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten!
    Mal ehrlich, tut es einem Fabrikler weh, mal ein Jahr lang auf 100 oder 200 Euro zu verzichten um Arbeitsplätze, vielleicht auch seinen eigenen zu erhalten? Was die IGM da abzieht ist einfach unverschämt! geschr. v. C.Selzam
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  • Horst Böhnlein
    Hallo Herr Selzam, fragen sie mal die Kollegen bei Schaeffler und ZF auf was sie schon alles verzichten mussten. Die "Belohnung" dafür können sie im Artikel oben lesen.
    Und zu dem unverschämt: Gegen sie selbst zum Einkaufen? Dann sollten sie wissen wie sich die Preise besonders für die Waren des täglichen Bedarfs entwickelt haben. Bei einem Lohnanteil von 8-10% der Lohnkosten am Produkt machen 7% mehr gerade mal 1% mehr am Produkt aus, oder 1 % weniger Gewinn.
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  • Matthias Horn
    Aktuell geht es darum, auf 1000 oder 2000€ zu verzichten.
    Pro Monat, versteht sich.
    In sofern sind solche Aktionen wichtig und richtig.
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  • Alexander Hopf
    Mehr Lohn, die Folge = mehr Entlassungen!!!
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  • Bruno Hattel
    "3500 Mitarbeitende demonstrieren für Arbeitsplätze und mehr Lohn" das beißt sich schon in der Überschrift. Vielleicht kapiere ich es auch nicht und bin halt dumm..., ich "verdien" in der Fabrik schon gut 25 € brutto, bin aber eher im unteren Lohnbereich mit EG4.

    LG Markus Hattel
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  • Andreas Neinhardt
    Weiter weiter ins verderben mit der IGM.......
    10% mehr und nur noch Viertage Woche fordern..... und die Schäfchen springen weiter mit mähmähmäh
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  • Stefan Fuchs
    "Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Diese würden nur die Gewinnsituation der Unternehmen stabilisieren, auf Kosten der Belegschaft. Umliegende Bäckereien, Handwerkerbetriebe und der Einzelhandel seien darauf angewiesen, dass Menschen bei ihnen konsumieren, sagte der IG Metall-Bevollmächtigte. "
    Augen auf "Hr. IG Metall -Bevollmächtigter".
    Die meisten ihrer Schäfchen konsumieren sicherlich nicht nachhaltig.
    Da wird Billigschund konsumiert damit das "teure Prestigeobjekt Auto" gekauft werden kann.
    Und ein "Dubai -Urlaub "muss auch noch drinn sein.
    Mich würde intressieren wo die Trillerpfeifen, Fahnen und rote Plastikverkleidungen produziert werden für die gewerkschaftlichen Umzüge.
    Sicherlich doch nicht in einem Billiglohnland.
    Oder?
    Solidarity forerver?!
    Nachhaltigkeit sieht jedenfalls anders aus.
    Die Szenerie erinnert mich immer mehr an "the animals Farm" von George Orwell.
    Nix für unguat.
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