
Über 100 Tage tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine nun schon. Er hat Tod, Leid und Zerstörung gebracht, Millionen Ukrainer sind geflohen, unter anderem nach Deutschland und Schweinfurt. Der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin begonnene Krieg brachte aber auch die Frage, wie die Mitbürger mit russischen Wurzeln in Unterfranken dazu stehen.
In Schweinfurt beträgt ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung rund acht Prozent, neben der Bevölkerung mit türkischen Wurzeln die größte Gruppe in der multikulturellen Wälzlagerstadt. Vor allem am Deutschhof leben viele Menschen mit russischen Wurzeln. In der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion engagieren sich Ewald Oster und Ljubow Hurlebaus, die auch CSU-Stadträtin ist.
Oster ist Vorsitzender der Schweinfurter Landsmannschaft und stellvertretender Landes- und Bundesvorsitzender. Schon kurz nach Beginn des Krieges Ende Februar hatte der Bundesverband den Angriff auf die Ukraine scharf kritisiert: "Wir sind zutiefst erschüttert darüber, dass durch politische Machtspiele ein Keil zwischen die beiden Länder und die Menschen getrieben wird", schrieb der Vorsitzende Johann Thießen.
Auch in Schweinfurt sind der Krieg und die unterschiedlichen Positionen natürlich ein Thema, gerade innerhalb der Community. Teilweise kontrovers, wie Oster und Hurlebaus bestätigen. Viele Menschen informierten sich auch durch russische Fernsehsender. Ewald Oster betont ausdrücklich: "Nicht Russland, sondern ein Aggressor, nämlich Putin und seine Gefolgsleute, haben Schuld an diesem Krieg. Ich hätte mir nie träumen lassen mit 71 Jahren, dass das noch mal passiert. Natürlich bin ich für Frieden und gegen den Krieg, sofort."

Private Hilfe für ukrainische Flüchtlinge in Schweinfurt
Ljubow Hurlebaus bestätigt, wie sehr das Geschehen in der Ukraine, aber auch in Russland sie beschäftigt, "es lässt einen nicht los, macht schlaflose Nächte". Sie und ihre Familie helfen auch ukrainischen Familien im privaten Rahmen, so gut sie können. Sie selbst lebte als junge Erwachsene einige Jahre in Mariupol am Schwarzen Meer. Die Flut an Informationen über alle möglichen Kanäle mit Videos und Nachrichten sei eines der großen Probleme, um Fake-News von Wahrheit zu unterscheiden – zumal es kaum oder keine unabhängig bestätigten Nachrichten aus den direkten Kriegsgebieten gibt.

Was Ewald Oster und Ljubow Hurlebaus aber ebenso Sorgen bereitet, sind die seit Monaten wieder aufgeflammten Ressentiments gegen russischsprachige Menschen in Deutschland – egal wo diese politisch stehen. Man vertrete die Landsmannschaft der Russlanddeutschen und habe da in Jahrzehnten viel aufgebaut, "es sind gebildete, fleißige Menschen, die um Anerkennung kämpfen. Wir dachten bis zum Krieg, dass wir in Schweinfurt etwas erreicht haben und die Gruppe anerkannt ist", erzählt Hurlebaus. Ausdrücklich lobt Ewald Oster die Schweinfurter Stadtverwaltung und die Stabsstelle gerne daheim sowie den Integrationsbeirat für ihr Engagement bei der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge.
Bei einem anderen Thema hat Ewald Oster ebenfalls eine klare Meinung: Die Kritik, die der russische Oppositionelle Alexej Schwarz am Bundesverband der Landsmannschaft geübt hatte, dass dieser seine Anerkennung als Russlanddeutscher blockiert haben soll. Das ist nachweislich nicht richtig und erzürnt Oster: "Es ist eine Unterstellung, die nicht stimmt, und es ärgert mich, denn damit wird unsere Arbeit diskreditiert." Er habe Schwarz auch einen Brief auf Deutsch geschrieben, darauf aber keine Antwort erhalten.
Schwarz ist nach Deutschland geflüchtet, weil ihn seine Regime-Kritik in Russland mehrfach hinter Gitter gebracht hatte. Er war Mitarbeiter in der Anti-Korruptions-Stiftung des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und in einer Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Schweinfurt angefeindet worden, nachdem er scharfe Kritik an Russlanddeutschen geübt hatte, die aus seiner Sicht Putins Krieg unterstützten.