Der Angriffskrieg auf die Ukraine wird zu einer Belastung für hier lebende Russlanddeutsche. Sie erfahren vermehrt Anfeindungen wegen ihrer Wurzeln im russischsprachigen Raum. "Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein", sagt Erik Fink von der Ortsgruppe Würzburg-Kitzingen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Deren Vorsitzende Albina Baumann initiierte als Frauenbeauftragte der Landsmannschaft auf Bundesebene einen offenen Brief. Die Frauen fordern darin "Frieden für die Ukraine". Ein Gespräch über Menschen, die zwischen den Stühlen sitzen.
Albina Baumann: Nein. Leider gibt es diese Autokorsos, wir von der Landsmannschaft finden sie schrecklich. Es sind mitunter dieselben Leute, die oft von Stadt zu Stadt fahren.
Baumann: Es gibt verschiedene Gruppen. Einmal diejenigen, die davon überzeugt sind, dass russischsprachige Menschen hier diskriminiert werden. Das gibt es tatsächlich. Es gab demolierte Schaufenster und Drohbriefe in Briefkästen. Dann gibt es die Gruppe der Spätaussiedler mit ganz vielen Verletzungen aus der Vergangenheit. In Russland wurden sie als Deutsche diskriminiert und in Deutschland dann als "Russen" abgestempelt. Beim Aufnahmeverfahren mussten sie "stolze Deutsche" sein, und in Deutschland wurde dieser Nationalstolz nicht gern gesehen.
Baumann: Nein. Aber hier kommen politische Kräfte ins Spiel, die diese Situation ausnutzen. Sie geben diesen Menschen das Gefühl, echte Deutsche sein zu dürfen. Leider gibt es Leute, die dem verfallen. Es sind wenige, aber es gibt sie.
Erik Fink: Bei meiner Familie gibt es kein russisches Fernsehen. Wir haben es uns auch nicht in Russland angeschaut. Wir haben Infos von der Deutschen Welle bekommen oder von anderen westlichen Medien. Nur, wenn wir etwas aus unserer Region erfahren wollen, schauen wir überwiegend unpolitische regionale Medien im Internet.
Baumann: Ich lebe seit 1976 in Deutschland, spreche meist Deutsch. Ich schaue russisches Fernsehen, um die Russisch-Kenntnisse beizubehalten. Als Interkulturelle Trainerin muss ich auch wissen, was die Menschen beschäftigt.
Baumann: Ich glaube es sind Menschen, die in einem System aufgewachsen sind, in dem man staatlichen Organen nicht trauen kann. Mit diesem Gefühl kommen sie hierher und werden von manchen politischen Kräften - wie bestimmten Parteien oder Gruppierungen - darin bestätigt.
Baumann: Unterschiedlich. Es gibt Familien, die nehmen ukrainische Flüchtlinge auf. Es gibt aber auch innerhalb der Familien totale Auseinandersetzungen. Manche haben den Kontakt zu Verwandten in Russland abgebrochen oder sprechen den Krieg nicht an, um Streit zu vermeiden.
Fink: Bei mir ist es auch schwierig. Ich kann nicht mit meiner in Russland lebenden Mutter offen über die Politik reden, weil sie Putin unterstützt. Und das ist mein Schmerz.
Fink: Oft ja. In meinem persönlichen Umfeld gibt es niemanden, der Putin unterstützt oder den Krieg befürwortet. Die meisten meiner Freunde sind Deutsche, darunter auch mehrere hier geborene Kinder russlanddeutscher Eltern.
Baumann: Man weiß ja nicht, wer diese Schüler sind. Nicht jeder mit Akzent ist ein russlanddeutscher Spätaussiedler. Es kann auch ein ethnischer Russe sein, dessen Eltern zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind. Meiner Erfahrung nach sind Pro-Putin-Leute oft ethnische Russen.
Fink: Es gibt auch jüdische Immigranten aus Russland, die sind genauso gespalten. Und es gibt ganz viele Tschetschenen, die einen russischen Pass haben. Sie haben mit uns nichts zu tun, außer die gemeinsame Sprache.
Baumann: Das ist schwer zu sagen. Viele sagen ihre Meinung nicht. Manche lassen sich mitunter auch vor den Karren spannen. So eine Frau vom Heuchelhof in Würzburg, die den Autokorso im guten Glauben organisiert hat, er sei Protest gegen Diskriminierung Russisch sprechender Menschen. Danach stand sie mit Tränen in den Augen vor den Menschen beim Friedensgebet vor der Gethsemanekirche und sagte, es sei niemals ihre Absicht gewesen, den Krieg zu unterstützen.
Fink: Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein. Sie gehen nicht demonstrieren, sondern helfen den unschuldigen Opfern. Auch ich engagiere mich, begleite Geflüchtete auf Ämter oder zu Arztbesuchen. Die, die für Putin auf die Straße gehen, sind nur ein ganz kleiner Prozentsatz.
Baumann: Das kann man, muss man jedoch nicht. Warum sollte sich zum Beispiel jemand aus Kirgistan zu Putins Politik positionieren? Putin war nie sein Präsident, aus seiner Sicht geht ihn das nichts an. Ich habe mich positioniert, weil meine Vorfahren aus der Ukraine sind. Was dort passiert, tut mir weh.
Baumann: Das ist sehr abhängig von der Situation vor Ort. In Würzburg, speziell auf dem Heuchelhof, gab es den Autokorso, der sehr aggressiv aufgetreten ist. Und es gab die Schmierereien an der Kirche. Hier sind wir – Bürgerverein, Kirche, Quartiermanagement und Landsmannschaft – als Netzwerk aktiv. Bald gibt es ein Seminar zum deeskalierenden Umgang mit dem Thema.
Baumann: Offen und wach sein, sensibel mit dem Thema und den Leuten umgehen und sich in der öffentlichen Diskussion einen Tick zurücknehmen. Ukrainer gegen Russen, Russen gegen Ukrainer, Deutsche die sich positionieren – was da aufeinander eindrischt, verschlimmert nur die Lage.
Fink: Wir müssen hier keine Kriege miteinander führen. Wir sollten vielmehr miteinander reden, weil sich sonst die Fronten verhärten und das der russischen Propaganda in die Hände spielt. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann.
Fink: Das würde ich nicht sagen. Es hängt viel davon ab, wie man sich verhält und wie man sich ausdrückt. Wenn man sagt, Russlanddeutsche sollten "aus dem Land gejagt werden", dann können sie schon aggressiv werden.
Fink: Trotzdem. Das kann sogar Leute aggressiv machen, die gegen Putin sind. Die Praxis der Ausbürgerung und Zwangsdeportation hat ja auch unsere Vorfahren betroffen.
Baumann: Diese Aussage ist vielen, auch mir, aufgestoßen. Sie ist sehr pauschal und stellt alle Russlanddeutsche auf eine Linie. Die Empfindlichkeit kann ich daher sehr gut nachvollziehen.
Baumann: Vor dem Ukraine-Krieg gab es manche, die meinten, Putin sei gut für Russland, das Land brauche so einen starken Anführer. Auch sie finden den Krieg nicht in Ordnung. Es sei schrecklich, was der Zivilbevölkerung passiert. Gerade für sie ist das jetzt eine schlimme Situation.
Fink: Dieses Problem kann man aber nicht mit Gewalt lösen, man muss Überzeugungsarbeit leisten. Viele Russlanddeutsche hier wissen gar nicht, wie das Leben in Russland ist, weil sie sehr selten oder nie dort waren. Ich fände es gut, wenn jemand wie der russische Oppositionelle diesen Menschen erzählt, welche Probleme es dort gibt. Hier könnte er viel Aufklärung betreiben.
Baumann: Den Deutschen der UdSSR ging es immer genau so, wie die Beziehungen zwischen den Ländern waren. Waren diese eng, ging es ihnen gut. Sobald die Beziehungen abkühlten, traf es die Deutschen der Sowjetunion. Im Grunde sind wir froh, jetzt hier in Deutschland zu sein, doch gut geht es uns im Moment nicht. Obwohl: Eigentlich haben wir mit diesem Krieg nichts zu tun.
Baumann: Ja, es gibt diese Anfeindungen, ich habe jedoch solche nie erlebt. Aber manchmal sieht man auch Diskriminierung, die gar keine ist.
Fink: Ich habe in Deutschland noch nie Diskriminierung erlebt. Auch nicht jetzt.
Baumann: Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland setzt auf politische Bildung. Aus finanziellen Gründen und weil wir überparteilich und überkonfessionell organisiert sind, leider zu wenig.
Fink: Auch die deutsche Regierung sollte die Bildungsarbeit intensivieren. Zum Beispiel Bildungsangebote in russischer und in anderen Sprachen anbieten. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Nicht alle Menschen sprechen hier gut Deutsch. Es wäre gut, wenn sie die Möglichkeit hätten, eine proeuropäische, demokratische Position in ihrer Muttersprache zu bekommen.
Baumann: Neben der politischen Bildung muss auch in der Gesellschaft Aufklärungsarbeit betrieben werden. Die Geschichte der Deutschen aus Russland ist überhaupt nicht präsent. Viele wissen nichts über uns und wer wir sind.
Diese Bezeichnung geistert zwar ständig durch alle Medien, aber subsummiert alle unter diesem Begriff, auch wenn sie gar nicht aus dem eigentlichen Russland kommen:
"Albina Baumann wurde in Kasachstan geboren"
Wir müssen uns schon entscheiden: Sowjetunion = heutiges Russland?!
Falsch und würde ja dann auch fälschlicherweise Herrn Putin und seinem Angriffskrieg bzw. seinen Motiven dafür Recht geben!!!
Ähnliches geschah ja auch in den 1990er-Jahren (Stichwort "Russen-Mafia") und auch vor einigen Jahren beim Betrug im Zusammenhang mit Pflege (Stichwort "russische Pflegedienste, dabei war die Chefin Deutsche, allerdings aus der Sowjetunion stammend).
Man sollte doch besser z.B. von Aussiedlerinnen/Aussiedlern sprechen, oder von Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion.
Ich halte das nicht für ein rein semantisches Problem: Die Ukraine kämpft aktuell zu Recht um ihre Eigenständigkeit!
Baumann: Ich glaube es sind Menschen, die in einem System aufgewachsen sind, in dem man staatlichen Organen nicht trauen kann.“
Irgendwie meine ich hier einen gewissen Logikfehler erkennen zu können …