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Schweinfurt
Russlanddeutsche aus Unterfranken zum Krieg in der Ukraine: Wie Putins Propaganda Familien entzweit
Albina Baumann und Erik Fink von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland distanzieren sich klar von prorussischen Protesten in Würzburg. Sie sagen: Wir haben mit diesem Krieg nichts zu tun.
Albina Baumann und Erik Fink von der Ortsgruppe Würzburg-Kitzingen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland wünschen sich mehr Aufklärungsarbeit über die Geschichte der Deutschen aus Russland.
Foto: Anand Anders | Albina Baumann und Erik Fink von der Ortsgruppe Würzburg-Kitzingen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland wünschen sich mehr Aufklärungsarbeit über die Geschichte der Deutschen aus Russland.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:01 Uhr

Der Angriffskrieg auf die Ukraine wird zu einer Belastung für hier lebende Russlanddeutsche. Sie erfahren vermehrt Anfeindungen wegen ihrer Wurzeln im russischsprachigen Raum. "Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein", sagt Erik Fink von der Ortsgruppe Würzburg-Kitzingen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Deren Vorsitzende Albina Baumann initiierte als Frauenbeauftragte der Landsmannschaft auf Bundesebene einen offenen Brief. Die Frauen fordern darin "Frieden für die Ukraine". Ein Gespräch über Menschen, die zwischen den Stühlen sitzen.

Frage: In mehreren deutschen Städten fanden Demonstrationen von prorussischen Anhängerinnen und Anhängern statt - auch in Würzburg. Spiegeln diese Menschen die Einstellung der Russlanddeutschen hierzulande wider?

Albina Baumann: Nein. Leider gibt es diese Autokorsos, wir von der Landsmannschaft finden sie schrecklich. Es sind mitunter dieselben Leute, die oft von Stadt zu Stadt fahren.

Wer sind dann diese Leute, die solche Demos organisieren?

Baumann: Es gibt verschiedene Gruppen. Einmal diejenigen, die davon überzeugt sind, dass russischsprachige Menschen hier diskriminiert werden. Das gibt es tatsächlich. Es gab demolierte Schaufenster und Drohbriefe in Briefkästen. Dann gibt es die Gruppe der Spätaussiedler mit ganz vielen Verletzungen aus der Vergangenheit. In Russland wurden sie als Deutsche diskriminiert und in Deutschland dann als "Russen" abgestempelt. Beim Aufnahmeverfahren mussten sie "stolze Deutsche" sein, und in Deutschland wurde dieser Nationalstolz nicht gern gesehen.

'Frieden für die Ukraine', fordert Albina Baumann, die Frauenbeauftragte der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland auf Bundesebene.
Foto: Anand Anders | "Frieden für die Ukraine", fordert Albina Baumann, die Frauenbeauftragte der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland auf Bundesebene.
Aber das rechtfertigt doch nicht, den Krieg gegen die Ukraine zu verherrlichen?!

Baumann: Nein. Aber hier kommen politische Kräfte ins Spiel, die diese Situation ausnutzen. Sie geben diesen Menschen das Gefühl, echte Deutsche sein zu dürfen. Leider gibt es Leute, die dem verfallen. Es sind wenige, aber es gibt sie.

Es wird behauptet, in den Familien von russlanddeutschen Spätaussiedlern läuft nur das russische Staatsfernsehen. Stimmt das?

Erik Fink: Bei meiner Familie gibt es kein russisches Fernsehen. Wir haben es uns auch nicht in Russland angeschaut. Wir haben Infos von der Deutschen Welle bekommen oder von anderen westlichen Medien. Nur, wenn wir etwas aus unserer Region erfahren wollen, schauen wir überwiegend unpolitische regionale Medien im Internet.

Baumann: Ich lebe seit 1976 in Deutschland, spreche meist Deutsch. Ich schaue russisches Fernsehen, um die Russisch-Kenntnisse beizubehalten. Als Interkulturelle Trainerin muss ich auch wissen, was die Menschen beschäftigt.

Wer sind dann die Menschen, die der russischen Staatspropaganda verfallen?

Baumann: Ich glaube es sind Menschen, die in einem System aufgewachsen sind, in dem man staatlichen Organen nicht trauen kann. Mit diesem Gefühl kommen sie hierher und werden von manchen politischen Kräften - wie bestimmten Parteien oder Gruppierungen - darin bestätigt.

Wie wird in russlanddeutschen Familien über den Krieg in der Ukraine diskutiert?

Baumann: Unterschiedlich. Es gibt Familien, die nehmen ukrainische Flüchtlinge auf. Es gibt aber auch innerhalb der Familien totale Auseinandersetzungen. Manche haben den Kontakt zu Verwandten in Russland abgebrochen oder sprechen den Krieg nicht an, um Streit zu vermeiden.

Fink: Bei mir ist es auch schwierig. Ich kann nicht mit meiner in Russland lebenden Mutter offen über die Politik reden, weil sie Putin unterstützt. Und das ist mein Schmerz.

'Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein. Sie gehen nicht demonstrieren, sondern helfen den unschuldigen Opfern', sagt Erik Fink, der 1996 als Spätaussiedler nach Deutschland kam.
Foto: Anand Anders | "Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein. Sie gehen nicht demonstrieren, sondern helfen den unschuldigen Opfern", sagt Erik Fink, der 1996 als Spätaussiedler nach Deutschland kam.
Ist die Anfälligkeit für russische Propaganda eine Frage des Alters?

Fink: Oft ja. In meinem persönlichen Umfeld gibt es niemanden, der Putin unterstützt oder den Krieg befürwortet. Die meisten meiner Freunde sind Deutsche, darunter auch mehrere hier geborene Kinder russlanddeutscher Eltern.

In einer Schweinfurter Berufsschule haben russlanddeutsche Schülerinnen und Schüler den Krieg in der Ukraine verharmlost. Das ist ja genau diese Generation. Wie erklären Sie das?

Baumann: Man weiß ja nicht, wer diese Schüler sind. Nicht jeder mit Akzent ist ein russlanddeutscher Spätaussiedler. Es kann auch ein ethnischer Russe sein, dessen Eltern zum Arbeiten nach Deutschland gekommen sind. Meiner Erfahrung nach sind Pro-Putin-Leute oft ethnische Russen.

Fink: Es gibt auch jüdische Immigranten aus Russland, die sind genauso gespalten. Und es gibt ganz viele Tschetschenen, die einen russischen Pass haben. Sie haben mit uns nichts zu tun, außer die gemeinsame Sprache.

Wie ist die Einstellung der Mitglieder in der Landsmannschaft zum Krieg in der Ukraine?

Baumann: Das ist schwer zu sagen. Viele sagen ihre Meinung nicht. Manche lassen sich mitunter auch vor den Karren spannen. So eine Frau vom Heuchelhof in Würzburg, die den Autokorso im guten Glauben organisiert hat, er sei Protest gegen Diskriminierung Russisch sprechender Menschen. Danach stand sie mit Tränen in den Augen vor den Menschen beim Friedensgebet vor der Gethsemanekirche und sagte, es sei niemals ihre Absicht gewesen, den Krieg zu unterstützen.

Fink: Viele unserer Mitglieder setzen sich aktiv für die Ukraine ein. Sie gehen nicht demonstrieren, sondern helfen den unschuldigen Opfern. Auch ich engagiere mich, begleite Geflüchtete auf Ämter oder zu Arztbesuchen. Die, die für Putin auf die Straße gehen, sind nur ein ganz kleiner Prozentsatz.

Sollten sich Spätaussiedler aus Ihrer Sicht zum Ukraine-Krieg positionieren?

Baumann: Das kann man, muss man jedoch nicht. Warum sollte sich zum Beispiel jemand aus Kirgistan zu Putins Politik positionieren? Putin war nie sein Präsident, aus seiner Sicht geht ihn das nichts an. Ich habe mich positioniert, weil meine Vorfahren aus der Ukraine sind. Was dort passiert, tut mir weh.

Was tut die Landsmannschaft gegen prorussische Aktivitäten?

Baumann: Das ist sehr abhängig von der Situation vor Ort. In Würzburg, speziell auf dem Heuchelhof, gab es den Autokorso, der sehr aggressiv aufgetreten ist. Und es gab die Schmierereien an der Kirche. Hier sind wir – Bürgerverein, Kirche, Quartiermanagement und Landsmannschaft – als Netzwerk aktiv. Bald gibt es ein Seminar zum deeskalierenden Umgang mit dem Thema.

Was kann man tun, damit es nicht wieder solche Vorfälle wie in Würzburg gibt?

Baumann: Offen und wach sein, sensibel mit dem Thema und den Leuten umgehen und sich in der öffentlichen Diskussion einen Tick zurücknehmen. Ukrainer gegen Russen, Russen gegen Ukrainer, Deutsche die sich positionieren – was da aufeinander eindrischt, verschlimmert nur die Lage.

Fink: Wir müssen hier keine Kriege miteinander führen. Wir sollten vielmehr miteinander reden, weil sich sonst die Fronten verhärten und das der russischen Propaganda in die Hände spielt. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren kann.

In Schweinfurt wurde in einem Spätaussiedlerwohnheim der russische Oppositionelle Alexej Schwarz angefeindet. Ist es gefährlich, Russlanddeutsche, die Putin loben, zu kritisieren?

Fink: Das würde ich nicht sagen. Es hängt viel davon ab, wie man sich verhält und wie man sich ausdrückt. Wenn man sagt, Russlanddeutsche sollten "aus dem Land gejagt werden", dann können sie schon aggressiv werden.

Das Zitat ist aber unvollständig. Es hieß: "Russlanddeutsche, die Putins Krieg loben."

Fink: Trotzdem. Das kann sogar Leute aggressiv machen, die gegen Putin sind. Die Praxis der Ausbürgerung und Zwangsdeportation hat ja auch unsere Vorfahren betroffen.

Baumann: Diese Aussage ist vielen, auch mir, aufgestoßen. Sie ist sehr pauschal und stellt alle Russlanddeutsche auf eine Linie. Die Empfindlichkeit kann ich daher sehr gut nachvollziehen.

Haben Sie Kontakt zu Putin-Anhängern?

Baumann: Vor dem Ukraine-Krieg gab es manche, die meinten, Putin sei gut für Russland, das Land brauche so einen starken Anführer. Auch sie finden den Krieg nicht in Ordnung. Es sei schrecklich, was der Zivilbevölkerung passiert. Gerade für sie ist das jetzt eine schlimme Situation.

Fink: Dieses Problem kann man aber nicht mit Gewalt lösen, man muss Überzeugungsarbeit leisten. Viele Russlanddeutsche hier wissen gar nicht, wie das Leben in Russland ist, weil sie sehr selten oder nie dort waren. Ich fände es gut, wenn jemand wie der russische Oppositionelle diesen Menschen erzählt, welche Probleme es dort gibt. Hier könnte er viel Aufklärung betreiben.

In der Geschichte gab es immer wieder extreme Nähe und extreme Distanz zwischen Deutschland und Russland. Was macht das deutsch-russische Verhältnis so speziell?

Baumann: Den Deutschen der UdSSR ging es immer genau so, wie die Beziehungen zwischen den Ländern waren. Waren diese eng, ging es ihnen gut. Sobald die Beziehungen abkühlten, traf es die Deutschen der Sowjetunion. Im Grunde sind wir froh, jetzt hier in Deutschland zu sein, doch gut geht es uns im Moment nicht. Obwohl: Eigentlich haben wir mit diesem Krieg nichts zu tun.

Auch Russlanddeutsche erleben seit Ausbruch des Krieges Anfeindungen. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Baumann: Ja, es gibt diese Anfeindungen, ich habe jedoch solche nie erlebt. Aber manchmal sieht man auch Diskriminierung, die gar keine ist.

Fink: Ich habe in Deutschland noch nie Diskriminierung erlebt. Auch nicht jetzt.

Wie kann die Landsmannschaft Russlanddeutsche aufklären?

Baumann: Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland setzt auf politische Bildung. Aus finanziellen Gründen und weil wir überparteilich und überkonfessionell organisiert sind, leider zu wenig.

Fink: Auch die deutsche Regierung sollte die Bildungsarbeit intensivieren. Zum Beispiel Bildungsangebote in russischer und in anderen Sprachen anbieten. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Nicht alle Menschen sprechen hier gut Deutsch. Es wäre gut, wenn sie die Möglichkeit hätten, eine proeuropäische, demokratische Position in ihrer Muttersprache zu bekommen.

Baumann: Neben der politischen Bildung muss auch in der Gesellschaft Aufklärungsarbeit betrieben werden. Die Geschichte der Deutschen aus Russland ist überhaupt nicht präsent. Viele wissen nichts über uns und wer wir sind.

Albina Baumann und Eric Fink

Albina Baumann wurde in Kasachstan geboren. Sie kam 1976 im Alter von 15 Jahren nach Deutschland und lebt in Volkach (Lkr. Kitzingen). Sie ist Interkulturelle Beraterin und engagiert sich vor allem auch in der Beratung von jungen (Spät-)Aussiedlerinnen. Seit 2009 ist sie Mitglied der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR). 2018 übernahm sie den Vorsitz der Orts- und Kreisgruppe Würzburg-Kitzingen. Seit 2019 ist sie Frauenbeauftragte auf Bundesebene, seit 2021 Mitglied im Landesvorstand des Bundes der Vertriebenen.
Erik Fink wurde 1996 in Russland geboren und kam vor sechs Jahren nach Deutschland. Er studiert Slavistik und katholische Theologie an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. In der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland engagiert er sich für neu ankommende Spätaussiedler und Geflüchtete, derzeit vor allem aus der Ukraine. Außerdem ist er ehrenamtlich als Dolmetscher und Übersetzer tätig. Seit März 2022 ist er Vorstandsmitglied und Jugendbeauftragter des katholischen Verbandes St. Clemens-Werk e. V.
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  • W. L.
    Aber die Integration der sog. Russlanddeutschen bei uns auf dem Dorf ca. 300 EW) findet auch nicht reell statt - die (Kirchen-) Gemeinde im Bethaus hat da absolute Priorität! Und das Vertrauen in die Regierung wäre ja bei uns doch besser als in Russland - aufwachen und real in Deutschland leben mit Migrationshintergrund!
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  • R. N.
    Ich schätze die Mainpost wirklich sehr. Aber die Bezeichnung "Russlanddeutsche" ist einfach falsch!
    Diese Bezeichnung geistert zwar ständig durch alle Medien, aber subsummiert alle unter diesem Begriff, auch wenn sie gar nicht aus dem eigentlichen Russland kommen:
    "Albina Baumann wurde in Kasachstan geboren"
    Wir müssen uns schon entscheiden: Sowjetunion = heutiges Russland?!
    Falsch und würde ja dann auch fälschlicherweise Herrn Putin und seinem Angriffskrieg bzw. seinen Motiven dafür Recht geben!!!
    Ähnliches geschah ja auch in den 1990er-Jahren (Stichwort "Russen-Mafia") und auch vor einigen Jahren beim Betrug im Zusammenhang mit Pflege (Stichwort "russische Pflegedienste, dabei war die Chefin Deutsche, allerdings aus der Sowjetunion stammend).
    Man sollte doch besser z.B. von Aussiedlerinnen/Aussiedlern sprechen, oder von Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion.
    Ich halte das nicht für ein rein semantisches Problem: Die Ukraine kämpft aktuell zu Recht um ihre Eigenständigkeit!
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  • G. K.
    „Wer sind dann die Menschen, die der russischen Staatspropaganda verfallen?
    Baumann: Ich glaube es sind Menschen, die in einem System aufgewachsen sind, in dem man staatlichen Organen nicht trauen kann.“

    Irgendwie meine ich hier einen gewissen Logikfehler erkennen zu können …
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