Sie kommen aus der Ukraine, der Krieg zwang sie zur Flucht. Elf Frauen, die ihre Heimat schmerzlich vermissen und vom Einmarsch der russischen Armee in ihr Land genauso überrascht waren wie viele andere auch. Mit Hilfe zweier Dolmetscherinnen erzählen sie uns ihre Geschichten, sind überwältigt von der Gastfreundschaft in Deutschland und Polen – und wollen doch eigentlich nur zurück.
1. Ludmila Boikova (44) aus Luhansk
Es ist das zweite Mal, dass Ludmila gezwungen ist, ihr Zuhause zu verlassen. 2014 flieht sie mit ihrer Tochter aus ihrer Heimatstadt Luhansk. Im Februar flieht sie aus Charkiw. Der Krieg verfolgt die 44-Jährige. Jetzt wohnt sie mit ihrer Tochter in Würzburg. Ich treffe die beiden am Europatag, an der Umweltstation in Würzburg. Die beiden lachen viel, albern rum. Trotz der Schrecken, die sie erlebt haben. „Die Schönheit und die Gastfreundschaft der Stadt geben mir Kraft, um vorwärtszugehen“, sagt Ludmila. Und an das Beste zu glauben.
2. Inna Khmiel (36) mit Valeria (8) und Roma (2) aus Odessa
„Valeria und Roma haben die ganze Zeit geweint“, sagt Mutter Inna. Valeria ist acht, ihr kleiner Bruder gerade mal zwei Jahre alt. Sie verstehen nicht, was passiert. Seit dem 24. Februar ist Krieg in Odessa. Und die junge Familie ist mittendrin. Eigentlich wollen sie bleiben. In ihrer Heimat am Schwarzen Meer. Aber die Situation spitzt sich zu. Eine andere Familie stirbt bei einer Explosion. Inna und ihre Kinder stehen nur ein paar Meter entfernt. Ihr wird klar, dass sie hier weg müssen. „Alle wollen raus“, sagt Inna. Sie packt die Kinder ein und fährt in Richtung Slowakei. Dann ist der Tank leer. Aber Benzin ist rar in Kriegszeiten. Nach fast zwei Tagen geht es endlich weiter. Über Ungarn nach München. Dann weiter nach Würzburg. Über Verwandte finden sie eine Wohnung in Bad Kissingen.
3. Natalie Papazoglu (39) aus Kiew
„Um 4 Uhr morgens ging es los!“, sagt Natalie. Sirenen und Bombenlärm. Die junge Musikerin wohnt in Kiew. Um 5 Uhr gibt es nur noch ein Thema in den Medien: Krieg. Natalie will trotzdem bleiben. Sie hofft, dass der Krieg schnell vorbeigeht. Jede Nacht verbringt sie mit anderen im Keller. Sie traut sich kaum vor die Tür. Nach drei Wochen Krieg schlagen Bomben in der Nachbarschaft ein. Natalie beschließt zu fliehen. „Auch wenn ich es eigentlich nicht wollte“, sagt sie. Kiew ist ihre Heimat. Sie packt und fährt los. Unterschlupf findet Natalie in Ebern. Bei Pia Praetorius im Gästehaus der Musikakademie Schloss Weißenbrunn (Lkr. Haßberge). Ein Glücksfall. Dort trifft sie andere Musikerinnen und Musiker, nimmt Songs auf und singt bei Konzerten. „Pia behandelt uns wie ihre Familie!“, sagt Natalie.
4. Irina Gorbatenko (38) aus Browary bei Kiew
Irina sitzt in einem Garten am Rand von Waldbrunn. Alles blüht. Ihre zwölfjährige Tochter ist gerade in der Schule in Höchberg. Eigentlich wohnt Irina in Browary, in der Nähe von Kiew. Im 16. Stock eines 25-stöckigen Hauses. Aus ihrem Fenster sieht sie am 24. Februar die Blitze der Raketen. Sie hört das Pfeifen der Marschflugkörper. Artillerie und Explosionen nur wenige Kilometer von ihrem Haus. „Das war hart, sehr hart“, sagt Irina. Die Situation setzt ihr zu. Psychisch und körperlich. Mit ihrer Tochter flieht sie über Polen nach Deutschland. „Wir haben hier sehr freundliche und sensible Menschen getroffen“, sagt Irina. Sie kommen bei einer Familie in Waldbrunn im Landkreis Würzburg unter. Irina ist dankbar. Aber am liebsten würde sie sofort wieder zurück in die Heimat.
5. Tetiana (36) mit Java (6) Baz aus Czernowitz
„Es war einfach schrecklich!“, sagt Tania. Und das Wort fällt immer wieder im Gespräch. Sie wohnt in Czernowitz. „Direkt neben dem Flughafen“, erklärt Tania. Und der wird von Anfang an von den russischen Truppen bombardiert. Mit ihrer Tochter Java verbringt sie mehrere Nächte im Keller. Sirenen. Bombenlärm. Schrecklich. Sie hält es nicht aus. „Wir mussten da raus!“ sagt Tania. Über Polen flieht sie nach Deutschland. Erst wohnt sie bei einer Familie. Dann findet sie eine eigene Wohnung in Bad Kissingen.
6. Halina Kushnir (40) aus Kiew
Halina geht nicht vor die Tür. Eine Woche verbringt sie in ihrem Apartment. „Ich hatte Angst rauszugehen!“, sagt die 40-Jährige aus Kiew. Der Lärm der Explosionen, die Sirenen. Der Krieg macht sie depressiv. Kurzfristig bekommt sie einen Platz in einem Bus. Sie zögert nicht. 30 Stunden dauert die Reise nach Polen. Halina ist müde. Aber die Menschen dort sind sehr hilfsbereit. Sie reist weiter nach Berlin. Dort sind zu viele Geflüchtete. Sie findet keinen Platz und fährt weiter. In Bad Kissingen findet sie endlich eine Unterkunft. Und Ruhe. Sie hilft in einem kleinen Laden am Sinnberg, in dem sich die Geflüchteten kostenlos mit Kleidung und Alltagsbedarf eindecken können.
7. Svetlana Yevlakova (52) aus Kiew
Als in der Nachbarschaft die ersten Bomben einschlagen, ist für Svetlana klar: Sie muss hier weg. Die 52-Jährige kommt aus Kiew. Sie lässt alles zurück und macht sich mit ihrer Tochter auf den Weg nach Warschau. Die Tochter geht zu Freunden nach Berlin, Svetlana reist weiter nach Hammelburg, zu Bekannten. Eine Familie aus Bad Kissingen nimmt die Ukrainerin auf. „Die Situation in Kiew ist immer noch gefährlich“, sagt Svetlana. Täglich steht sie in Kontakt mit Freunden und Verwandten in der ukrainischen Hauptstadt. „Aber viele wollen trotzdem nicht weg aus ihrer Heimat“, fügt sie hinzu.
8. Anna Zinoveva (40) aus Charkiw
Der Lärm der Bomben weckt Anna am frühen Morgen des 24. Februar. Sie wohnt in einem 14-stöckigen Hochhaus in Charkiw. Die junge Frau geht zum Fenster und kann es nicht fassen. „Die Bilder waren schrecklich“, sagt Anna. Rauch, Feuer, Zerstörung. 26 Tage verbringt sie mit anderen Familien im Keller. Sie kann nicht schlafen. Die Sirenen dröhnen den ganzen Tag. Mit ihrem Sohn flieht sie nach Deutschland. Und findet eine Unterkunft in Bad Kissingen. Täglich telefoniert sie mit Freunden und Verwandten in ihrer Heimat. „Unser Haus in Charkiw steht noch“, erklärt die 40-Jährige. „Aber es hat keine Fenster mehr“, fügt sie hinzu.
9. Polina Kucherenko (26) aus Kiew
„Der Krieg hat angefangen“, sagt ihre Mutter am 24. Februar um 5.30 Uhr zu Polina am Telefon. Die junge Frau will es nicht wahrhaben. Aber sie hört den Lärm der Bomben. Dann heulen Sirenen. Eilig packt sie das Nötigste und flieht in eine Garage. Zwei Tage verbringt sie dort. Als das Haus der Großeltern bei einem russischen Angriff zerstört wird, beschließt die Familie, Kiew zu verlassen. Polina und ihre Mutter fliehen nach Deutschland. Sie landen in einer Flüchtlingsunterkunft in Schweinfurt. „Die Bedingungen dort waren furchtbar“, sagt Polina. Vier Tage wohnen sie in einem Zelt. Es ist Februar, sie frieren. Eine Freundin liest in der Zeitung, dass das Kloster in Triefenstein im Landkreis Main-Spessart Geflüchtete aufnimmt. Polina und ihre Mutter können dort einziehen. „Das ist wie ein neues Zuhause“, sagt Polina.
10. Svitlana Shyrshykova (37) aus Luzk
Svitlana kommt aus Luzk. Die Stadt wird bombardiert. Vom ersten Kriegstag an. Die Bürger fliehen, alle Verkehrswege sind überlastet. Die junge Mutter hat große Angst um ihre Tochter, die gerade mal 13 ist. Aber die beiden kommen nicht weg. Ende Februar schaffen sie es in einen Bus und kommen nach Polen. Tagelang harren sie im polnischen Grenzgebiet aus. Mit unzähligen anderen Flüchtenden. Dann geht es endlich weiter. Über München kommen sie nach Bad Brückenau. „Die Deutschen sind sehr hilfsbereit“ sagt Svitlana.
11. lilia Kozenko (36) aus Charkiw
Links und rechts schlagen die Bomben ein, als Lilia im Zug unterwegs ist von Charkiw nach Polen. Zwei Tanten von ihr sind bereits tot. Mehrere Tage verbringt sie zuvor mit ihrem Sohn im Keller. Er ist 16 und will nicht weg. „Das geht vorbei“, sagt er. Aber sie haben Angst. Explosionen. Der Lärm der Sirenen. Sie hält es nicht mehr aus und will weg aus dem Kriegsgebiet. „Aber alle Züge waren voll!“, sagt Lilia. Schließlich schaffen sie es doch nach Polen. „Die polnischen Menschen waren extrem hilfsbereit“, so Lilia. Sie bekommen Essen. Über Berlin kommen sie nach Bad Brückenau.