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Lülsfeld
Reaktionen nach Anklage gegen "Go&Change-Guru": Betroffene sind erleichtert - Kein Thema bei Bürgern in Lülsfeld
Bei der Bürgerversammlung gab es keine Fragen zu der im ehemaligen Kloster lebenden Gemeinschaft. Dagegen melden sich Aussteiger und Angehörige zu Wort.
Die umstrittene Gemeinschaft 'Go&Change' bewohnt in Lülsfeld ein ehemaliges Kloster.
Foto: Silvia Gralla | Die umstrittene Gemeinschaft "Go&Change" bewohnt in Lülsfeld ein ehemaliges Kloster.
Benjamin Stahl
,  Christine Jeske
 und  Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 05.11.2023 02:37 Uhr

27. Oktober 2023 am Ortsrand von Lülsfeld im Landkreis Schweinfurt: Aus den Fenstern des ehemaligen Klosters "Maria Schnee" dringt an diesem Freitagabend nur vereinzelt etwas Licht nach außen. Einige Meter entfernt laufen zwei Männer eilig die Straße hinunter Richtung Sportheim. Dort hat Bürgermeister Thomas Heinrichs gegen 19 Uhr zur Bürgerversammlung eingeladen.

Etwa 50 Bürgerinnen und Bürger sind gekommen. "So voll war der Saal zur Bürgerversammlung noch nie", sagt Heinrichs zu Beginn seines Vortrags. Es geht um den Ausbau der Kirchstraße, die anstehende Sanierung von Abwasserrohren und die Verlegung eines Kriegerdenkmals. Themen, über die man bei einer Bürgerversammlung eben spricht, so Heinrichs. 

Bürgermeister: Seit eineinhalb Jahren keinen Klosterbewohner mehr gesehen

Die aktuellen Entwicklungen zur Lebensgemeinschaft "Go&Change", die seit sechs Jahren das Klostergebäude bewohnt und in deren Umfeld es mehrere Todesfälle gegeben hat, gehören an diesem Abend nicht zu den Themen. Als die Redaktion den Bürgermeister danach fragt, weicht er aus. "Wenn das ein Thema gewesen oder jemand besorgt gewesen wäre, hätte er die Frage jederzeit stellen können."

Heinrich selbst gibt an, in den vergangenen eineinhalb Jahren keinen Klosterbewohner mehr zu Gesicht bekommen zu haben. Und aus der Bürgerschaft? "Mit mir hat noch keiner darüber gesprochen", so Heinrichs. Auch die Klosterbewohner seien nicht auf ihn zugegangen.

Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen "Guru" erhoben

Dabei sind die Vorgänge rund um "Go&Change" seit vergangener Woche wieder brandaktuell: Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt hat Anklage gegen den Kopf der Gemeinschaft erhoben. Der 41-jährige Kai K., der unter Anhängerinnen und Anhängern den Status eines Gurus genießt, wurde Mitte Mai festgenommen. Ihm werden mehrere Fälle von Vergewaltigung sowie gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung vorgeworfen.

Sein Anwalt Klaus Spiegel wollte sich auf Nachfrage der Redaktion nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandaten äußern. Aussteiger von "Go&Change" und Angehörige von Mitgliedern sind erleichtert, dass Anklage erhoben wurde. Mehrfach hatten sie sich bei der Redaktion nach dem aktuellen Stand des Verfahrens erkundigt.

Betroffene spüren keine Genugtuung, sondern hoffen auf Gerechtigkeit

"Es wird nie gut werden können, ich habe mein Kind verloren an eine 'Gemeinschaft', die von menschenverachtenden Köpfen gesteuert wird", sagt etwa die Mutter von Sophie. Die junge Frau war einige Monate Teil von "Go&Change" und hat im August 2022 Suizid begangen.

Sophies Mutter ist überzeugt: Mit den "heimtückischen Methoden" von K., die unter dem Namen von "Go&Change" stattfinden, seien zahlreiche Menschen seelisch und auch körperlich verletzt worden. "Das Schlimmste, was geschehen konnte, ist mir als Mutter und unserer Familie widerfahren: Meine Tochter hat dem Druck von K. und 'Go&Change', wovon Sprachnachrichten zeugen, nicht ausweichen können. Sie hatte keine Kraft mehr und so kam es zur Katastrophe: Sophie hat sich unter diesem brutalen Einfluss das Leben genommen!"

Nicht nur Sophies Mutter, auch Ralf B., der einst zusammen mit seiner Frau zu "Go&Change" näheren Kontakt hatte, sowie der Schweizer Reto Giacopuzzi, dessen Freund Roland im Oktober 2022 an einem Drogencocktail im ehemaligen Kloster in Lülsfeld starb, setzen nun auf die Justiz. Ralf B. sagt: "Für mich war es nur eine Frage der Zeit, dass Anklage erhoben wird. Ich fühle keine Genugtuung, sondern bin froh, dass der Weg der Gerechtigkeit gegangen wird. Und ich hoffe, dass Recht gesprochen wird."

Giacopuzzi, der fast 40 Jahre mit Roland sehr eng befreundet war, hofft, dass es nach der Anklageerhebung zum Prozess kommt "und der deutsche Rechtsstaat seine Möglichkeiten gerecht und voll ausschöpft". Er sei immer noch traurig über den plötzlichen Tod von Roland. "Und es macht mich immer noch fassungslos, wenn ich darüber nachdenke, wie mein bester Freund einen 'Guru' wie K. gut finden konnte und geglaubt hatte, er könne von ihm 'geheilt' werden. Ich werde es wohl nie verstehen." Er würde sich wünschen, "dass sich noch viel mehr Betroffene melden, die durch Gruppenzwang und Psychodruck nicht 'geheilt', vielmehr geschädigt worden sind".

Eine Aussteigerin ist ebenfalls erleichtert, dass "nach so vielen Jahren, in denen K. im Verborgenen sein Unwesen getrieben hat", die Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben hat. "Ich hoffe, er wird nie wieder irgendeinem Menschen Leid zufügen können. Weder körperlich noch psychisch." Sie habe, seit sie mit der Aufarbeitung ihrer Zeit in der Gemeinschaft begonnen habe und ihr "mehr und mehr das Ausmaß der dort stattfindenden Gewalt klar wurde", gehofft, dass es zur Festnahme kommt. "Dass erst noch so viel mehr Leid passieren musste, ist jedoch tragisch."

Gesuchtes Kind bleibt verschwunden

Unterdessen suchen die Behörden weiterhin nach einem Kind, das bei "Go&Change" gewohnt hat. Kurz nach der Festnahme von Kai K. hatte das Jugendamt Schweinfurt die Inobhutnahme des Kindes angestoßen, mittlerweile hat ein Familiengericht die Vormundschaft für das Kind auf das Jugendamt übertragen. Einzelheiten wurden mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Kindes nicht bekannt gegeben. Wie ein Sprecher des zuständigen Landratsamtes am Montag bestätigte, ist der Aufenthaltsort des verschwundenen Kindes noch immer unbekannt.

 
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