
Erika Longino hatte mehrere Schutzengel. Es war der 21. Mai 2024. Den ganzen Tag über fühlte sie sich nicht wohl, nahm das aber nicht weiter ernst. Die Tochter ihres Lebensgefährten ließ nicht locker und bestand darauf, ein Krankenhaus aufzusuchen. Sie fuhren von ihrer Wohnung in Münnerstadt los ins Rhön-Klinikum nach Bad Neustadt. Kaum hielten sie auf dem Parkplatz vor der zentralen Notaufnahme und stiegen aus, brach die 74-Jährige zusammen: Kammerflimmern. Das bedeutet, aus dem Herz wird kein Blut mehr herausgepumpt, sodass das Kammerflimmern eine Form von Herzstillstand ist. Ohne sofortige Behandlung ist das tödlich.
Die Stieftochter rannte in die Notaufnahme. Dort reagierte man schnell. Das Team der Notaufnahme und auch ein Notfall-Team der Klinik eilten auf den Parkplatz und noch auf dem Weg ins Krankenhaus und in den Schockraum der Notaufnahme wurde mit der Reanimation begonnen. Dreimal wurde eine Defibrillation durchgeführt. Nach einer langen Reanimation von 23 Minuten konnte bei Erika Longino dann wieder ein Herzkreislauf aufgebaut werden.
"Die Zeitspanne bis zur Wiederherstellung eines spontanen Kreislaufs ist entscheidend für das Überleben und das neurologische Therapieergebnis des Patienten", erläutert Dr. Jan Kikec, Oberarzt der Kardiologie I am Rhön-Klinikum. "Mit jeder Minute No-flow-Zeit, also ohne passiven Notkreislauf, nimmt die Wahrscheinlichkeit für ein günstiges neurologisches Ergebnis um 13 Prozent ab. Das heißt, nach zehn Minuten Herzkreislaufstillstand ist nicht mehr mit einem günstigen Resultat zu rechnen."

Krankenhausaufenthalt von fünf Monaten
Auf Erika Longino wartete damals ein langer Krankenhausaufenthalt von fünf Monaten. Erst Ende September konnte sie die Klinik nach der Reha verlassen. Erneute fünf Monate später trafen sie und ihr Ehemann Wolfgang Gierlichs sich mit Prof. Dr. Sebastian Kerber, Chefarzt der Klinik für Kardiologie I, und Dr. Kikec sowie dieser Redaktion.
Erika Longino kommt auf dem Arm ihres Mannes gestützt und mit einem Wanderstock in der Hand. "Ich bin noch etwas unsicher beim Gehen. Auch bin ich relativ schnell erschöpft", sagt die Frau. Vor allem rechts fehle ihr noch die Kraft. "Im Kopf bin ich jedoch vollkommen klar." Insgesamt ist sie aber zufrieden mit ihrem Befinden. Sie ist sich bewusst, dass sie viel Glück gehabt hat und dass es bedeutend schlimmer hätte ausgehen können. Bei einer Reanimation außerhalb eines Krankenhauses liege die durchschnittliche Überlebensrate bei acht Prozent, innerhalb eines Krankenhauses zwischen 15 und 34 Prozent, sagt dazu der Oberarzt.
Häufig würden Patientinnen und Patienten nach einer Reanimation an neurokognitiven und emotionalen Problemen sowie Müdigkeit leiden, erläutert Kikec weiter. Auch sei es nicht selten, wenn sie und auch Angehörige eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.

Ursache: Schwere koronare Gefäßerkrankung
Als Ursache für das Kammerflimmern wurde bei Erika Longino eine schwere koronare Herzerkrankung festgestellt. Sie selbst habe im Vorfeld außer einem vereinzelten beklemmenden Gefühl in der Brust keine Beschwerden gehabt. Insbesondere ein Gefäß war hochgradig eingeengt, erklärt Prof. Kerber. Mittels Katheter wurden zwei Stents eingesetzt, um das verengte Blutgefäß offenzuhalten. "Kardiologisch konnte die Patientin relativ rasch stabilisiert werden", so Kerber. "Als wir sie jedoch langsam wieder wach werden lassen wollten, mussten wir feststellen, dass sie nicht richtig wach wurde."
Während der Reanimation sei Erika Longino natürlich mit Sauerstoff versorgt worden. Neurologische Schäden könnten jedoch dennoch nicht ausgeschlossen werden. Deshalb seien die Kollegen der Neurologie hinzugezogen und die 74-Jährige sei auf die dortige Intensivstation verlegt worden. Hier wurden eine Lähmung der Extremitäten und eine Schluckstörung festgestellt.
"Dass Frau Longino wieder auf die Beine gekommen ist, ist ein Verdienst der Neurologie. Das gelingt nicht immer", konstatiert der Chefarzt. Stück für Stück seien in der Klinik und in der darauffolgenden zehnwöchigen Reha die körperlichen Fähigkeiten wieder zurückgewonnen worden.

Erika Longino: "Ich bin ein positiv denkender Mensch"
"Ich bin ein positiv denkender Mensch", sagt Erika Longino. Das habe ihr im Krankenhaus geholfen. "Als ich im Rollstuhl saß, sah ich einen Mann mit einem Rollator und sagte mir, dass ich das irgendwann auch schaffen werde." Und schließlich habe sie tatsächlich wieder stehen können.
Was trug dazu bei, dass Erika Longino alles gut überstanden hat? "Es ging sehr schnell", sagt Kikec dazu. "Ein Reanimationsteam war vor Ort und konnte unmittelbar mit der Wiederbelebung beginnen." Auch sei gleich eine Herzkatheteruntersuchung mit Wiederherstellung der Durchblutung der Gefäße durchgeführt worden. Außerdem biete eine so große Einrichtung wie der Campus Vorteile. Beispielsweise ist der Campus ein zertifiziertes Zentrum für eine spezialisierte Behandlung nach einem Herz-Kreislaufstillstand und verfügt über die für die 74-Jährige wichtig gewesene Neurologische Klinik mit Rehabilitationsschwerpunkt.
"Wären Sie auf einer Wanderung entfernt von einer Behandlungsmöglichkeit gewesen, hätten Sie wahrscheinlich keine Chance gehabt", sagt Kerber an Erika Longino gewandt. Auch sei es ein Glück gewesen, dass sie nicht bereits im Auto das Kammerflimmern bekommen hat. Generell sei es sinnvoll, fügt Dr. Jan Kikec an, die 112 zu wählen und nicht selbst ins Krankenhaus zu fahren. Sollte es auf der Fahrt zu Problemen kommen, könne im Rettungswagen schon reagiert und auch reanimiert werden.
Angst ist ein bestimmendes Thema geworden
"Ist das Leben seitdem anders geworden?", fragt Prof. Kerber die einstige Patientin. "Ich möchte wieder sicher sein, leben zu können", sagt diese dazu. Angst sei ein bestimmendes Thema geworden. "Ich habe Angst", seien auch die letzten Worte gewesen, die Erika Longino vor ihrem Zusammenbruch vor der Notaufnahme gesagt habe, fügt ihr Ehemann an.
Mit diesem lebt sie seit zehn Jahren auf Lanzarote. Rund 30 Jahre wohnte sie zunächst in Poppenlauer, wo sie ein Kosmetikstudio führte, und später in Münnerstadt. Ihre dortige Wohnung hat sie noch. Zunächst möchte sie eher nicht nach Lanzarote zurückkehren. Ihre Wohnung in Münnerstadt sei überschaubarer und dort fühle sie sich auch sicherer. "Ich muss erst einmal zu mir finden. Derzeit sortiere ich mich. Was traue ich mir zu und was noch nicht?", sagt Erika Longino. Der Lebenswille jedoch, der sie durch ihre Zeit im Krankenhaus getragen habe, sei ungebrochen.
Erika Longino ist heute vielen Menschen sehr dankbar. Zunächst ihrer Stieftochter, die darauf beharrte, ins Krankenhaus zu fahren. "Das hat wahrscheinlich mein Leben gerettet." Vor allem aber auch den Ärzten, Pflegern und Therapeuten des Rhön-Klinikums. "Sie haben mir sehr viel innere Ruhe gegeben und mir immer wieder Mut gemacht." Jeder noch so kleine Erfolg habe sie angespornt, weiterzumachen. Der Zuspruch von allen Seiten habe sie sehr gestärkt. "Ich habe unglaubliches Glück gehabt."