Sie war das Gegenteil der Mehrheit: Als sie mit 25 Jahren für die SPD in den Bad Neustädter Stadtrat gewählt wurde, nannte man sie "Rote Rita". Auch heute schwimmt die 64-jährige Rita Rösch mitunter gegen den Strom – wie bei der jüngsten Haushaltsabstimmung deutlich wurde. Was Rita Rösch über die aktuelle Stadtratsarbeit und Bad Neustadts Herausforderungen der Zukunft denkt.
Rita Rösch: Die Arbeit mit den Menschen vor Ort. Ich kann etwas für die Gesellschaft tun und mich einbringen.
Rösch: Ich war 15 Jahre alt, da haben wir uns in Bad Neustadt ein Jugendzentrum erkämpft. Die Initiative, eine Gruppe Jugendlicher, kämpfte zwei Jahre und war letztlich erfolgreich. Damals habe ich gemerkt: Man kann etwas erreicht, wenn man durchhält und einen langen Atem hat. Als Auszubildende bei Siemens kam ich über meinen Freund mit der Gewerkschaftsjugend und SPD in Kontakt. Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Alfred Schmitt, motivierte mich letztlich zur Stadtratskandidatur.
Rösch: Ich war gerade mal 24 Jahre alt, jung und unbekümmert. Ich habe kandidiert und plötzlich war ich gewählt. Erst dann habe ich überlegt: Was bedeutet das jetzt für mich?
Rösch: Ich bin aufgefallen, schon durch meinen Kleidungsstil. Die übrigen Stadtrats-Kollegen kamen im Anzug, die Kolleginnen, Frau Preh und Frau Habermann, in Kleid oder Kostüm. Ich besaß so etwas nicht. Ich kam mit weißer Hose und T-Shirt und war auch schick gekleidet - für mich schick gekleidet. Ich war das Gegenteil von der Mehrheit.
Rösch: Inhaltlich habe ich in vielen Bereichen anfangs nur Bahnhof verstanden. Die haben über Kanäle gesprochen, ich wusste nicht, wovon sie reden. "Ich fühl' mich hier fehl am Platz", gestand ich dann auch schnell meinem Fraktionsvorsitzenden Alfred Schmitt. Daraufhin wurde er zu meinem Mentor. Die ersten sechs Jahre waren Lernjahre. Schmitt war ein sehr gründlicher Mensch. Er hat mich auf Baustellen mitgenommen, mir das Kanalnetz ebenso erklärt wie den Haushalt. Andere Themen, die ich wichtig fand, wurden dagegen nur am Rande behandelt. Berufstätige Frauen, die ich kannte, wünschten sich beispielsweise eine Kinderbetreuung für Kleinkinder. "Brauch ma net!", war die gängige Meinung, "wer Kinner will, soll daheim bleiben."
Rösch: Indem ich mich in die Materie eingearbeitet habe. Wenn ich etwas nicht verstanden habe, habe ich gefragt. Und dabei gemerkt, wie viele plötzlich die Ohren gespitzt haben, weil sie es auch nicht verstanden hatten. Außerdem war ich immer da, habe meine Aufgaben erfüllt. Wenn ich von einer Sache nicht überzeugt war, habe ich dagegen gestimmt. Ich habe meine Meinung gesagt und nicht einfach nur nachgeredet. Aber ja, ich wurde anfangs nicht so ernst genommen. Für einige waren junge Frauen schmückendes Beiwerk, aber keine ernstzunehmende Kollegin. Das bekam ich oftmals deutlich zu spüren.
Rösch: Da sind Sachen passiert, die kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Unter Fritz Steigerwald gab es parteipolitisch gesehen nur schwarz. Spätestens als ich als SPD-Bürgermeister- und Landtagskandidatin antrat, hatte ich massive Schwierigkeiten. Die weitere Ausbildung, die ich mir wünschte, Fortbildungen - nichts wurde mir ermöglicht. Die Kämpfe, die ich ausfechten musste, gingen teils schon sehr weit. Aber das ist Geschichte und der Gegenwind hat mich letzten Endes gestärkt.
Rösch: Sehr positiv in Erinnerung habe ich die Anfangszeit unter Bürgermeister Bruno Altrichter. Er hat es geschafft, aus dem Stadtrat eine Gemeinschaft zu formen. Da machte nicht einer etwas, sondern wir haben als Stadtratsgremium zusammen Dinge entwickelt. Einer unserer Meilensteine war die Stadthalle. Das war für mich ein Projekt, das rundum funktioniert hat. Auch, weil die Öffentlichkeit mitgenommen wurde. Weitere Meilensteine waren für mich die Stadtentwicklung und das Modellprojekt "Leben findet Innenstadt". Beide Male hatten wir eine Strategie, eine Prioritätenliste, nach der wir gezielt vorgingen.
Rösch: Es gab eine Zeit, da überlegte man, ob nicht die Innenstadt und alle Wohngebiete in Tempo-30-Zonen umgewandelt werden. Damals konnte ich mir das sehr gut vorstellen. Bedauerlich ist auch, dass wir für die Jugend zu wenig Plätze und Angebote geschaffen haben. Heute stehen wir wieder an dem Punkt, an dem ich vor 40 Jahren gestartet bin.
Rösch: So einen Start, wie den des aktuellen Stadtrats in diese Wahlperiode, habe ich noch nie erlebt. Das liegt natürlich an Corona, das möchte ich auch keinem zum Vorwurf machen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, finden aber zu wenig Beachtung. Von den Jüngeren würde ich mir manchmal mehr Biss und Veränderungswillen wünschen.
Rösch: Mir fehlt aktuell die Prioritätenliste: Wo wollen wir als Stadt hin? Es gab in der jüngsten Vergangenheit so einschneidende Veränderungen. Die Stadt ist Eigentümer von Heilquellen, das Triamare ist sanierungsbedürftig. Soll unsere Stadt als Gesundheitsstadt eine wichtige Rolle spielen? Was machen wir im Bereich Umweltschutz? Wie wollen wir uns beim Thema Energie entwickeln? Und nicht zu vergessen ist, dass Bad Neustadt Standort von Betrieben mit zahlreichen Arbeitsplätzen ist. Viele fragen mich: Geht es mit Nahwärmenetzen weiter? Da fehlt mir einfach eine klare Linie.
Rösch: Ich würde nicht sagen verschlafen. Ich finde, wir setzen manchmal falsche Prioritäten und stellen die falschen Fragen. Wichtige Fragen wären für mich: Wie kann man Menschen Eigentum ermöglichen, ohne den Flächenverbrauch weiter hochzufahren? Welche Alternativen gibt es zum Abriss des alten Kreiskrankenhauses? Wie müssen wir uns im Pflegebereich aufstellen? Die Zeiten haben sich geändert. Aber wir machen in vielen Bereichen weiter, ohne intensiver über neue Konzepte und neue Lösungswege nachzudenken. Es braucht mehr Visionen.
Rösch: Ich wollte während der Stadtratsdiskussion nicht noch Öl ins Feuer gießen. Aber ja, wir von der SPD-Fraktion haben sechs Wochen vor der Haushaltsentscheidung eine E-Mail an alle Fraktionen geschrieben, doch noch mal darüber nachzudenken, wie wir mit der Alten Amtskellerei umgehen und wie wir notwendige Maßnahmen finanzieren wollen, die noch nicht im Haushalt dargestellt sind. Da kam von niemandem eine Rückmeldung. Nur der Bürgermeister antwortete dem Fraktionssprecher: Wir prüfen ja jetzt erst einmal die Kosten, dann sehen wir weiter. Ja, es gab Impulse von uns!
Rösch: Im Bereich der Schulen und Kindergärten setzen wir derzeit viel um. Gut finde ich beispielsweise auch, dass beim Umbau des Mühlbacher Kindergartens die alte Substanz erhalten wird.
Rösch: Wichtig sind mir der Erhalt und die Sanierung des Triamare. Auch für die Heilquellen muss eine Lösung gefunden werden. Über die alte Amtskellerei muss noch mal nachgedacht werden, ob sie eventuell anders genutzt werden kann. Auch das Nahwärmenetz sollte weiter ausgebaut werden. Über die Stadt verteilt würde ich mir mehr grüne Wohlfühloasen wünschen.
Rösch: Wir müssen die Gemeinschaft erhalten. Bürger sollten stärker spüren, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Ich höre immer wieder den Satz: "Das interessiert euch Politiker doch eh nicht!" Nehmen wir zum Beispiel die medizinische Versorgung, aktuell die Augenarzt-Frage. Das ist zwar nicht direkt eine Aufgabe der Kommune, aber für die Bürger ein wichtiges Thema. In diesen Bereichen müssten wir mehr bewegen. Es muss uns gelingen, unsere finanziellen Mittel so einzusetzen, dass unsere Stadt zukunftssicher und lebenswert für unsere Bürger und Besucher und auch weiterhin ein attraktiver Standort für Arbeitsplätze bleibt.
Rösch: Ich finde das schade, ja! In den letzten 25 Jahren war immer eine Frau in der Bürgermeister-Spitze mit dabei. Bei der Stadtratswahl waren vier Frauen unter den ersten sechs Plätzen zu finden. Diese erhielten zusammen fast 17.000 Stimmen. Die beiden Männer kamen auf etwas über 8000 Stimmen. Trotzdem entfiel der Posten per Losentscheid auf Norbert Klein. Die beiden Stellvertreter machen ihre Arbeit gut, keine Frage. Es geht auch nicht darum, dass ich diesen Posten unbedingt wollte. Aber eine Frau in der Führung wäre wichtig gewesen. Frauen machen anders Politik als Männer. Nicht besser oder schlechter, aber anders. Auch Frauen sollten repräsentieren. Insofern war diese Stellvertreterwahl für mich ein Schritt zurück.
Rösch: Durch mein Netzwerk konnte ich schon vielen Menschen helfen, die sich nicht so gut selbst wehren können. Darüber hinaus ist es mir wichtig, das Ehrenamt und das Engagement für die Gemeinschaft vorzuleben. Man kann nicht immer nur fordern, sondern muss auch selbst etwas tun.
Rösch: Ich weiß es nicht. Aus heutiger Sicht würde ich eher sagen, nein. Ich hätte gerne, dass junge Leute ihre Zukunft in die Hand nehmen. Insofern wäre ich froh, wenn es genug Kandidaten geben würde. Im Hintergrund kann ich diese dann gerne unterstützen.