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Wiesenfeld
Stimmen nach dem Prozess im Mordfall Sabine B.: Wie reagieren die Menschen aus Wiesenfeld auf das Urteil?
"Das hat die ganze Gegend aufgewühlt", sagt ein Wiesenfelder über den Prozess. Viele Menschen aus dem Ort in Main-Spessart verbinden persönliche Erinnerungen mit dem Fall.
Der Mordfall Sabine B. beschäftigte die Menschen in Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart über Jahrzehnte. Der Prozess weckte Erinnerungen - und wurde aufmerksam verfolgt. 
Foto: Henry Urmann, MP Archiv, Collage | Der Mordfall Sabine B. beschäftigte die Menschen in Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart über Jahrzehnte. Der Prozess weckte Erinnerungen - und wurde aufmerksam verfolgt. 
Felix Hüsch
 und  Tabea Goppelt
 |  aktualisiert: 27.12.2024 02:38 Uhr

Mehr als drei Jahrzehnte liegt der Mord an der 13-jährigen Sabine B. zurück. Am Freitag wurde für die Tat ein 48-Jähriger vor dem Landgericht Würzburg schuldig gesprochen und zu sechs Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Einen ganzen Ort im Landkreis Main-Spessart hat in all den Jahren der ungeklärte Fall nie vollständig losgelassen. Wie haben die Menschen in Wiesenfeld bei Karlstadt den Prozess erlebt - und was sagen sie zu dem Urteil?  

Damaliger Schülersprecher: Hoffnung auf Frieden für Sabines Eltern

"Es wurde darüber gesprochen und diskutiert. Eine Geisterstimmung herrschte in Wiesenfeld aber nicht." So kommentiert Stadtrat Ingo Röder die Stimmung vor und während des Prozesses. Er hofft, dass das Urteil für die Eltern von Sabine eine Form der Genugtuung ist und sie nun "ihren Frieden finden können". Das Urteil des Landgerichts Würzburg ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung hat angekündigt, in Revision zu gehen.

Röder, zum Zeitpunkt der Tat 1993 selbst Schülersprecher der Karlstadter Hauptschule, sagt, er habe damals sporadischen Kontakt zu Sabine gehabt. "Das war tragisch, als jemand aus der eigenen Mitte rausgerissen wurde."

Ehemaliger zweiter Bürgermeister: Ein "schwarzer Schleier" über dem Ort

Theo Dittmaier, Stadtratsmitglied und CSU-Ortsverbandsvorsitzender von Wiesenfeld, spricht zwar auch nicht von Geisterstimmung, wohl aber von einem "schwarzen Schleier", der seit der Tat über Wiesenfeld gelegen habe. "Für die Familie war es sicherlich nicht leicht, diese schreckliche Vergangenheit nochmal durchleben zu müssen." Er wünsche den Eltern viel Kraft bei der Verarbeitung.

Dittmaier hatte sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte in seiner früheren Rolle als zweiter und dritter Bürgermeister mit vielen Bürgerinnen und Bürgern, auch aus der Kernstadt und den anderen Karlstadter Ortsteilen, unterhalten. "Egal ob auf Vereinsfeiern oder Hochzeiten, die Tat wurde angesprochen. Immer bestand die Hoffnung, dass der Fall endlich aufgeklärt wird", erinnert er sich.  

Die Verhandlung gegen einen 48-Jährigen am Landgericht Würzburg fand seit September nichtöffentlich statt. Zur Urteilsverkündung an diesem Freitag konnte die Öffentlichkeit dabei sein. 
Foto: Daniel Peter | Die Verhandlung gegen einen 48-Jährigen am Landgericht Würzburg fand seit September nichtöffentlich statt. Zur Urteilsverkündung an diesem Freitag konnte die Öffentlichkeit dabei sein. 

Frühere Stadträtin: Viele in Wiesenfeld vermuten weiterhin mehrere Täter

Auch Paula Werthmann, viele Jahre Stadträtin und Ansprechpartnerin für die Menschen im 1200-Einwohner-Örtchen, setzte sich für die Aufklärung ein. "Ich glaube, es sind viele froh, dass das endlich auch vom Gericht her erledigt ist", sagt die 90-Jährige jetzt. "Das ist wichtig, auch für Wiesenfeld, dass das nicht mehr noch weiter anhaftet."

Viele ihrer Bekannten wüssten über die Zeit nach der Tat "alle noch Bescheid", sagt Paula Werthmann. "Jetzt, zu Weihnachten, kommt man zusammen und dann wird darüber gesprochen." Zurückbleiben werde die Meinung "Der war es nicht allein".

"Ich habe jeden Tag die Zeitung gelesen und mir mein Urteil immer wieder gebildet", sagt Franz-Josef Scheeb. Als stellvertretender Feuerwehrkommandant war er bei der Suchaktion im Dezember 1993 dabei. In den vergangenen Wochen habe jeder auf die Zeitung gewartet, wenn wieder ein Prozesstag angestanden hat. Er selbst sei häufig angesprochen worden: "Das hat die ganze Gegend aufgewühlt."

Jetzt glaubt Scheeb, dass es bald ruhiger wird im Ort: "Es gab jetzt einen Urteilsspruch, der von den Leuten angenommen wird. Den Eindruck habe ich." Als Einsatzkraft damals sehr nah am Geschehen, sagt er für sich: "Ich bin beruhigter damit, dass es ein Urteil gegeben hat – das wird jedem so gehen."

Vorsitzender des Sportvereins: Erinnerungen an die Blaulicht-Nacht 1993

Simon Schäfer, Vorsitzender des TSV Wiesenfeld, war sechs Jahre alt, als der Mord geschah. "Ich kann mich erinnern, Blaulicht im Dorf gesehen zu haben, als es dunkel war. Das waren vielleicht schon die Suchtrupps", sagt Schäfer.

Wiesenfeld ist ein Ortsteil von Karlstadt im Landkreis Main-Spessart. Im Vordergrund zu sehen ist der Reiterhof, auf dem Sabine B. ermordet wurde. Die Scheune ist im September 2022 abgebrannt.
Foto: Johannes Kiefer | Wiesenfeld ist ein Ortsteil von Karlstadt im Landkreis Main-Spessart. Im Vordergrund zu sehen ist der Reiterhof, auf dem Sabine B. ermordet wurde. Die Scheune ist im September 2022 abgebrannt.

"Als es vor ein paar Jahren zum großen Polizeiaufmarsch in Wiesenfeld kam, waren die Leute froh, dass der Cold Case wieder aufgerollt wird", meint der Vereinsvorsitzende. Jetzt hätten viele in seinem Alter die Details des nichtöffentlich geführten Prozesses verfolgt. "Die meisten finden es erstaunlich, an welche Details sich die Leute nach 31 Jahren vor Gericht noch erinnern sollen." Auch die Töchter eines TSV-Mitglieds sollten vor Gericht ihre Aussage von damals erneut zu Protokoll geben, konnten sich aber kaum daran erinnern.

Chorleiterin: Der ungeklärte Fall hat alle Eltern belastet

Belastende Erinnerungen seien zurückgekommen, als im September der Prozess begann, sagt Sigrid Schwab, seit 33 Jahren in Wiesenfeld Chorleiterin. Kurz nach der Tat habe ein Weihnachtskonzert angestanden, das sich nicht mehr absagen ließ. "Das war emotional nicht so einfach damals. Wir hatten da keine Weihnachtsfreude."

Sie habe damals zwei kleine Söhne und eine acht Monate alte Tochter gehabt. "Das war für mich jahrelang nicht so einfach, als die Kinder herangewachsen sind." Der ungeklärte Fall habe alle Eltern im Ort belastet, meint Schwab: "Wir haben gehofft, dass der Mörder bald gefunden wird." Als das dann nicht passierte, sei mit den Jahren über den Mordfall nicht mehr groß gesprochen worden. 

Stadtrat: "Das war schon eine Zeit der Angst"

Auch Stadtrat Rainer Schäfer weiß, dass in den Anfangsjahren nach der Tat vor allem Eltern beunruhigt waren: "Das war schon eine Zeit der Angst", erinnert er sich. Viele Vorverurteilungen, Spekulationen und Gerüchte habe es in den ersten Jahren außerdem gegeben. Im Ort habe jahrzehntelang eine "quälende Unsicherheit" geherrscht.

"Deshalb ist es wichtig, dass es ein Urteil gibt", sagt Schäfer. Die Herangehensweise des Gerichts empfand er als sehr professionell. "Sie haben es sich nicht leicht gemacht", sagt er im Hinblick auf die Vielzahl der Zeugen, die befragt wurden. Auch wenn viele Fragen unbeantwortet geblieben seien, das Urteil sieht der Stadtrat trotzdem als Abschluss: "Etwas anderes wird jetzt nicht mehr rauskommen."

Vorsitzender der Feuerwehr: "Negative Stimmung gegenüber Wiesenfeld" gespürt

Nicht alle Wiesenfelder teilen diese positive Sicht auf die Arbeit des Gerichts: "Es war eine sehr negative Stimmung gegenüber Wiesenfeld zu spüren, auch beim Richter", findet Wolfgang Röder, Vorsitzender der Feuerwehr. Ein paar Aussagen des Richters seien im Dorf aufgestoßen. Es sei "so rübergekommen, dass keiner etwas sagen möchte".

Auch die Berichterstattung hätte diese Wirkung gehabt, sagt Röder. Während des Prozesses sei diskutiert worden, dass es hoffentlich bald vorbei ist. "Das belastet das Dorf doch sehr stark."

Ortschronist: Nicht mehr mit einer Verurteilung gerechnet

Zur kollektiven Belastung äußert sich auch Hermann Schaub, der die Geschehnisse rund um den Mordfall im Alter von knapp 50 Jahren erlebte. Auf die Frage nach der heutigen Stimmung im Ort sagt der langjährige Kirchenpfleger und Wiesenfelder Ortschronist: "Viele von denen, die die Tat wirklich aufgewühlt hat, leben nicht mehr."

Mit einer Verurteilung habe er gar nicht mehr gerechnet, meint Schaub. In der Vergangenheit habe es mehrere Cold Cases gegeben, die ohne Abschluss zu den Akten gelegt worden seien. 

Bürgermeister von Karlstadt: Hoffnung, dass das Geschehene jetzt Geschichte ist 

Karlstadts Bürgermeister Michael Hombach antwortet auf Anfrage der Redaktion nach dem Urteil per E-Mail: "Meines Erachtens wurde der Prozess mit Interesse verfolgt, hatte jedoch keinen direkten Einfluss auf das alltägliche Leben der Menschen", schreibt Hombach. Er habe das Thema im gesamten Stadtgebiet nicht als dominant wahrgenommen.

"Es ist ein Zeichen für die Stärke unseres Rechtsstaats, dass selbst nach so langer Zeit Verbrechen untersucht und Täter zur Verantwortung gezogen werden können", meint Hombach. Er hoffe, dass das Urteil den Angehörigen ein Stück Gewissheit bringt. "Für den Stadtteil wünsche ich mir, dass die Menschen weiterhin nach vorne blicken und das Geschehene als Teil der Geschichte, aber nicht als Last der Gegenwart sehen können."

 
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