
Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit die 13-jährige Sabine B. auf einem Reiterhof in Wiesenfeld tot aufgefunden wurde. Einige Menschen in dem kleinen Ort in Main-Spessart hat der Fall nie losgelassen, viele haben sich intensiv damit auseinandergesetzt. "Wir haben das ganze Dorf einmal aufgewühlt", sagt etwa Franz-Josef Scheeb. Der 77-Jährige war zur Zeit der Tötung der 13-jährigen Sabine B. kurz vor Weihnachten 1993 stellvertretender Feuerwehrkommandant in Wiesenfeld und leitete die Suchaktion zwei Tage nach dem Verschwinden des Mädchens.
Schon am Abend zuvor, etwa 24 Stunden nachdem Sabine zum letzten Mal gesehen wurde, sei die Feuerwehr durch das Dorf gefahren, sagt Scheeb. Per Durchsage hätten sie verkündet, dass die 13-Jährige vermisst werde. Wer etwas gesehen habe, solle sich bei der Polizei melden. "Da haben wir alles aufgeweckt", sagt der Wiesenfelder. Beschäftigt hat ihn der Fall so sehr, dass er einen Ordner mit Zeitungsartikeln dazu anlegte und auch jetzt die Veröffentlichungen zum Prozess darin sammelt.

Denn Scheeb war nicht nur stellvertretender Kommandant der Feuerwehr, sondern auch 30 Jahre lang Stadtrat in Karlstadt, von 1990 bis 2020. Damit war und ist er in doppelter Hinsicht ein Ansprechpartner für die Leute aus dem Dorf. Doch vor allem von außerhalb würden Fragen zu dem ungeklärten Mordfall kommen. "Da werde ich sehr oft heute noch angesprochen", sagt der 77-Jährige. In seinem Zeitungsartikel-Archiv habe er immer wieder nachschauen können, als Gedächtnisstütze sozusagen.
Ehemaliger Feuerwehr-Kommandant spricht von guter Zusammenarbeit mit Polizei
Die Zusammenarbeit zwischen der Feuerwehr und der Karlstadter Polizei habe damals gut geklappt, erinnert sich Scheeb. Als Sabine und ihre Kleidung in den zwei Güllegruben auf dem Reiterhof gefunden wurden, habe sich die Kripo eingeschalten und er habe nichts mehr von der Ermittlungsarbeit mitbekommen. Der 77-Jährige fragt sich, ob sich der Zeitpunkt der Tat vielleicht negativ auf Ermittlungen auswirkte. Möglicherweise sei über Weihnachten und den Jahreswechsel damals zu wenig passiert: "Kurz vor Weihnachten waren ein Haufen Beamte wahrscheinlich schon freigestellt", mutmaßt Scheeb.
Jahre nach dem Tod Sabines habe er sich noch einmal mit Polizei und Kripo getroffen, sagt der frühere Vize-Kommandant und Stadtrat. Der "Rächer von Wiesenfeld", wie ein mittlerweile verstorbener Wiesenfelder von einer Boulevardzeitung betitelt und noch Jahre später landläufig auch so genannt wurde, habe ihn um Begleitung gebeten. Seinen Namen erhielt der Mann, weil er auf eigene Faust dem Fall nachgegangen war: "Der hat immer wieder gebohrt, das muss man sagen", hält Scheeb ihm zugute.
Der "Rächer von Wiesenfeld" kam mehrfach vor Gericht – unter anderem, weil er damalige Verdächtigte geschlagen und gewürgt haben soll. Auch deren Angehörige soll er unter Druck gesetzt haben. In mindestens zwei Fällen wurde er schuldig gesprochen.
Frühere Stadträtin hatte Sorge vor Falschinformationen und Gerüchten
"Da hat man ein bisschen Angst haben müssen vor dem", sagt Paula Werthmann. Die 90-Jährige saß von 1978 bis 2002 im Karlstadter Stadtrat. Der Mann sei oft bei ihr zuhause vorbeigekommen und recht laut gewesen. Irgendwann sei der Fall für ihn allerdings erledigt gewesen, weil er für sich einen Schuldigen gefunden hatte, schildert Werthmann ihre Eindrücke. Angst habe sie vor allem gehabt, dass er Falschinformationen verbreite und Gerüchte im Dorf entstehen könnten.

Auch die ehemalige Stadträtin war Ansprechpartnerin für die Dorfbevölkerung: "Es hat mich jeder gefragt: Was weißt du?" Deshalb habe sie 1997 einen Brief an den damaligen bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) geschrieben, sagt Paula Werthmann. Sabines Eltern hätten sich auch an sie gewandt gehabt. Zu der Zeit habe sich nichts getan, die Gemeinde habe darauf gewartet, dass etwas passiere. Die Ermittlungstaktik der Polizei damals bezeichnete sie in ihrem Brief als "stümperhaft". Noch heute findet die 90-Jährige, dass die Ermittler genauer nachfragen hätten müssen.
"Ich verfolge das, mich interessiert es. Auch heute noch, auch wenn ich so alt bin", sagt die 90-Jährige. Der Fall beschäftige sie weiter, obwohl sie im Dorf kaum mehr darauf angesprochen werde. "Viele Ältere, die das mehr verfolgt haben, sind gestorben." An eine Aufklärung glaubt sie nicht mehr. Allenfalls im Jenseits: "Wenn man stirbt, dann weiß man es vielleicht."
Ehemalige Redakteurin erinnert sich an Kritik des damaligen Richters
Für die Main-Post begleitete Martina Amkreutz-Götz als Journalistin den Fall in den 90er Jahren. Der Prozess an der Jugendkammer des Landgerichts Würzburg gegen den damals Verdächtigen hatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt gewesen war. Lediglich zur Urteilsverkündung, dem Freispruch des Jugendlichen, waren Medienvertreter zugelassen. Amkreutz-Götz hakte mehrfach bei Staatsanwaltschaft, Landgericht und dem Anwalt des Angeklagten nach und berichtete, soweit möglich, über die Entwicklungen im Prozess.
Bereits damals kritisierte sie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und warf die Frage auf, ob der Freigesprochene als Verdächtiger für einen schnellen Ermittlungserfolg hatte herhalten müssen. Auch der Richter habe bei der Urteilsverkündung Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ihrer Einschätzung nach stark kritisiert, erinnert sich Amkreutz-Götz.
Ermittlungsfehler habe sie nicht erkennen können, meint die ehemalige Redakteurin. Mit Blick auf den technischen Fortschritt und neue Analyse-Möglichkeiten sagt sie auch: "Ich glaube, wenn das heute passieren würde, würde man ganz anders arbeiten."
Was Staatsanwaltschaft Würzburg und Kriminalpolizei zu Ermittlungen sagen
Mehr als 30 Jahre lang lag der Fall in den Händen der Kriminalpolizei. Cold Cases, also ungelöste Kriminalfälle, würden immer wieder überprüft, auch auf neue Ermittlungsmöglichkeiten, heißt es vonseiten des Polizeipräsidiums Unterfranken. Die aktuellen Ermittlerinnen seien 1994 noch nicht im Fall Sabine B. eingebunden gewesen. Zu den Ermittlungen damals könne man deshalb nichts sagen.
Der Würzburger Oberstaatsanwalt Tobias Kostuch schreibt auf Anfrage: "Hätte man vor 30 Jahren die heutigen DNA-Methoden zur Verfügung gehabt, wäre man mit deren Hilfe vermutlich schon damals zu einer Anklageerhebung gegen den heutigen Angeklagten gekommen." Dass bei den Ermittlungen etwas misslungen sein könnte, verneint Kostuch.