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Würzburg
Schuldspruch oder Freispruch? Wie sich der Prozess im Mordfall Sabine B. entwickelt hat und was möglich ist
Die Beweisaufnahme zum Tod des 13-jährigen Mädchens aus Wiesenfeld geht weiter. Das Würzburger Gericht will schneller als geplant klären, ob der Angeklagte der Täter ist.
Schwieriger Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Seit Anfang September wird am Landgericht Würzburg im Wiesenfelder Mordfall Sabine B. verhandelt.  
Foto: Daniel Peter | Schwieriger Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Seit Anfang September wird am Landgericht Würzburg im Wiesenfelder Mordfall Sabine B. verhandelt.  
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 13.10.2024 02:29 Uhr

Jeder Prozesstag beginnt ähnlich gespenstisch: Der 47-Jährige, der am Morgen als freier Mann das noch fast leere Gerichtsgebäude in Würzburg betritt, ist des Mordes an der 13-jährigen Sabine B. angeklagt. Aber er kommt, ohne Polizeibegleitung, so unauffällig, als sei er ein überpünktlicher Zeuge oder Zuhörer in irgendeiner Verhandlung. 

Verdächtige zu weit geringeren Delikten werden in Ketten an dem Angeklagten vorbeigeführt. Er kennt das, im Jahr 2021 saß er selbst drei Monate lang in Untersuchungshaft.

Der Angeklagte und die Eltern: Kein Wort, kein Blick vor der Verhandlung

Direkt hinter ihm kommen die Eltern des getöteten Mädchens aus Wiesenfeld (Lkr. Main-Spessart) ins Strafjustizzentrum. Kein Wort fällt bei der Begegnung in der Halle, kein Blick, man geht sich aus dem Weg.

Später im Saal dann sitzen die Eltern als Nebenkläger und Sabines ältere Schwester in dem nichtöffentlich geführten Verfahren dem Angeklagten dicht im Nacken. Er selbst verfolgt, den Kopf gesenkt und ohne erkennbare Regung, stumm die Mühen des Gerichts. Stundenlang, seit acht Prozesstagen schon. 

Der Mordprozess: Erst abgelehnt, dann trotz vieler Hürden doch begonnen

Die drei Berufsrichter und zwei Schöffen des Würzburger Landgerichts haben eine undankbare Aufgabe erhalten: Nach drei Jahrzehnten sollen sie einen Fall klären, der von der eigentlich zuständigen Jugendkammer wegen zu dünner Beweislage abgelehnt worden war. Doch der Würzburger Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach beharrte auf seiner Anklage.

Mordprozess nach 31 Jahren: Seit September läuft am Strafjustizzentrum in Würzburg die Verhandlung zum Mordfall von Wiesenfeld im Dezember 1993. Angeklagt: ein damals 17-Jähriger. 
Foto: Daniel Peter | Mordprozess nach 31 Jahren: Seit September läuft am Strafjustizzentrum in Würzburg die Verhandlung zum Mordfall von Wiesenfeld im Dezember 1993. Angeklagt: ein damals 17-Jähriger. 

So entschied das Oberlandesgericht (OLG) in Bamberg, dass die Würzburger Justiz den Mordfall aus dem Jahr 1993 verhandeln muss. Obwohl inzwischen bei vielen Zeugen die Erinnerungen verblasst, manche längst tot sind. Ein zweiter Verdächtiger aus Wiesenfeld war vor zwei Jahren gestorben. Die Spurenauswertung habe ergeben, "dass jedenfalls an der Beseitigung der Leiche eine weitere Person beteiligt gewesen sein müsse", heißt es im Beschluss des OLG.

240 Zeugen waren im Vorfeld des Prozesses von der Kripo gehört worden, 60 Verhandlungstage waren angesetzt. Nun könnte, wie der Vorsitzende Richter Thomas Schuster angekündigt hat, auch ein Drittel reichen.

Oberlandesgericht sieht sechs mögliche Versionen

Kann dem 47-jährigen Angeklagten Mord nachgewiesen werden? Das Oberlandesgericht hält sechs Versionen des Tatgeschehens für möglich:

  • Der Angeklagte, zur Tatzeit 17 Jahre alt, könnte unschuldig unter Verdacht geraten sein.
  • Der Angeklagte könnte Sabine im Stall des Reiterhofs missbraucht und dann getötet haben.
  • Der Angeklagte könnte die 13-Jährige umgebracht haben, um sie dann zu missbrauchen.
  • Jemand anderes könnte das Mädchen vor oder nach dem sexuellen Übergriff durch den Angeklagten getötet haben.
  • Der Angeklagte könnte einem anderen Täter zu Hilfe gekommen sein.
  • Der Angeklagte könnte er nur an der Beseitigung der Leiche und der Kleidung des Mädchens beteiligt gewesen sein.

Strafbar wäre nach 31 Jahren nur noch ein nachgewiesener Mord, allein oder zu zweit.

In den polizeilichen Vernehmungen hatte der 47-Jährige gesagt, er sei unschuldig. Der Fund seiner DNA im Intimbereich des minderjährigen Opfers müsse ein Irrtum sein. Vor Gericht aber müssen sich seine Verteidiger Hanjo Schrepfer und Tilman Michler gegen immer stärker belastende Fakten stemmen. 

Zeugenaussagen und Gutachten der Rechtsmedizin: Vieles wird erst jetzt bekannt

In den bislang acht Verhandlungstagen kam viel Neues ans Licht, bei dem man sich fragt: Warum wurde das erst jetzt bekannt? Dass dem rechtsmedizinischen Gutachten zufolge DNA des Angeklagten am Tatort im Stall gefunden worden war, spricht mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass er beim Mord dabei war.

Dass er sich Zeugen zufolge damals krampfhaft um ein Alibi zur Tatzeit bemühte, ist verdächtig. Dass sich der 47-Jährige – anders als in neun vorangegangenen Vernehmungen seit 1993 – so gut wie gar nicht mehr an den Nachmittag vor dem Mord erinnert, klingt seltsam.

Im Prozess schweigt der Angeklagte. Obwohl der Vorsitzende Thomas Schuster ihm schon zu Prozessbeginn auch bei einem Teilgeständnis ein Entgegenkommen bei der Strafe vorschlug. 

Zur Tatzeit 1993 war der Beschuldigte noch nicht volljährig, das würde bedeuten: eine erheblich mildere Strafe als das nach Jugendstrafrecht erlaubte Höchstmaß von zehn Jahren, vielleicht nur die Hälfte. Die Verteidiger aber lehnten den Vorschlag des Richters ab. 

Zwei wichtige Zeugen: Mutter und Schwester sagen vor Gericht aus 

Der Prozess steht vor einem dramatischen Höhepunkt: Mutter und Schwester des Angeklagten müssen im November in den Zeugenstand. Die Mutter hat ihren Sohn immer geschützt. Seine Schwester aber will im engsten Familienkreis von ihm Bemerkungen gehört haben, die so klängen, als wisse er genau, was in jener Nacht vor 31 Jahren im Wiesenfelder Pferdestall passiert war.

Mehr noch: Die Schwester gibt an, der 47-Jährige habe auch sie als Mädchen wiederholt missbraucht. Von ihrer Glaubwürdigkeit im Zeugenstand könnte nun ganz wesentlich abhängen, ob am Ende ein Schuldspruch oder ein Freispruch steht.

An diesem Donnerstag, 10. Oktober, wird der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt.

 
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  • Johannes Metzger
    Was Zeugenaussagen wert sind ist an dieser Stelle schon häufig diskutiert worden. Wenn sie dann noch von Angehörigen kommen, wirds noch problematischer. Egal ob als Ent- oder Belastungszeug*in. Und davon soll jetzt abhängig sein, obs zu einem Schuldspruch oder Freispruch kommt?
    Ich kenne weder den Angklagten noch das Opfer und bin auch kein Jurist. Aber alles was ich in dieser Zeitung lese ist: „ nichts genaues weiss man nicht“ . Dann gibts da DNA Spuren vom Tatort, die mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten dass der Angeklagte am Tatort war. Auch zum Zeitpunkt des Tatgeschehens?
    Mir scheint, hier gehts der Staatsanwaltschaft in erster Linie um eine Verurteilung um wieder mal einen cold case als gelöst abhaken zu können.
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  • Gerhard Zwierlein
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