
Was geht in diesem Mann vor? Der 48-Jährige sitzt auf der Anklagebank des Landgerichts Würzburg, weil er vor 31 Jahren in Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart ein Mädchen getötet haben soll. Die Eltern von Sabine B. sind an jedem Verhandlungstag dieses Mordprozesses im Gerichtssaal dabei. 23 Tage sitzen sie als Nebenkläger direkt hinter dem Angeklagten. Und er: Hat den Blick meist leicht gesenkt, sitzt stoisch und still. Das Gericht hält ihn für schuldig.
Der 48-Jährige äußert sich an allen 23 Verhandlungstagen nicht zu der Tat, die ihm vorgeworfen wird. Auch nicht zu einer etwaigen Beteiligung daran. Die Staatsanwaltschaft Würzburg beschuldigt ihn, im Dezember 1993 die 13-jährige Sabine auf einem Reiterhof in Wiesenfeld bei Karlstadt sexuell missbraucht und erwürgt zu haben. Ihr Körper war zwei Tage nach ihrem Tod in einer Güllegrube gefunden worden. Weil das Verbrechen schon so lange zurückliegt, sind alle denkbaren Delikte außer Mord verjährt.
Verteidiger kann nicht zu seinem Mandanten durchdringen
Zu Beginn des Prozesses im September appellierte der Vorsitzende Richter Thomas Schuster an den Angeklagten: "Sie sind der Einzige, der Licht in diese Sache bringen kann." Der Familie von Sabine B. sei es sicher wichtiger zu wissen, was vorgefallen ist, als dass er im Gefängnis lande. Was in den letzten Minuten im Leben des Mädchens passiert ist, "bleibt im Dunkeln", sagte der Richter am Freitag bei der Urteilsverkündung.
Doch was im Kopf des Angeklagten vorgeht, weiß selbst sein Verteidiger Hans-Jochen Schrepfer nicht. In seinem Plädoyer zeigt der Anwalt auf seinen Mandanten. "Der Kopf ist für mich genauso dick wie für Sie", sagt Schrepfer zu den Prozessbeteiligten. In Vorgesprächen habe er versucht zu erfragen, was sich aus Sicht des Angeklagten damals abgespielt hat. "Ich kam da nicht durch."
Am Tatort waren DNA-Spuren des Angeklagten gefunden worden. In seinem Plädoyer schildert der Verteidiger mehrere mögliche Tathergänge, die diese Indizien rechtfertigen würden – aber die nicht zu einer Verurteilung wegen Mordes führen müssten. Schrepfer fordert den Freispruch aus Mangel an Beweisen.

Die Eltern von Sabine B. wirken nach außen über weite Teile des Prozesses gefasst. Sie hätten sich mehr "Klarheit" darüber erhofft, warum ihre Tochter vor 31 Jahren getötet wurde. "Den wahren Grund werden sie nicht erfahren. Das ist etwas, dass auch noch in Zukunft belastend sein wird", sagt Nebenklagevertreter Jan Paulsen. Die Urteilsbegründung des Gerichts hält er für "sehr schlüssig".
Staatsanwaltschaft sieht "keine rationale Erklärung" für die Tat
Anwalt Paulsen plädiert auf Mord und fordert eine Freiheitsstrafe von neun Jahren. Da der Angeklagte zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war, muss das Jugendstrafrecht angewendet werden. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Strafe in gleicher Höhe. Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach spricht in seinem Plädoyer Anfang Dezember davon, dass die Tat "extrem brutal" war und es dafür "keine rationale Erklärung" gebe.
Ohne Seebach wäre es zu diesem Prozess nicht gekommen. Er hatte auf eine Verhandlung bestanden, obwohl dem Landgericht Würzburg die Anklage zunächst zu dünn erschienen war.
Von ursprünglich über 60 angesetzten Verhandlungstagen benötigt das Landgericht Würzburg letztlich lediglich 23 Tage. Und doch haben die Beteiligten den Eindruck: Das Gericht hat alles getan, was in seiner Macht steht. Die Gesamtschau etlicher Indizien lässt aus Sicht des Gerichts nur einen Schluss zu. "Das ist kein Hexenwerk, sondern kleinteilige juristische Alltagsarbeit", sagt der Richter bei der Urteilsverkündung.
Sowohl die Verteidigung als auch die Nebenkläger drücken gegen Ende des Verfahrens ihre Wertschätzung für die Arbeit der Richter aus. "Ich habe selten einen Prozess erlebt, in den so viel Mühe hineingesteckt wurde", sagte der erfahrene Verteidiger Hans-Jochen Schrepfer. Gegen das Urteil will er jedoch vorgehen. Er hält die Urteilsbegründung für "nicht nachvollziehbar".

Anwalt Paul Scherer vertritt Sabines Schwester. Seine Mandantin habe den Eindruck gewonnen, dass das Gericht alles Mögliche getan habe, um zur Aufklärung beizutragen. In seinem Plädoyer sagt Scherer, die Nebenklägerin sei unabhängig vom Ausgang des Verfahrens "überzeugt von der Funktion des Rechtsstaats".
Besonnen und gründlich verhandelt: das Verdienst des Vorsitzenden Richters
Dazu hat der Vorsitzende Richter Thomas Schuster mit einer besonnenen und gründlichen Verhandlungsführung einen großen Teil beigetragen. Nicht nur im Gerichtssaal.
So hadert beispielsweise eine Zeugin mit den Ermittlern. Sie hätten fälschlicherweise und zu lange auf einen anderen Verdächtigen gesetzt, der später freigesprochen wurde. Nach einem langen Verhandlungstag erklärt Schuster ihr im Foyer des Gerichts das psychologische Phänomen des Rückschaufehlers. Demnach glaubten Menschen im Nachhinein manchmal, etwas längst gewusst zu haben, obwohl sie es eigentlich noch nicht gewusst haben können.
Über manche Zeugen schüttelt der Vorsitzende Richter indes den Kopf. "Dieses Wiesenfeld ist schon ein spannender Ort", sagt er über das 1200-Einwohner-Dorf. Jeder habe eine Meinung zu der Tat, aber niemand will mit anderen darüber gesprochen haben.
Vielen der 90 Zeuginnen und Zeugen nimmt der Vorsitzende Richter den Druck, wenn sie sich an Jahrzehnte zurückliegende Details nicht erinnern können. "Ich erwarte nicht, dass Sie das alles noch wissen, aber wenn ich nicht frage, bekomme ich keine Antwort" – der Richter wird nicht müde, diesen Satz zu wiederholen.
Die Antworten, die er bekommt, gehen auf mitunter verschwommene Erinnerungen zurück. Und dennoch musste das Gericht am Ende des Prozesses selbst eine Antwort geben: Ist der Angeklagte schuldig? War er es, der das Mädchen ermordet hat?
Angeklagter zu sechs Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt
Herauszufinden, was wirklich geschah – "daran sind wir letztlich gescheitert", gibt der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Würzburg, Thomas Schuster, an diesem Freitag unumwunden zu. Dennoch gebe es keinen Zweifel, dass der Angeklagte der Mörder von Sabine sei. Das Gericht verurteilt den 48-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren.
Es ist das vorläufige Ende in diesem Fall. "Über Weiteres wird wahrscheinlich der Bundesgerichtshof entscheiden", sagt der Richter noch im Gerichtssaal.
Damit liegt er richtig. Wenige Minuten später kündigt die Verteidigung an, in Revision zu gehen. Das Urteil ist deshalb nicht rechtskräftig. Der Verurteilte ist weiterhin in Freiheit.
Ja, das nun gerade nicht! Denn das Ergebnis des Schweigens ist die Verurteilung wegen „Mordes“.
Das wird kaum das „Ziel“ von Herrn Schrepfer gewesen sein, der außerdem laut Bericht im Plädoyer erwähnt hat, dass sein Mandant auch ihm gegenüber geschwiegen hat, was das Tatgeschehen angeht.
Wünschenswert wäre hier ganz zweifelsfrei eine Aussage des Mannes gewesen, für alle Beteiligten.
All das ignoriert ein Bay. Gericht.
Gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ nicht mehr?
Bis es zur Revision kommt, wird es dauern.
Ob Sie Zweifel an der Schuld des Angeklagten haben, ist bedeutungslos. Entscheident ist die Überzeugung des Gerichts! Gut so!
Gerügt werden können einzig Rechtsfehler.
„Tatsächlich hat die Rechtsprechung ein differenziertes Instrumentarium entwickelt, tatsächliche Urteilsfeststellungen auf die Sachrüge hin zu überprüfen und wo die Bundesanwaltschaft einen unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung, die allein dem Tatrichter vorbehalten sei, gesehen hat, erkannte der Bundesgerichtshof in manchem Fall einen Rechtsfehler in jener Beweiswürdigung, griff in den vorgeblich dem Tatrichter reservierten Bereich ein und hob das Urteil auf.“
Ich kann die eindeutige Spurenlagen nicht erkennen, da DNA Spuren zeitlich nicht der Tat zuzuordnen sind.
Aus dem dpa-Bericht vom 20.12.:
..."Zum einen gebe es an fünf verschiedenen Orten DNA-Spuren des 48-Jährigen, unter anderem an Kleidungsstücken wie dem Slip des Mädchens und in einem Blutfleck vom Opfer."...
Die Gründe dafür sind jedoch auch bekannt: Hybris, ideologischer Eifer, politischer Druck, charakterlich ungeeignete Akteure, fehlende Fehlerkultur, Selbstgerechtigkeit und Unredlichkeit, ein Gefühl der Unfehlbarkeit (man denke nur an die Akteure im Fall Mollath) und das gewaltenübergreifende Festlegung auf einen Täter unter Auslassung aller entlastenden Tatsachen (wie im Fall Manfred Genditzki).
Wo aber sehen Sie all dies hier?