
Sozialhilfe beantragen – für viele ist das ein Tabu, für viele aber auch eine Notwendigkeit. Denn wer stationär pflegebedürftig ist, kann die hohen Eigenanteile an den Heimkosten oft nicht alleine stemmen. So war es auch bei der Mutter von Heike Gatzka-Klose, die erzählt, wie es der im Caritas-Seniorenzentrum in Lohr gepflegten Frau erging.
Der ab Pflegegrad zwei durchschnittlich zu zahlende Betrag liegt im Landkreis Main-Spessart bisher bei ungefähr 2500 Euro – das zeigt eine Abfrage beim AOK Pflegenavigator. Die Tendenz ist deutlich steigend. Mehrere zehntausend Euro Erspartes der Eltern von Gatzka-Klose schmolzen entsprechend schnell dahin, nun reicht selbst die vergleichsweise üppige Rente mit Witwen- und Betriebsrente nicht aus. Zum Glück gibt es also die Sozialhilfe, findet auch Gatzka-Klose aus Urphar (Wertheim), "wie soll man das sonst machen?"
Kompliziertes Behördendeutsch macht die Antragstellung schwer
Scham empfindet sie nicht. "Ich bin da ganz offen, dass ich das beantragen musste, weil das Geld einfach nicht gereicht hat. Ich finde das auch nicht schlimm. Bei meiner eigenen Person fände ich es vielleicht ein bisschen schamhafter. Aber für meine Mutter, da konnte ich nicht anders reagieren." Doch die Antragsstellung beim Bezirk fand sie kompliziert, die Regelungen intransparent, das Amtsdeutsch kaum verständlich. "Ein normaler Mensch kann ja nicht mal verstehen, was die meinen. Was ist jetzt die Übersetzung?", fragte sich die 59-Jährige. Oder auch: Was fordert der Bezirk vielleicht nach, wenn sie mal das eigene Haus verkauft?
Auf den Beginn der Zahlung wartete Gatzka-Klose ein halbes Jahr. Briefe mit ganzen Forderungslisten für Nachweise trudelten ein. Neben vielen anderen Unterlagen musste sie die Kontoauszüge aus zehn Jahren besorgen und sollte alle Buchungen von mehr als 1000 Euro erklären. "Mein Vater hat ab und zu Geld geholt, ja, das weiß ich doch nicht für was. Und es ging mich ja auch überhaupt nichts an", sagt Gatzka-Klose.

"Hat Frau Klose oder der Ehegatte in den letzten zehn Jahren Vermögenswerte (Geld, Schmuck, Aktien, Grundbesitz, Bausparverträge o.ä.) verschenkt und falls ja, welche Werte, wann, in welcher Höhe und an wen?" lautet eine der Fragen des Bezirks. Auch ein Nachlassverzeichnis des verstorbenen Ehemanns war zu besorgen. "Man macht sich nackig", sagt Gatzka-Klose zu dem Prozess, "man macht sich ganz klar nackig." Ein "Mordsschriftverkehr" sei das gewesen.
Auch Melanie Sommer, Leiterin des Pflegestützpunktes des Landkreises in Gemünden, sagt: "Die Antragsstellung ist eine Hürde für viele Ratsuchende. Manche sind damit überfordert, deswegen helfen wir gern. Wenn die Termine in Präsenz sind, haben alle ihre Aktenordner dabei." Die Antragstellung sei so komplex, dass die Berater des Pflegestützpunktes nur den Antrag herausgeben und einen Termin für die Beratung durch den Bezirk selbst vergeben, der einmal im Monat in die Räumlichkeiten in Gemünden kommt.
Ratsuchende kommen selbst nicht auf Sozialhilfe zu sprechen
Auch die große Scham der Menschen kennt sie aus Beratungsgesprächen. "Das fällt den Menschen nicht leicht. Wir sprechen das Thema Sozialhilfe an, weil das oft von den Ratsuchenden selbst nicht kommt", so Sommer.
Nicht alle Betroffenen reden also gerne darüber, so wie eine Bewohnerin eines Seniorenzentrums im Landkreis Main-Spessart. Die Dame, die in diesem Bericht anonym bleiben möchte, stockt ihre Rente mit Sozialhilfe auf. Einerseits hat sie eine pragmatische Einstellung: "Wenn ich es nicht hab, hab ich es nicht. Was soll's? Das Leben geht weiter."
Aber die Scham bleibt. "Wem soll man das sagen, ich kann mir das nicht leisten? Ich spreche mit niemanden darüber, das wissen nur die Kinder." Sie habe auch keine Ahnung, welche anderen Bewohnerinnen und Bewohner auf ihrer Station Sozialhilfe bekommen, obwohl es den Zahlen der Caritas zufolge mehrere sein dürften. "Da redet man wirklich nicht gern drüber", so die Dame. Die Folgen eines Schlaganfalls machten sie schon mit Anfang 70 pflegebedürftig. Auch vor der Erkrankung blieb neben der Rente und den Nebenkosten nicht mehr viel übrig. Ihr inzwischen gestorbener Mann war früher selbständig, die eigene Rente der Frau lag bei etwa 600 Euro.
Glücklicherweise kümmerte sich ihr älteste Sohn darum, die Sozialhilfe zu beantragen. "Er sagt immer, du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Weil ich sonst grüble, dann kann ich nachts nicht schlafen." Die Söhne bringen ihr auch ab und an Lebensmittel, die sie gerne mag. So arm sei sie nicht dran, sagt sie. Wenn sie etwa Kleidung braucht, würden die Söhne zum Beispiel eine Hose vom Discounter beschaffen. Im Seniorenzentrum werde sie wegen der Sozialhilfe keinesfalls anders behandelt. "Sie lassen sich da nichts anmerken", sagt sie.

Mit dem Jahr 2022 brachte eine neue Regel eine gewisse Erleichterung, erklärt Florian Schüßler, Geschäftsführer des Caritas-Kreisverbandes Main-Spessart kürzlich in einem Hintergrundgespräch mit dieser Redaktion. Je länger man stationär pflegebedürftig ist, desto höher wird seitdem der Leistungszuschlag der Pflegekassen. Im Januar 2024 wird dieser Zuschlag erneut erhöht. Doch durch die inflationäre Preissteigerung werde die Zahl der Betroffenen perspektivisch wieder deutlich ansteigen, denkt Schüßler.
Mehr Menschen suchen Beratung zur Sozialhilfe
Auch der Pflegestützpunkt des Landkreises in Gemünden verzeichnet steigende Anfragen zum Thema Sozialhilfe. Schon 21 Beratungstermine mit dem Bezirk Unterfranken gab es dort in diesem Jahr; im ganzen Jahr 2022 waren es 25. Gerade gehe es vor allem um die Generation, in der die Frauen kleine Renten haben, sagt Melanie Sommer. "Die waren zu Hause, haben dort immer viel gearbeitet, aber das schlägt sich in den Renten nicht nieder. Es ist erschreckend, wenn da am Ende 250 Euro netto stehen." Die höheren Zuschläge machen ihrer Erfahrung nach nicht viel aus. "Das soll eine Erleichterung sein, aber dadurch, dass alle anderen Kosten steigen, verändert sich unterm Strich nicht sehr viel."
Eigenanteile von bis zu 2700 Euro, Tendenz steigend – "Wer hat eine Rente in dem Rahmen?", fragte Florian Schüßler von der Caritas. "Es gibt ja auch Ehepaare, da sind wir bei 5000 Euro. Das sind Summen, die kann selbst der Gutverdiener mit keiner Rente abdecken."
Ein zunehmendes Thema, resümiert er. Und fragt sich: "Wie viel kann man letztendlich den Menschen auch zumuten, was die Eigenanteile angeht? Sind wir über den Punkt der Zumutbarkeit nicht eigentlich hinaus? Wenn jemand 40, 45 Jahre gearbeitet hat und dann als Sozialhilfefall in der Pflege landet, mal abgesehen von der Scham, ist es das wirklich, was wir als Gesellschaft für unsere älteren Menschen wollen?" Dieser ethischen Grundsatzfrage müsse man sich stellen.
„Wir wissen, dass 2030 circa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden“
Stellt euch mal vor diese Pflegekräfte gäbe es in 7 Jahren tatsächlich.
Wer soll die dann wovon bezahlen?
aber muss irgendjemanden der Stimmenzuwachs für die AfD wundern, wenn man mit ansieht, dass hier auch(!) Menschen mit fragwürdigen Motiven aufgenommen und (möglicherweise Dank umtriebiger Anwält/innen) jahrelang vom Staat alimentiert werden, wohingegen Menschen, die ihr Leben lang nichts besessen aber hier gearbeitet haben, im Alter noch sehen müssen, wie sie das Geld für ihren Lebensunterhalt zusammenkratzen? Ist das vielleicht menschenwürdig (s. Art. 1 GG)?
Es bringt (außer weiteren Stimmen für die Extremisten) reinweg nichts, die Probleme "harmonisch" aussitzen zu wollen statt Lösungen auszuarbeiten und auf den Weg zu bringen.
Ein Land wo 80% des Vermögenszuwachses an 1% der Bevölkerung gehen, sollte doch Wege finden, alle (wirklich) Bedürftigen solidarisch (und menschenwürdig) zu unterstützen?!
Es ist nur recht und billig, dass Antragsteller auf Leistungen bei zuständigen Sozialhilfeträger
Nachweise über Einkommen, Vermögen und Fragen zu einer Entreicherung in den letzten 10 Jahren beantworten müssen. Wenn man diese Angaben gemacht hat und die Voraussetzungen vorliegen, dann bekommt man auch Leistungen des zuständigen Sozialhilfeträgers.
Wer Leistungen von der Allgemeinheit (aus Steuergeldern finanziert) will muss halt die entsprechenden Anträge ausfüllen. Dies ist nicht mehr als Recht und billig.
Und übrigens ich bin selber Schwerbehindert 80% mit Merkzeichen G, b und aG, ich kann meine Mutter nicht pflegen!
Es gibt die gesetzliche Pflegepflichtversicherung. In diese bezahlen alle auch Beamte ein. Diese deckt aber nur ca. 50% der tatsächlichen Kosten.
Das mag man gut finden oder nicht ( ich jedenfalls kenne weltweit kein anderes vergleichbares System und finde das sehr gut).
Für den Rest muss man entweder sparen, oder eine private Pflegeversicherung abschließen.
Wenn das nicht reicht, nicht möglich war (wie anscheinend bei diesen Beispielen), kann man Zuschüsse beantragen.
Es geht doch bei diesem Artikel nicht darum, dass jemand die Zuschüsse nicht erhalten hat, sondern dass man Fragen beantworten musste. So habe ich es jedenfalls verstanden.
Und dass man es als Zumutung etc. empfindet, Fragen beantworten oder Nachweise erbringen zu müssen, um von unserer Solidargemeinschaft Zuschüsse zu erhalten, empfinde ich wirklich als Jammern auf hohem Niveau!
Nichts für ungut!
Wenn heute jeder vorsorgen würde, dann gäbe es auch weniger Problemfälle.
Meine Antwort wäre: NEIN.
Also bei allem Verständnis scheinen mir das doch sehr nachvollziehbare Fragen zu sein, wenn jemand Zuschüsse von der Allgemeinheit will.
Dass man solche Auskünfte geben muss, sollte doch keinen normalen Menschen überfordern. Dass das mit einem "Man macht sich nackig" vergleicht, kommt mir sehr übertrieben vor. Und wenn solche Fragen als Beispiel für "Die Antragsstellung ist eine Hürde für viele Ratsuchende. Manche sind damit überfordert" dienen soll, halte ich das für sehr übertrieben. Ähnliches wird doch auch sonst verlangt, z.B. bei der Steuererklärung.
Insgesamt ist das für mich typisch für die aktuelle Situation in D: Jammern auf hohem Niveau
Die Tochter kann heute nicht wissen, was der verstorbene Vater mit Geldauszahlungen vor 10 Jahren finanziert hat, das ist nicht möglich- wahrscheinlich würde sich selbst der Vater nicht mehr erinnern.
Hilfen gibt es theoretisch viele, wenn man sie aber dann braucht sieht es anders aus…
wie soll eine Frau mit Durchschnittsrente unter 1000€ einen Pflegeplatz finanzieren?
Ich persönlich finde es beschämend, dass man sich Pflege und Gesundheit leisten können muss und erschreckend wie diese ( teure ) Pflege dann aufgrund von Personalmangel aussieht
Mit Jammern auf hohem Niveau meine ich den Sachverhalt, dass wohl alle genannten Beispiele den Zuschuss bekommen haben und sich nur darüber aufregen, dass sie dafür Fragen beantworten mussten.
Abgesehen davon würde sich die Frage stellen, wieviel man tatsächlich eingezahlt hat. Aber auch das wäre nicht meine Sichtweise.