Am Ortsrand von Ermershausen ist ein buntes Meer aus grünen Gräsern, weißen Margeriten, lila Kleeblüten und gelben Wiesenblumen entstanden. Junge Obstbäume ragen daraus empor. Noch sind deren Stämme so dünn, dass sie an Hölzern angebunden sind, doch mit etwas Fantasie lässt sich erahnen, welch herrlichen Anblick die Bäume und die Wiese einmal bieten werden.
Es ist ein Vorzeigeprojekt, das 2020 seinen Anfang nahm und nun offiziell vorgestellt wurde: Unmittelbar an das Wohngebiet angrenzend ist in Ermershausen, der kleinsten Gemeinde Unterfrankens, auf einem ehemaligen Acker eine Streuobstwiese entstanden. Die Menschen hinter dem Projekt: Mareike und Marco Schüler.
4000 Quadratmeter Streuobstwiese mit knapp 30 Bäumen
"Wir wollten etwas für unsere Jungs machen", sagt Mareike Schüler mit Blick auf die Streuobstwiese und ihre beiden Söhne Moritz und Marcel. Man habe das Feldstück nicht als Ackerfläche belassen wollen, ergänzt Marco Schüler. Doch was genau damit machen? Es war das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE) Unterfranken, bei dem das Ermershäuser Ehepaar schließlich auf den für sich passenden Ansatz stieß.
"Wir waren schon nach den ersten Gesprächen überzeugt und haben das Ganze dann klar gemacht", erzählt Marco Schüler. Und so entstand auf dem Acker, der einst Vater Günter Schüler gehörte, nach und nach eine Streuobstwiese. Diese umfasst eine Fläche von knapp 4000 Quadratmetern und beherbergt nun knapp 30 Streuobstbäume – unter den Früchten sind dabei künftig Äpfel und Birnen sowie auch Quitten, Sauerkirschen und Pflaumen zu finden.
Fachliche Unterstützung erhielt Familie Schüler unter anderem von Landschaftspfleger Lothar Seufert aus Dettelbach (Lkr. Kitzingen) und von Robert Lauer, der als Fachreferent für Naturschutz beim Landratsamt Haßberge arbeitet und privat pomologisch, sprich obstbaukundlich, interessiert ist. "Es ist Wahnsinn, wie die Wiese im ersten Jahr schon blüht", sagt Lauer. Zu Gute kam dem Projekt hier offenbar, dass die Ackerfläche zuvor ohne Pflanzenschutz- und Düngemittel bewirtschaftet wurde und sich der Boden so schon erholen konnte.
Mit der richtigen Ernte und Lagerung liefern die Bäume Obst für das ganze Jahr
Was die Streuobstbäume betrifft, wurde auf eine Kombination aus bewährten und alten Sorten gesetzt, wie Lauer erklärt. Dabei können einige auf eine lange Geschichte zurückblicken. Der Edelborsdorfer etwa wurde erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt und ist die älteste noch existierende Kulturapfelsorte Deutschlands.
"Wichtig war uns, eine Mischung zu haben, die die Familie das ganze Jahr über mit Obst versorgt", führt Lauer weiter aus. Mit der richtigen Ernte und Lagerung – kühl und trocken beziehungsweise kühl und feucht – ließen sich Lageräpfel bis ins nächste Jahr hinein aufbewahren. "Der Brettacher lagert bis es die ersten neuen Äpfel gibt. Er gibt sich mit dem Klarapfel die Hand."
Die ersten Exemplare werden in ein bis drei Jahren an den Bäumen zu finden sein, erklärt Lauer. Zehn Jahre werde es dauern, bis eine Ernte im klassischen Sinn möglich ist. Bei manchen Sorten auch bis zu 20 Jahre. Mareike Schüler rechnet und sagt dann mit einem Lachen: "Da bin ich sechzig, das geht noch."
Streuobstwiese als Vorbildprojekt mit großer Strahlwirkung
Die Streuobstwiese sei ein Vorbildprojekt, erklärt Diplom-Biologe Otto Elsner, Gebietsbetreuer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Landkreis Haßberge. Es sei die Ausnahme, dass jemand aktiv auf einen zukomme und von sich aus ein solches Projekt umsetzen wolle, lobt er Familie Schüler für ihr Engagement. "Es ist ein kleines Projekt mit großer Strahlwirkung", freut sich Ermershausens Bürgermeister Günter Pfeiffer.
Auch Jürgen Eisentraut, Leiter des Amts für Ländliche Entwicklung (ALE) Unterfranken, unterstreicht die Besonderheit des Projekts. Schließlich hätte die Familie den Acker auch weiterhin verpachten können, habe sich stattdessen aber entschieden, etwas für die Natur zu tun. Die Streuobstwiese sei ein kleiner, aber wichtiger Beitrag für die Biodiversität. "Kleine Bausteine nebeneinander ergeben einen großen Baustein", so Eisentraut.
Die Streuobstwiese der Schülers ist mit ihren Bäumen und Blüten beziehungsweise deren Pollen und Nektar unter anderem eine wichtige Nahrungsquelle für Bienen. Daneben wurden auf der Wiese auch Lesesteinhaufen angelegt, die zum Beispiel einen Lebensraum für Eidechsen bieten. Zwei Streifen mit Hecken – darunter etwa Hagebutte und Haselnuss – von je rund 20 Metern Länge ergänzen das Angebot: Sie gewähren weiteren Wildtieren Nahrung und Unterschlupf.
Wiesen als wichtiger Schutz vor Überflutungen bei Starkregen
Darüber hinaus erfüllt die Streuobstwiese auch noch eine ganz andere Funktion: In der Vergangenheit bahnte sich bei Starkregen-Ereignissen vom Acker aus das Wasser seinen Weg in Richtung der Hausgärten und der Wohnbebauung. Das dürfte in Zukunft anders sein, denn "Wiesen halten Wasser vielmehr zurück als Ackerflächen", erklärt Eisentraut. Mit knapp 9000 Euro förderte das ALE Unterfranken die Streuobstwiese von Familie Schüler im Rahmen des Programms "FlurNatur". Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich auf rund 10.500 Euro.
Streuobstwiesen würden zur Sicherung der Kulturlandschaft beitragen, sagt Eisentraut. "Streuobst ist ein Kulturgut, das erhalten bleiben soll und muss." Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf den Streuobstpakt, den die Bayerische Regierung Ende 2021 auf den Weg gebracht hat. Eine Million Streuobstbäume sollen dabei in knapp 15 Jahren neu gepflanzt werden.
"Ein Teil dieser Summe wurde hier schon verwirklicht", sagt der Leiter des ALE Unterfranken mit Blick auf die Ermershäuser Streuobstwiese. "Es braucht Menschen, Idealisten wie Familie Schüler, die so etwas machen wollen", ergänzt Eisentraut. Und wer weiß, vielleicht finden sich ja im Landkreis Haßberge oder darüber hinaus Nachahmerinnen und Nachahmer, die dem Beispiel der Familie aus Ermershausen folgen.