Normalerweise beginnt mein Tag als Journalistin später. Heute ist mein Einsatz schon ab acht Uhr gefragt: Ich bin für einen Tag Erntehelferin am Obsthof Böhm in Dettelbach. Als ich kurz vor acht Uhr vor dem Hofladen und der Sortierhalle parke, herrscht schon reges Treiben.
Die Auslage ist randvoll mit den beliebtesten Apfelsorten
Nach einer kurzen Begrüßung packe ich mit an. Die Verkaufsauslagen müssen mit verschiedenen Apfelsorten gefüllt werden. Stefanie Böhm gibt mir die passenden Kisten aus dem Kühllager, ich lege die empfindliche Ware vorsichtig in die Auslage. Die Sorten Jonagold, Elstar und Gala sind immer sehr beliebt, erfahre ich von Stefanie Böhm. Die Sorte Rubinette ist unbekannter, deshalb wird die Auslage nicht randvoll gefüllt. Zwischendrin muss ich immer mal aussortieren. Äpfel mit Druckstellen landen in einer gesonderten Kiste für Backobst. Diese günstigeren Backäpfel würden im Laden gezielt nachgefragt, sagt Stefanie Böhm.
Als die Auslage gefüllt ist, holt mich Obstbaumeister Rainer Böhm ab, und wir gehen ein Stück bergauf. Oberhalb des Hofes liegen die Plantagen. Reihe um Reihe tragen die kurzgewachsenen Obstbäume massenweise Früchte. Sie sind festgebunden, sonst würden sie unter ihrer Last umfallen. Aus der Apfelplantage leuchten die Früchte rot herüber, doch Rainer Böhm führt mich zu den Birnen.
Die Erntehelfer kommen aus Polen und Rumänien
Ein langer Zug riesiger Obstkisten steht zwischen zwei Reihen Birnbäumen der Sorte Novembra. Traktor und Zug stehen gerade still, denn rundherum sind zwei Erntehelfer und eine Erntehelferin damit beschäftigt, Birnen zu pflücken und in die Obstkisten zu legen. Ich stelle mich kurz vor, doch weder Lena noch Daniel sprechen Deutsch. Immerhin bringe ich in Erfahrung, dass beide aus Rumänien stammen. Der Dritte im Bunde, Adrian, kommt aus Polen und hat die meiste Zeit seine Kopfhörer in den Ohren. Er scheint zu telefonieren.
Schon im ersten Moment in der Plantage lerne ich, vorsichtig mit den Früchten umzugehen. Denn Rainer Böhm bedeutet einem der Erntehelfer mit Händen und Füßen, die Birnen nicht in die Kisten zu werfen: "Nicht schmeißen, Daniel!" Böhm erklärt mir dann, wie ich die Birnen am besten vom Bauch bekomme: in einer Bewegung die Frucht nach oben vom Zweig abknicken. So bleibt der Stiel an der Frucht, damit das Obst nicht fault. Einfach an der Birne zu ziehen funktioniert also nicht. Ich probiere es selbst aus. Manche Birnen fallen einem geradezu entgegen, andere sind hartnäckiger und ich muss mit den Fingernägeln am Stiel nachhelfen.
Wie pflückt man die Äpfel am schnellsten vom Baum?
Wir begutachten meine ersten Ernteergebnisse und sortieren aus: Einige Birnen haben zu viele Frostschäden, das sind die leicht rauen, braunen Stellen; andere weisen Druckstellen auf. Sie landen in der hintersten Obstkiste für die Saftherstellung. Damit das Pflücken schneller geht, empfiehlt mir Rainer Böhm, zwei mal zwei Birnen auf einmal zu pflücken. "Dann geht es schneller, als wenn man sie immer von einer Hand in die andere legt", sagt er. Auf Anhieb klappt das nicht. Ich übe noch ein bisschen, dann überlässt mich Rainer mit den Worten "Eigentlich eine schöne Arbeit, wenn das Wetter mitspielt" der Ernte. Bei strömendem Regen würde den Job wohl niemand gerne machen.
Doch an diesem Morgen, der in der Ferne immer noch nebelverhangen ist, ist die Arbeit tatsächlich überraschend angenehm. Zum Glück ist es nicht kalt. Da wir uns kaum verständigen können, arbeiten wir still vor uns hin, greifen zwischen die nassen Birnbaumblätter und legen die Früchte vorsichtig in die Kisten. Es raschelt in den Bäumen, manchmal gibt es einen dumpfen Aufprall, wenn doch eine Frucht herunterfällt. Wir haben zwei Trittleitern dabei, um an die höheren Äste zu gelangen. Wenige Stufen reichen aus, denn im professionellen Obstbau werden meist Bäume verwendet, die nicht sehr hoch wachsen.
Obwohl ich das Tempo für meinen ersten Tag nicht überfordernd finde, kommen wir gut voran. Hin und wieder steigt Adrian in den Traktor und fährt den Obstkistenzug ein Stück weiter. So bewegen wir uns längs durch die Birnenplantage. Je weiter die Zeit voranschreitet, umso routinierter werde ich beim Pflücken und Sortieren. Doch so oft ich versuche, wie von Rainer Böhm empfohlen vier Birnen gleichzeitig zu pflücken – immer fällt mir eine herunter. Ich beschränke mich schnell darauf, höchstens drei Früchte gleichzeitig vom Baum zu nehmen.
Die Sonne bricht durch, und ich hoffe auf die Mittagspause
Nach etwa drei Stunden sind alle Kisten gefüllt, nur in der Saftbox ist noch Platz. Lena bedeutet mir, auf den Zug aufzusteigen. Halb auf den Kupplungsteilen stehend, halb auf einer Kiste sitzend zieht uns Adrian mit dem Traktor durch die mindestens 450 Meter lange Plantage. Eine wackelige Angelegenheit, finde ich. Wir wechseln in eine andere Baumreihe, wo noch letzte Birnen der bekannten Sorte Williams Christ hängen.
Irgendwie schaffen die anderen es, mir zu erklären, dass jetzt nur noch Saftfrüchte gepflückt werden. Diesmal bliebt Adrian mit dem Kistenzug nicht stehen, sondern fährt gemächlich weiter, während wir einzelne Bäume schütteln und Früchte aufsammeln. Dieser Teil ist deutlich anstrengender, wir müssen uns oft bücken und über die Bewässerungsschläuche steigen. Zwischenzeitlich ist die Sonne durch den Nebel gebrochen, es wird ziemlich warm für einen Herbsttag. Als wir nach einer Stunde weiterfahren, hoffe ich auf die Mittagspause.
Es ist aber noch nicht so weit. Wir stoßen zu einem anderen Erntetrupp, der auf der Plantage nebenan Elstar-Äpfel pflückt. Das Tempo ist nicht mehr so gemütlich wie heute morgen. Der Traktor vor dem Obstkistenzug rollt ständig weiter und ich werde immer wieder von den geübten Erntehelfern überholt. Dennoch ist es eine befriedigende Arbeit. Ich sehe den sich füllenden Kisten an, was wir gemeinsam schaffen.
Die dritte Pflücke lässt sich nicht sehr lange lagern
Die Äpfel sind alle reif, denn es ist die schon die dritte Pflücke in der Elstar-Plantage. Diese späten Äpfel lassen sich nicht mehr so gut langfristig lagern und gehen daher bevorzugt in den Verkauf. Da wir nun zu fünft pflücken, sind die Kisten schnell gefüllt. Also sitzen wir wieder auf und fahren mit Tausenden leuchtend gelb-roten Äpfeln im Gepäck zurück auf den Hof. Diesmal genieße ich den frischen Fahrtwind.
Zurück am Hof spüre ich deutlich meine Füße. Es macht eben einen gewaltigen Unterschied, ob man die meiste Zeit im Büro sitzt oder durchgängig auf den Beinen ist. Nach einer Mittagspause geht es für mich an die nächste Station, bei der ich glücklicherweise die schweren Stiefel gegen Turnschuhe tauschen kann. Rainer Böhm zeigt mir die Sortiermaschine, die sich über die Hälfte der großen Halle erstreckt. Sie poliert die Äpfel und sortiert sie dann nach Durchmesser in entsprechende Fächer. Vor diesen Abteilen stehe ich mit Plastiktüten bereit, um immer zwei Kilo Äpfel zu verpacken. Danach muss ich die Tüten passend etikettieren. Ein Hexenwerk ist das nicht. Wie immer gilt: vorsichtig mit dem Produkt umgehen und die Qualität kontrollieren.
Auch in der Verpackung gilt für mich heute: Die große Obstkiste muss voll werden. Als das geschafft ist, habe ich fast Feierabend. Rainer Böhm zeigt mir noch die Lagerhallen. Darin bleibt das Obst in kontrollierter Atmosphäre bei wenig Sauerstoff und Temperaturen um die null Grad lange frisch. Zu guter Letzt darf ich mich noch am Gabelstapler probieren und eine der großen Kisten mit verpackten Äpfeln umherschieben. Auch wenn die Steuerung ungewohnt ist, es macht wirklich Spaß. Trotzdem bin ich froh, als ich mich wenig später ins Auto setzen und nach Hause fahren kann. Nach einem langen Tag an der frischen Luft freue ich mich darauf, die Füße hochzulegen.