Seit 2002 betreibt Frank Schweinfest eine Praxis für Allgemeinmedizin in Ermershausen. Zu seinem Team zählen insgesamt fünf medizinische Fachangestellte, die sich mit ihm um die Betreuung der Patientinnen und Patienten kümmern. So weit, so gewöhnlich. Wäre da nicht Neuzugang Olga Salun, die derzeit als Praktikantin in der Praxis hilft. Die 35-Jährige ist Ärztin und stammt aus Charkiw im Osten der Ukraine. Anfang März flüchtete sie zusammen mit ihren beiden Töchtern und ihrer Mutter von dort aus nach Deutschland.
Mitte März traf die Familie in Ermershausen ein. Auf die Frage, wie sie in die kleine Haßberg-Gemeinde an der Grenze zu Thüringen gekommen seien, erklärt Salun, dass Freunde aus Nürnberg hier einen Platz für sie gefunden hätten. Zusammen mit ihren Töchtern und ihrer Mutter lebt sie nun bei einer Ermershäuser Familie – im ersten Stock des Hauses. Der Vater ihrer Kinder indes befindet sich nach wie vor in der Ukraine. Derzeit nicht mehr in Charkiw, sondern im westlichen Teil des Landes.
Ermershausen ist für die ukrainischen Geflüchteten "wie eine große Familie"
Sie hätte inzwischen viele Kontakte in Ermershausen, berichtet Salun. Der Ort sei "wie eine große Familie. Alle kennen sich und helfen sich gegenseitig." So kam es auch, dass die Ärztin schnell wieder – zumindest ansatzweise – in ihrem Beruf Fuß fassen konnte. Der Kontakt sei über die Familie, bei der Salun lebt, zustande gekommen, berichtet Frank Schweinfest. "Sie haben gefragt, ob sie bei mir ein Praktikum machen kann." Salun diese Chance zu geben, sei für ihn selbstverständlich gewesen.
Seit Mitte April zählt Salun, die in der Ukraine zuletzt Medizinstudentinnen und -studenten an der Universität unterrichtete, nun zum Ermershäuser Praxisteam. Salun gehe mit zu den Patientinnen und Patienten ins Zimmer, erzählt Schweinfest. "Danach reden wir darüber, was sie verstanden hat, und bereiten den Rest auf Englisch nach." Auch medizinische Vokabeln würden geübt.
Ein bisschen Deutsch versteht Salun bereits, wie sie auch selbst sagt. Die Sprache ist für die Ukrainerin das größte noch fehlende Puzzlestück, um als Ärztin in Deutschland arbeiten zu können. Ihr Ziel ist es daher, Deutsch zu lernen und am Ende ein B2-Zertifikat zu erhalten. "Ohne B2-Level geht gar nichts", sagt auch Schweinfest. Wie etwa das Goethe-Institut auf seiner Website erklärt, bestätigt B2 ein fortgeschrittenes Sprachniveau. Es entspricht der vierten Stufe auf der sechsstufigen Kompetenzskala des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Ukrainische Ärztin auf der Suche nach einem Deutschkurs
Einen Sprachkurs besucht Salun aktuell noch nicht, sie sucht aber nach einem passenden Angebot, nach Möglichkeit in Ermershausen oder etwa in Maroldsweisach. Die Kurssuche im weiteren Umfeld scheitere bislang am Nahverkehr, ergänzt Schweinfest hier. "Man kommt einfacher nach Nürnberg als nach Haßfurt."
Reibungslos läuft hingegen das Praktikum: Ihr gefalle es sehr gut, sagt Salun. So lerne sie, wie ein deutscher Arzt arbeite. Und auch Schweinfest profitiert von der Erfahrung und dem Wissen seiner ukrainischen Kollegin. "Wenn man mit jemandem über die Sachen redet, denkt man selbst noch einmal darüber nach, und der andere hat auch nochmal einen anderen Blickwinkel, entdeckt vielleicht sogar Sachen, die man nicht gesehen hat."
Auch bei den Patientinnen und Patienten der Ermershäuser Praxis ist die Ukrainerin bislang nicht auf Ablehnung gestoßen, wie der Hausarzt weiter berichtet. Ganz im Gegenteil: Die Patientinnen und Patienten hätten eher interessiert und freundlich auf Salun reagiert.
Zukunft abhängig vom weiteren Verlauf des Kriegs in der Ukraine
Das Praktikum in der Praxis des Ermershäuser Allgemeinmediziners ist für Salun ein erster Schritt hin zu einem beruflichen Neustart in Deutschland. Sie hätten gewusst, dass sie einen "crazy neighbour", einen verrückten Nachbarn, haben, sagt die 35-Jährige mit Blick auf den Krieg, aber nicht damit gerechnet, dass Russland die gesamte Ukraine angreifen würde.
"We will see what will be", sagt Salun mit einem leichten Schulterzucken. Man werde sehen, was die Zukunft bringt. Wenn der Krieg nach zwei oder drei Monaten vorbei sei, werde sie in die Ukraine zurückkehren, erklärt sie. Dauert der Krieg jedoch mehrere Jahre, dann wird Salun wohl in Deutschland bleiben und irgendwann hier nicht mehr als Praktikantin, sondern als Ärztin arbeiten.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war von Saluns Ehemann die Rede. Die beiden sind aber geschieden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
Es gibt sicherlich feste Regularien, aber genau damit schafft sich Deutschland zum auch selbst Probleme. Unser System ist in keinster Weise auf indiviudelle Einzellösungen eingestellt. die so manches Mal sinnvoll wären!
Im Falle einer Medizinerin gibt es sicherlich einen Weg um in Deutschland als Ärztin tätig zu ein. Am Wichtigsten ist wohl hier der Nachweis der Sprachkenntnisse und die Anerkennung ihres Studiums. So etwas geschicht nicht von heute auf morgen, darf aber auch nicht zu Tode reglementiert und daduch in die Länge gezogen werden.
...("Man kommt einfacher nach Nürnberg als nach Haßfurt.") hilft auch das 9, Euro-Ticket nicht weiter...
Ich kenne z.B. einen Fall einer Lehrerin aus Griechenland, die exzellent deutsch spricht, die eine pädagogische Fachausbildung genossen hat, und schon als Erzieherin in Griechenland überqualifiziert wäre.
Doch in deutschen Kitas darf sie nur als Ergänzungskraft arbeiten , also eher nur einen Hilfsarbeiterjob übernehmen, obwohl sie eigentlich dem restlichen Personal vom Know-How her haushoch überlegen wäre... Denn in Kitas findet man in der Regel niemanden, der ein Studium mit einem Diplom abgeschlossen hat, wie sie.
Genauso, wie diese Ärztin aus der Ukraine: Sie hat Medizin studiert, hat promoviert, und in Deutschland reicht das gerade mal zu einer Praktikums-Stelle???
Die Fähigkeiten dieser Frau könnten z.B. im Rettungswagen über Leben und Tod eines Patienten entscheiden! Da geht es nicht um die Sprache, sondern um das Wissen...