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Haßfurt
Grüner Strom aus der Steckdose? Das ist längst nicht mehr das Problem der Energiewende in den Haßbergen
Landrat Wilhelm Schneider und GUT-Geschäftsführer Marco Siller nennen beim Pressegespräch andere Hürden. Aber wieder ist vom Regionalwerk die Rede.
Sie ist ein wichtiges Standbein der Energiewende im Landkreis Haßberge: Die Freiflächenphotovoltaik. Dementsprechend wird sie derzeit in vielen Gemeinden ausgebaut.
Foto: René Ruprecht | Sie ist ein wichtiges Standbein der Energiewende im Landkreis Haßberge: Die Freiflächenphotovoltaik. Dementsprechend wird sie derzeit in vielen Gemeinden ausgebaut.
Martin Sage
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:58 Uhr

Schon 2018, das jüngste Jahr, für das dem Landkreis Haßberge belastbare Energieverbrauchsdaten vorliegen, stammten über 70 Prozent des in seinen Haushalten, Kommunen und Unternehmen verbrauchten Stroms von insgesamt 428.000 Megawattstunden (MWh) aus regenerativen Energien. Grüner Strom also. Spätestens 2030 sollen es 100 Prozent sein. Also alles wunderbar?

Nein, erklärte Landrat Wilhelm Schneider am Dienstagnachmittag bei einem Pressegespräch über die Energiewende im Landkreis. Denn die Energiewende sei nicht nur eine Stromwende, sondern auch eine Verkehrswende und Wärmewende.

Geheizt wird im Landkreis Haßberge noch überwiegend mit Erdöl und Erdgas

Und vor allem bei der Wärmeerzeugung, sprich der Heizung von Gebäuden und der Warmwasserbereitung, sind fossile Brennstoffe nach wie vor der wichtigste Energieträger. Im Bezugsjahr 2018 summierte sich der Energieverbrauch für die Wärmeerzeugung im Landkreis auf 1,24 Millionen Megawattstunden (MWh). Daran waren Erdgas und Erdöl zu 74 Prozent beteiligt - mit Blick auf den Klimawandel und die angestrebte Energieautarkie ein dramatisch hoher Anteil.

"Das ist ein Nadelöhr, das wir unbedingt aufweiten müssen."
Landrat Wilhelm Schneider zur mangelhaften Netzinfrastruktur im Landkreis

Der Gesamtenergieverbrauch im Landkreis Haßberge erreichte 2018 einen Wert von etwa 1,8 Millionen Megawattstunden (Strom, Wärme, Verkehr). Fast 890.000 MWh kamen aus "Reststromerzeugung" - sprich aus nicht nachhaltiger Erzeugung. Wie lässt sich dieses Missverhältnis ändern? Darauf hat die Gesellschaft für die Umsetzung erneuerbarer Technologieprojekte im Landkreis Haßberge, kurz GUT, viele Antworten, aber vor allem zwei Ansätze. Sie lauten: Ausbau der Freiflächenphotovoltaik auf eine Leistung von rund 900.000 MWh. Das ist der wichtigste Baustein. Und Ausbau der Windkraft auf über 200.000 MWh. Für die Windenergienutzung bedeutet das konkret: Der Landkreis will 20 neue Windräder bauen. Erst vor kurzem hat der Kreistag beschlossen, nun auch im Naturpark Haßberge und später im Naturpark Steigerwald nach Standorten für Windgeneratoren zu suchen - was in der Vergangenheit ein Tabu war.

Die GUT, gegründet vom Landkreis Haßberge und allen 26 Kreiskommunen, gibt es schon seit 2011. 
Nach Fukushima wollten die Haßberge beim Atomausstieg und auch beim Klimawandel nicht einfach nur zuschauen. Hauptaufgabe der Gesellschaft ist, Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien hinsichtlich ihrer technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit ausloten und zur Planungsreife führen. Größtes Projekt der Gesellschaft bisher: Der Windpark im Sailershäuser Wald. Der ging Ende 2015 in Betrieb.

Jede Kommune soll ein Standortkonzept für Freiflächenphotovoltaik bekommen

Lange Zeit hat sich, was öffentlichkeitswirksame Projekte anbelangt, wenig getan. Doch inzwischen hat die GUT wieder Fahrt aufgenommen: Geschäftsführer Marco Siller berichtete am Dienstag davon, dass die Gesellschaft für elf Kommunen ein Standortkonzept für Freiflächenfotovoltaik erstellt hat, für drei weitere Gemeinden sei das Konzept noch in Arbeit. Und in Sand am Main, in Burgpreppach, in Untermerzbach oder Königsberg hat die GUT die Planungen für die Solarparks übernommen.

"Wenn wir nichts tun, wird der Klimawandel unsere Landschaft in einer Art und Weise ändern, die wir erst recht nicht wollen."
Landrat Wilhelm Schneider zur Veränderung des Landschaftsbildes durch Wind- und Solarparks

Neue Solarparks, neue Windräder, mehr grüner Strom: Das käme nicht nur "der Steckdose" zugute, sondern eben auch der Wärmeerzeugung. Denn beispielsweise grüner Wasserstoff aus der Windkraft kann ins Erdgasnetz eingespeist werden oder eines Tages ganz normal in Blockheizkraftwerken verbrannt werden, wie dies in Haßfurt in einem bundesweit einzigartigen Modellprojekt getestet wird.

20 weitere Windräder sollen in den nächsten Jahren im Landkreis Haßberge entstehen - auch in den beiden Naturparken Haßberge und Steigerwald.
Foto: René Ruprecht | 20 weitere Windräder sollen in den nächsten Jahren im Landkreis Haßberge entstehen - auch in den beiden Naturparken Haßberge und Steigerwald.

Marco Siller baut aber auch auf viel mehr Biogas, auf den Ausbau von Nahwärmenetzen und Wärmepumpen. Da fällt Hauseigentümerinnen und Eigentümern eine Schlüsselrolle zu: Denn was die Wärme anbelangt, so sind die privaten Haushalte mit Abstand die größten Verbraucher. Beim Strom sind es die Unternehmen.

Fundamentales Problem der Energiewende: Es fehlt am Netz zur Einspeisung des grünen Stroms

Der Ausbau erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen mag bisweilen schwierig sein, denkt man an den Protest, der sich gegen einen neuen Windpark und oft auch gegen Solarparks erhebt. Doch laut Wilhelm Schneider hat die Energiewende im Landkreis gegenwärtig ein noch viel größeres Problem: die mangelhafte Netzinfrastruktur. "Das ist ein Nadelöhr, das wir unbedingt aufweiten müssen", klagte der Landrat. Es fehlt an einem Verteilernetz, in das Wind- oder Sonnengeneratoren "draußen in der Fläche" ihre Energie einspeisen können. Weil das eine politische Frage sei, waren Schneider, Siller und Vertreter des Bayernwerks erst kürzlich im bayerischen Wirtschaftsministerium und haben die Problematik geschildert. "Aber das ist ein dickes Brett, das gebohrt werden muss", war sich der GUT-Geschäftsführer sicher, dass Freistaat und Bund hier keine schnellen Lösungen finden werden.

Das Regional- oder Landkreiswerk nimmt offenbar wichtige rechtliche Hürden

Einen guten Schritt weiter hingegen sind die Verfechter des Regionalwerks, also eines "Stadtwerks" auf Landkreisebene. Siller und Schneider haben eigenen Angaben zufolge inzwischen das Signal erhalten, dass einer Gründung rechtlich nichts im Wege stünde. Ein Regional- oder Landkreiswerk könnte die Stromversorgung für alle Kommunen übernehmen, sofern diese zustimmen. Aber zum Beispiel auch die Wärme für das ganze Kreisgebiet übernehmen und auch die Wasserversorgung sicherstellen. Hier seien viele Modelle denkbar, sagte Marco Siller.

Und zum Schluss des Pressegesprächs musste der Landrat die fast schon obligatorische Frage nach dem Landschaftsbild beantworten, wenn sich in den Haßbergen, im Maintal und im Steigerwald immer mehr Windräder drehen und Solarparks breit machen. Eine Frage, die Schneider für berechtigt hält. Auf die er aber folgende Antwort hatte: "Wenn wir nichts tun, wird der Klimawandel unsere Landschaft in einer Art und Weise ändern, die wir erst recht nicht wollen. Und die wir dann überhaupt nicht mehr beeinflussen können."

 
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  • DFR4
    Alles nur ein Drumherumgerede !
    Letztendlich ist es die Politik Merkels die Deutschland in die fatale Abhängigkeit Russlands geführt hat. Und sie schweigt. Das ist ihr Recht. Und niemand aus Politik und Medien macht das zum Thema. Und das ist ein Skandal! Woran liegt es dass niemand die Politik der Ära Merkel für die aktuelle Situation zur Verantwortung ziehen will? Man hat mitgemacht, alle Parteien (ausser die, deren Namen man nicht nennen darf) im Bundestag haben die „Energiewende“ mit getragen, wissentlich dass damit eine fatale Abhängigkeit von den Gaslieferungen aus Russland einher geht. Die Leitmedien sowieso, die fordern ja noch mehr „Energiewende“, völlig losgelöst von der Realität auf den Energiemärkten. Man schont Frau Merkel weil man sich selbst damit schont denn sie war zwar der Anstifter und die „Richtlinienkompetenz“ hinter der „Energiewende“, aber mitgemacht haben, mal wieder, (fast) alle….
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  • AndrewHOH
    Sollte im Landratszimmer, bei der GUT und bei der BEG hängen: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann."
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  • r.scheuring@t-online.de
    Irrglaube des Landrats
    Es müsste doch langsam auch einem Landrat klar werden, dass wir mit der Energiewende, wie sie in Deutschland praktizieren das Weltklima nicht retten werden. Die Erneuerbaren brauchen immer ein "Backup-System" für die Zeiten wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Das hätten eine ganze Menge Gaskraftwerke sein sollen. Dieser Weg ist mit dem Ukrainekrieg verbaut. Gas hätte gegenüber anderen fossilen Energiequellen den Vorteil gehabt, dass weniger CO-2 emittiert worden wäre. Jetzt bleibt der Weg über Kohle, die dann wesentlich mehr CO-2 emittiert. Der deutsche Energiewende-Weg führt jedenfalls immer dazu, dass die selbst gesteckten Emissionsziele regelmäßig nicht erreicht werden. Die Forderung nach einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren macht erst dann Sinn, wenn es großtechnische Möglichkeiten gibt den Strom zu speichern. Diese sind jedoch nicht ansatzweise erkennbar.
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  • AndrewHOH
    Richtig, und das Haßfurter "Power-to-Gas"-Bohei ist nichts anderes als blinde Selbstverliebtheit!
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  • 50Hertz
    CO2 armes backup-System zerstört / Ideologie gegen Notwendigkeit
    Der hastige Atomausstieg war die dümmste Regierungsentscheidung seit Gründung der Bundesrepublik. Die angeblichen "sachlichen" Gründe dafür waren lediglich vorgeschoben, um grüne Ideologen zu befriedigen, die einen Teil der Bevölkerung über Jahre gegen die billigste und sauberste Energiegewinnung aufgehetzt hatten. Als Negativbeispiele wurden der technisch völlig veraltete, stets schlecht gewartete und dazu noch noch völlig anders moderierte Tschernobyl-Komplex angeführt und die an eine Tsunamiküste im Erdbebengebiet Japans hingeknallten AKWs an die Wand gemalt. Garniert mit der angeblich unlösbaren Endlagerung.
    Jetzt bietet die Not eine Gelegenheit einigermaßen elegant vom hirnrissigen Ausstieg Abstand zu nehmen! Und sich der modernen Atomtechnik zuzuwenden. — Und was geschieht?! Die Grünen ziehen eine Flappe und der intelligentere, verantwortungsbewußtere Teil der Ampel kuscht. Das Regierungsversagen wird perpetuiert.
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  • Ertha
    Der Naturpark Haßberge gehört zur letzten Reserve-Natur, die wir noch haben. Wenn er kaputt ist, gibt es keine Ausweichnatur mehr. Windkraft brauchen wir, aber nicht auf Kosten des letzten Fleckchens Natur, die es noch gibt. Unser "Willi" trifft wieder mal eine schwerwiegende Fehlentscheidung, er sollte abtreten und den Weg für eine Neuwahl freimachen, bevor er noch mehr Schaden anrichtet!
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  • Michael Fischer
    Herr Schneider kann sich gerne mal bei uns in der Talstraße einmieten. Dann sieht er wie Öko-Energie die Anwohner belastet. Entweder Maistransporte zur Biogasanlage oder Odellaster. Und die blinkenden Windräder nicht zu vergessen. Der Landrat wohnt bestimmt in einer ruhigen Gegend. Lieber ein AKW als die ganze Landschaft verschandelt.
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  • 50Hertz
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  • DFR4
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