Erschöpft, kaum belastbar, dauermüde – aber warum? Das Phänomen Long-Covid gibt nach wie vor Rätsel auf. Betroffene leiden noch lange nach einer Corona-Infektion unter gesundheitlichen Problemen. Wie Bad Brückenaus Bürgermeister Jochen Vogel, der seit Monaten gegen seine Post-Covid-Erkrankung kämpft. Jetzt hat er den Ruhestand beantragt und sagt: Einfach weitermachen funktioniert nicht mehr.
Die Geschichte des Rathaus-Chefs ist kein Einzelfall. Doch wie verbreitet sind solch gravierenden Corona-Langzeitfolgen wirklich? Welche Rolle spielt die Psyche? Gibt es mittlerweile Therapien? Und ist Long-Covid heilbar? Experten aus Unterfranken geben Antworten.
Was ist der Unterschied zwischen Long-Covid und Post-Covid?
Unter die beiden Begriffe werden Langzeitfolgen einer Corona-Infektion gefasst. Bei einer Infektion seien Patienten zwischen drei und fünf Tage lang krank, sagt Dr. Bernd Seese, Chefarzt der Pneumologie und Ärztlicher Direktor des Thoraxzentrums in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen). Dauern die gesundheitlichen Beschwerden länger als vier Wochen an, spreche man von Long-Covid. Nach mehr als drei Monaten mit Beschwerden dann von Post-Covid.
Wie verbreitet sind Langzeitfolgen von Corona?
Dazu gibt es keine genauen Zahlen. Laut Robert Koch-Institut (RKI) fehlen noch immer repräsentative, kontrollierte Studien mit "ausreichender Nachbeobachtungszeit". Vorliegende Untersuchungen kommen je nach Art der Erhebung und genutzter Definition zu sehr unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Ergebnissen. In einer Studie aus Deutschland aus dem Jahr 2022 beispielsweise werde die Häufigkeit von Post-Covid laut RKI auf 6,5 Prozent der Infizierten geschätzt.
"Leider ist es weitgehend ungeklärt, wie verbreitet das Long-Covid-Syndrom ist", sagt ein Expertenteam der Uniklinik Würzburg mit Prof. Patrick Meybohm (Intensivmedizin und Anästhesiologie), Prof. Stefanie Kampmeier und Dr. Manuel Krone (Krankenhaushygiene), Prof. Ildikó Gágyor (Allgemeinmedizin) und Prof. Jürgen Deckert (Psychiatrie). Insgesamt würden sich nur wenige betroffene Patientinnen und Patienten in Behandlung begeben.
Auch Joachim Lentzkow, unterfränkischer Vorstandbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), geht von einer hohen Dunkelziffer aus. In seiner Praxis in Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) betreut der Hausarzt aktuell zwei Betroffene. Allerdings falle die Diagnose schwer, sagt Lentzkow. Für eine "messerscharfe" Abgrenzung zu anderen Erkrankungen fehle es an Forschung.
Gibt es Risikofaktoren für Long- oder Post-Covid?
Derzeit gehe man von unterschiedlichen Ursachen für Long- oder Post-Covid aus, heißt es vom Expertenteam der Uniklinik Würzburg. Immunreaktionen nach Virusinfektionen und Autoantikörper spielten wohl eine wichtige Rolle. Zu den Risikofaktoren zählten beispielsweise hohes Alter, weibliches Geschlecht, ein hoher Body-Mass-Index, Rauchen, eine intensivmedizinische Behandlung während Corona oder Begleiterkrankungen. Und: Insgesamt träten bei der Virusvariante Omikron weniger Langzeitfolgen auf als bei vorhergehenden Varianten.
Welche Symptome haben Betroffene?
Als typische Symptome bei Patienten mit Long- oder Post-Covid nennt Hausarzt Joachim Lentzkow Antriebslosigkeit, bleierne Müdigkeit, Fatigue, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme. Aber auch körperliche Symptome wie Husten, Muskelschwäche oder geringe Belastbarkeit würden auftreten.
Wie wird Long-Covid diagnostiziert?
Hier liegt das Problem: "Man stellt die Diagnose auf Verdacht, kann es aber nicht beweisen", sagt Allgemeinmediziner Joachim Lentzkow. Es gebe keinen Parameter, der eindeutig auf Long- oder Post-Covid hinweise. "Wenn wir heute Post-Covid diagnostizieren wollen, ist es häufig eine Ausschlussdiagnose", bestätigt Pneumologe Bernd Seese. Umfangreiche Untersuchungen würden gemacht, lange Befragungen geführt. Trotzdem finde man bei den Patienten manchmal "nichts, was diese Beschwerden erklärt".
Was passiert bei Long- und Post-Covid im Körper?
Darauf hat die Wissenschaft noch keine klare Antwort. Bislang gebe es "keine harte Evidenz" zur Entstehung und den Prozessen von Long- und Post-Covid, heißt es von den Experten der Würzburger Uniklinik. Aktuell würden vor allem zwei mögliche Mechanismen diskutiert: eine langfristige Viruspersistenz oder die Auslösung von Autoimmunphänomenen.
Vermutlich fänden bei Post-Covid im Körper Prozesse statt, die Autoimmunreaktionen anstoßen, sagt der Münnerstädter Lungenspezialist Bernd Seese. "Also eine überschießende anhaltende Entzündungsreaktion." Dabei könne die sogenannte Viruspersistenz eine Rolle spielen. Gemeint ist damit, vereinfacht gesagt, dass das Coronavirus nicht ganz eliminiert werden kann: Teile blieben "wie in versteckten Nischen" im Körper und würden den Entzündungsprozess immer wieder anstoßen.
"Gefäßentzündung kleinster Gefäße und Mikroembolien können Folgen der Covid-Infektion sein", sagt Seese. "Aber das läuft auf einer Gewebeebene ab, die wir nicht mit der üblichen Bildgebung greifen können."
Welche Rolle spielt die Psyche bei den Corona-Langzeitfolgen?
"Die Psyche spielt für das Immunsystem eine große Rolle", so die Experten der Würzburger Uniklinik. Länger nicht arbeiten zu können und krank zu sein, stelle eine enorme Belastung dar. Im Zusammenhang mit Long- oder Post-Covid würden häufig Symptome berichtet, wie sie von Depressionen und Angsterkrankungen bekannt sind - zum Beispiel Erschöpfung, Konzentrationsstörungen oder Herzrasen. Psychiater oder Psychologen müssten dann abklären, ob eine solche Erkrankung vorliegt.
Die Psyche habe großen Einfluss, man könne aber nicht sagen, dass Long-Covid eine psychische Erkrankung sei, sagt auch Bernd Seese. Noch sei nicht richtig verstanden, was nicht-psychisch genau passiert - "und wir tun uns sehr schwer damit, es konkret nachzuweisen". Es gebe eben nicht den einen Laborwert oder das Diagnose-Bild, das alles erkläre. Seiner Erfahrung nach fällt es Patienten, die vor Corona psychisch belastet waren, schwerer, mit Post-Covid umzugehen.
Wie werden Patienten behandelt und gibt es Medikamente gegen Long- und Post-Covid?
Betroffene werden symptomatisch behandelt – das heißt, je nach Beschwerden. Dabei seien körperliche Probleme deutlich einfacher anzugehen als neuro-kognitive, sagt Pneumologe Seese. Gegen Muskelschwäche oder Einschränkungen des Lungenvolumens könne vorsichtiges körperliches Training helfen, bei Schmerzen Entspannungsübungen oder Physiotherapie. "Alles, was in den Bereich Fatigue geht, das ist schwerer zu behandeln und es gibt meist keinen so schnellen Therapieerfolg." Ein Medikament gegen Long- oder Post-Covid gibt es noch nicht.
Ist Post-Covid heilbar?
Heilung sei der falsche Begriff, sagt Hausarzt Joachim Lentzkow. Er sei bei seinen Post-Covid-Patienten aber "positiv optimistisch", dass die Beschwerden wieder verschwinden. Bei anderen Viruserkrankungen gebe es vergleichbare Langzeitfolgen.
Auch der Chefarzt Bernd Seese hat im Münnerstädter Thoraxzentrum die Erfahrung gemacht, dass es den "allermeisten" Betroffenen irgendwann besser geht. Ob das Immunsystem über das Virus siege oder die Erkrankung schlicht akzeptiert wird, sei offen. "Der Leidensdruck wird bei den meisten Patienten abnehmen", sagt Seese. Dafür brauche es allerdings Geduld: Post-Covid könne durchaus eineinhalb oder zwei Jahre andauern.
Wo finden Betroffene aus Unterfranken Hilfe?
Zentrale Anlaufstelle für Erwachsene in Nordbayern ist das Post-Covid-Zentrum am Uniklinikum Erlangen. In Würzburg gibt es an der Uniklinik mehrere fachspezifische Spezialambulanzen, die je nach Symptomen behandeln, zudem bieten Reha-Kliniken und Hausarztpraxen Hilfe. "Hausärzte sind für Betroffene die richtigen Ansprechpartner, weil sie den ganzen Menschen betrachten", unterstreicht Joachim Lentzkow. Speziell geschult würden er und seine Kolleginnen und Kollegen für das Phänomen Long- und Post-Covid aber bisher nicht.