"Unfassbar." So beschreibt Johann Endres den Moment, als er die Diagnose bekam. Corona. Ausgerechnet er, der im Betrieb "immer dafür plädierte, dass niemand am Wochenende weggeht oder große Feiern macht". Im April hat er sich infiziert. Aus einem "ständigen Husten" wurden eine Lungenembolie und Herzkammerflimmern. Bis heute fällt dem 60-Jährigen das Atmen schwer, er ist schnell erschöpft, kann sich nur mühsam länger konzentrieren. Seit Anfang Juni ist er deshalb in der Frankenklinik in Bad Kissingen zur Rehabilitation. Sein Wunsch: "Einfach wieder fit werden". Nur: Wie geht das?
In der Frankenklinik seien bisher an die 60 Patienten nach überstandener Corona-Erkrankung behandelt worden, sagt Chefarzt Dr. Christian Kuzman-Anton. Dabei handle es sich nicht um hochbetagte Senioren, sondern Menschen, die mitten im Erwerbsleben stünden. Aktuell würden fünf Betroffene betreut. "Sie sind in das normale Therapieprogramm integriert", sagt Kuzman-Anton. Ein eigenes Corona-Konzept gebe es nicht – das sei aber auch nicht nötig. Denn für Patienten mit Lungen- oder Herzproblemen, wie sie beispielsweise häufig nach Covid-19 auftreten, bestünden in der Klinik längst "sehr gute Konzepte".
Mehr Diagnostik und psychologische Betreuung für Corona-Patienten
Allerdings wurde laut Kuzman-Anton die Diagnostik für Corona-Patienten ausgedehnt. Hinzu kämen meist eine umfangreichere psychologische Betreuung und vor allem zahlreiche Arztgespräche. "Wir reden sehr viel mit den Betroffenen und erklären. Es ist für sie oft schwer, zu verstehen, was sie da durchgemacht haben."
So geht es auch Johann Endres. Seine zweite Woche in der Klinik hat gerade begonnen. Es ist heiß an diesem Nachmittag, mehr als 30 Grad Celsius zeigt das Thermometer draußen an. Nur wenige Patienten quälen sich trotzdem im Trainingsraum. Endres tritt langsam und gleichmäßig in die Pedale. Seine Beine stecken in Thrombosestrümpfen, die Maske ist auch auf dem Fahrrad-Ergometer Pflicht. Drei bis vier Stunden Therapie pro Tag stehen auf seinem Plan.
Zur Behandlung von Corona-Patienten gehören in der Klinik unter anderem Kranken- und Atemgymnastik, aber auch Ausdauer- oder leichtes Kraft-Ausdauer-Training. Mal in der Gruppe bei der Hockergymnastik, mal alleine auf dem Ergometer. Ziel sei es, zu mobilisieren, erklärt Physiotherapeutin Marie-Theres Franz. Das Herz-Kreislauf-System wieder in Schwung zu bringen. "Manche Patienten wollen nach dem Krankenhaus sofort wieder richtig loslegen", sagt Franz. Statt anzutreiben müssten sie und ihre Kollegen da oft bremsen.
"Es ist wichtig, dass man langsam anfängt und sich dann steigert." Gerade nach Covid-19. "Viele Corona-Patienten leiden unter Zukunfts- und Existenzängsten", sagt die Therapeutin. Die Betroffenen merkten, sie könnten nicht mehr so wie bisher, die Luft fehle, die Kraft sei weg. "Sie fürchten, nicht mehr die gleiche Leistungsfähigkeit wie vor der Erkrankung zu erreichen." Johann Endres nickt. Eine "gewisse Angst ist noch da, das gebe ich zu", sagt der 60-Jährige. Auch wenn seine Infektion mittlerweile Wochen zurückliegt.
Rückblick. Im April wird der Sachbearbeiter auf einmal von einem hartnäckigen Reizhusten geplagt. Ein Test bestätigt: Er hat sich mit der britischen Corona-Variante angesteckt. Drei Wochen bleibt Endres zu Hause. Der Husten aber geht nicht weg. "Wenn ich mich hingelegt habe, wurde es so schlimm, dass ich dachte, ich würde ersticken." Schließlich sucht der 60-Jährige seine Hausärztin auf – und die schickt ihn sofort ins Krankenhaus. Vorkammerflimmern und Lungenembolie.
Zudem sei in der Klinik in Ochsenfurt noch eine Thrombose im Knie festgestellt worden, erzählt Endres. Eine Woche wird er stationär behandelt, dann bis zur Reha nach Hause geschickt. "In der Zeit habe ich mich falsch bewegt", sagt Endres. Er sei viel gelaufen, zu viel. In der Rehaklinik flimmert sein Herz erneut. "Da habe ich für mich gemerkt: Ich muss jetzt aufhören und Ruhe finden."
Geholfen hätten ihm dabei vor allem Atemübungen. "Man fokussiert sich ganz auf sich und lernt zu entspannen", sagt der 60-Jährige. Das bremst – die Panik wie den Eifer gleichermaßen. Noch immer fehle ihm etwas Lungenvolumen, "wenn ich länger spaziere oder steil bergauf gehe, merke ich es". Und auch das Zeitunglesen werde nach knapp einer halben Seite mühsam, die Konzentration lasse nach. Das verunsichere. Die eigene Schwäche zu akzeptieren sei schwergefallen – und falle es immer noch.
Nach Schätzung von Experten kämpfen rund 65 000 Menschen in Bayern mit Corona-Spätfolgen
Alleine jedoch ist Endres damit nicht, wie Physiotherapeutin Franz und Chefarzt Kuzman-Anton bestätigen. Die Müdigkeit, das chronische Fatigue-Syndrom, als Folge von Corona sei bekannt und komme häufig vor. "Wir wissen, dass wir die Leute nicht überfordern dürfen", sagt Kuzman-Anton. "Es geht darum, ihnen Zeit zu lassen und darauf zu achten, dass auch sie selbst sich nicht zu stark belasten." Denn: Eine Covid-Erkrankung sei ein Einschnitt, sagt der Mediziner. Körperlich wie psychisch. Die Reha dauere in der Regel drei bis fünf Wochen. Danach aber sei nicht immer gleich wieder alles wie vorher. "Es ist damit nicht getan", sagt Kuzman-Anton. "Wir sehen gute Verläufe – wie lange es aber im Einzelfall dauert, kann keiner ehrlich beantworten."
Mit fünf Millionen Euro will Bayern nun die Forschung zu Spät- und Langzeitfolgen einer Corona-Infektion vorantreiben. Das hat das Kabinett am Dienstag in München beschlossen. Gefördert werden sollen insbesondere multidisziplinäre Versorgungskonzepte für Long-Covid-Patienten. Denn nach Schätzungen von Experten kämpfen etwa zehn Prozent der Corona-Erkrankten mit Spätfolgen. Im Freistaat wären das derzeit rund 65 000 Menschen, bundesweit etwa 350 000.
Johann Endres steigt vom Ergometer. Genug geradelt. Für heute. Nach der Reha will er das beibehalten und auf dem E-Bike durch die Weinberge in seiner Heimat im Raum Kitzingen fahren. Und: "Ich will wieder zurück ins Berufsleben", sagt der 60-Jährige. Ganz sicher. Allerdings habe er auch gelernt, dass "Gesundheit kostbar ist". Im Moment seien Herz und Lunge noch Schwachpunkte, noch könne er nicht Hundert Prozent leisten, noch nicht wieder arbeiten. "Ich sage mir deshalb: Jetzt muss ich an erster Stelle stehen und wenn ich das im Griff habe, geht es weiter", sagt Endres. "Ich werde hier einfach alles machen, damit ich wieder fit werde – aber langsam."