
In den vergangenen zwei Jahren habe man hier gelernt, zu verlieren, sagt Stephan Kern. Menschenleben zu verlieren, an das Virus. Vor der Pandemie seien er und seine Kolleginnen und Kollegen es gewohnt gewesen, auch einmal zu "gewinnen". Und das Leben eines Patienten, einer Patientin retten zu können. Seit Corona sei das anders. "Jetzt verlieren wir fast immer", sagt Kern über den Kampf. "Das macht was mit einem."
Der 48-Jährige steht zwischen zwei Betten auf der Intensivstation O53 des Uniklinikums Würzburg. Während es draußen vor dem Fenster gerade erst hell wird, übernimmt drinnen die Frühschicht den täglichen Kampf gegen das Virus. Wegen der Infektionsgefahr trägt der Stationsleiter volle Schutzmontur. Denn hier landen die richtig schweren Corona-Fälle.
"Wir sind Maximalversorger", sagt Kern, "zu uns kommen die, die woanders keine Chance mehr haben". Maximal bedeutet, dass die Erkrankten, sowohl was die technische als auch die personelle Ausstattung anbelangt, auf höchster Versorgungsstufe behandelt werden. Es heißt aber auch: Wenn man ihnen hier nicht helfen kann, kann man es vermutlich nirgendwo.

Angst habe viele Patientinnen und Patienten von der Impfung abgehalten
Die Maschinen hinter dem Stationsleiter geben gleichmäßige Töne von sich. Über Monitore flimmern bunte Linien, die in regelmäßigen Abständen ausschlagen. Sie zeigen die Vitalparameter der beiden Menschen an, die hier in den Betten liegen. Eine Frau Mitte 40 und ein Mann Anfang 60. Beide sind ungeimpft, um beide steht es schlecht.
Sie sind zwei der acht Corona-Infizierten, die an diesem 24. November auf der Station behandelt werden. Am Tag zuvor seien es noch elf gewesen, sagt Stephan Kern. Doch in drei Fällen habe man erneut gegen das Virus verloren. So gehe das hier mittlerweile in etwa 90 Prozent der Fälle.
"Es ist verrückt", sagt Kern, im einen Moment gehe es den Erkrankten noch verhältnismäßig gut. Doch dann - er schippst mit den Fingern: "Als hätte man sie ausgeknipst."

Er nickt in Richtung der Patientin. "Als sie eingeliefert wurde, konnte sie noch sitzen, war ansprechbar." Dann sei alles ganz schnell gegangen. Ihr Zustand verschlechterte sich, sie musste ins künstliche Koma versetzt und an eine künstliche Lunge angeschlossen werden. Bei Bewusstsein sei dieser Zustand nicht auszuhalten, sagt der Stationsleiter.
Warum sie sich nicht impfen ließ, wisse er nicht. Meistens sei es Angst, die die Menschen hier von der Impfung abgehalten habe. Richtige Impfgegner hätten sie hier auf der Intensivstation der Uniklinik kaum. Im Grunde spiele es auch keine Rolle. "Wir behandeln alle gleich, ob geimpft oder ungeimpft." Bitter sei es jedoch schon. Besonders wenn man immer mehr ungeimpfte junge Menschen "gehen lassen muss".
Das Wenden der Infizierten ist notwendig und lebensbedrohlich zugleich
Die beiden Infizierten in diesem Zimmer liegen auf dem Bauch, damit ihre Lungen bestmöglich beatmet werden können. Aus beinahe jeder Körperöffnung ragen Schläuche, die in Unmengen an Maschinen verschwinden. Zwei Pflegekräfte hantieren an den Geräten, die die Erkrankten am Leben erhalten. Wegen der Infektionsgefahr tragen auch sie volle Schutzmontur.

"Wir müssen sie jetzt wenden", sagt ein Pfleger. Schutzkittel, zwei Paar Handschuhe, Maske - hinter dem Gesichtsvisier ist von ihm fast nichts zu sehen. Seine Kollegin nickt, Kern und ein weiterer Kollege eilen zu Hilfe.
Ein kritischer Moment. "Wenn sich einer der Schläuche löst, ist sie tot", sagt Stephan Kern. Dennoch sei die Maßnahme aus therapeutischer Sicht notwendig, um Druckstellen und das Absterben von Gewebe zu vermeiden. Und um die Patientin weiterhin bestmöglich beatmen zu können. Alles verläuft gut. Die bunten Linien schlagen weiterhin regelmäßig aus. Die Anspannung im Raum nimmt ab.
Mit geschwollenem Gesicht, abgeklebten Augen und Tamponage in der Nase
Als die Pflegekräfte vom Bett zurücktreten, ist das geschwollene Gesicht der Frau zu sehen. Ihre Augen sind abgeklebt, die Nasenlöcher tamponiert. So soll verhindert werden, dass in der Liegeposition aufsteigende Magensäfte in die Augen geraten und sie verätzen, erklärt Kern. Die Tamponage soll das Bluten der Schleimhäute, das durch die blutverdünnenden Mittel ausgelöst wird, stillen.

Gegen Ende der Schicht wird es unruhig auf der Station. Ein weiterer Corona-Patient trifft ein. Fünf Pflegekräfte in voller Schutzmontur schieben den älteren Mann in einem Bett den Flur entlang. Er sieht ängstlich aus hinter der Sauerstoffmaske. Er leide an Krebs, sagt der Stationsleiter. Man müsse jetzt absprechen, in wie weit eine Covid-Behandlung für ihn machbar sei.
Durch eine Scheibe beobachten Pflegerinnen, Pfleger und einige Ärzte, wie der Neuzugang versorgt wird. Kaum jemand spricht. Und wenn, dann nur leise. Die Anspannung ist spürbar.
Wenig später erneut die Nachricht: Ein weiterer Infizierter braucht ein Bett. Kern wirkt besorgt. Er muss mit dem leitenden Oberarzt die Kapazitäten der Station besprechen. "Wir müssen schauen, wie wir handlungsfähig bleiben." Ob Maximalversorger oder nicht - auch hier, sagt Kern, stoße man inzwischen an Grenzen.
Die Autorin über diese Reportage

Nur leider werden diejenigen, die durch Impfung und Kontakteinschränkung am meisten für eine Besserung der Zustände tun könnten, den Artikel nicht lesen.
Stattdessen verbreiten sie Whatsappnachrichten über angeblich volle Intensivstationen mit Impfgeschädigten.
Es bleibt zu hoffen, dass viele Zweifler und realitätsferne Faktenverdreher doch noch die Kurve kriegen und den Ernst der Situation begreifen. Zudem erkennen, was sie mit ihrer Haltung dem medizinischen Personal zumuten, das mit kurzen Unterbrechungen nun bald 2 Jahre „am Anschlag“ arbeitet, oder was sie denjenigen zumuten, deren Operationen und stationäre Behandlungen abgesagt/verschoben werden müssen, oder die im Notfall nicht heimatnah versorgt werden können.
Aus eigener Erfahrung (Praktikum in einer ITS) kann ich versichern, dass nichts übertrieben ist! Was muten wir eigentlich dem Gesundheitspersonal alles zu? Die Bedingungen sind ohne Corona schon grenzwertig! Ich finde es ignorant, dumm und arrogant sich nicht impfen zu lassen! Hochachtung für alle Pflegenden!
Entweder es gibt eine Pflicht - dann handelt man strafbar, wenn man sich nicht impft. Oder es ist freiwillig, dann darf man es eben selbst entscheiden.
Die Politik hat bislang keine Impfpflicht beschlossen, und möchte sie irgendwie doch durchsetzen. Darüber hinaus, habe ich in den vergangen Tagen mehrfach versucht, mich impfen (Booster - ich bin 2 mal geimpft) zu lassen, aber keinen Termin bekommen.
Eine Impfpflicht scheitert also offenbar schon am vorhandenen Impfmaterial. Schon gar nicht kann man sich den Impfstoff aussuchen.
Dass die Ungeimpften das alles ungerecht finden, kann ich sogar nachvollziehen.
Die meisten Politiker glaubten halt dass die große Mehrheit der Bürger sich vernünftig verhalten würde.
Der irrationale Einfluss der Abwärts für Deutschland wurde unterschätzt. Denn gerade aus deren Umfeld kommen besonders viele Menschen, die leider auch sehenden Auges lieber sterben als sich impfen zu lassen.
Dass diese Ignoranten ihr Leben riskieren wäre ja nicht weiter schlimm, wenn sie von vornherein jegliche medizinische Hilfe in einer persönlichen Verfügung ausschließen würden.
Aber leider vertrauen auch diese Quarkdenker auf unsere gute medizinische Versorgung und blockieren dadurch anderen Menschen eine dringend nötige Operation oder andere medizinische Versorgung und Rehabilitation.
Auch über das Unverständnis und die Unverschämtheiten von ungeimpften Arbeitnehmern, welche nun täglich in ihrer Firma getestet oder einen tagesaktuellen, negativen Testnachweis vorlegen müssen.
Einer dieser Unverbesserlichen sagte mir heute früh, dass er, nach seinem negativen Test, nun nicht mit geimpften (ungetesteten) Leuten zusammenarbeiten möchte, da er sich nicht infizieren will.... Geht`s noch?
Aber solche Spielchen werden nun gespielt und gehen leider an der harten Realität vorbei.
Es ist unbequem, aber absolut nötig! Nur so kommen wir zu einer vernünftig berechneten Gesamtinzidenz, die alles abbildet. Die Inzidenz so als Messwert zurückzuschneiden war definitiv ein Fehler. Denn sonst hätte man die Welle nicht erst in den Kliniken bemerkt, sondern früher. Und dann hätte man rechtzeitig mit weichen Maßnahmen gegensteuern können…
Hätte, hätte, Fahrradkette.
Es hängt aber auch - und das muss man dem Ungimpften klar kommunizieren- von den Ungeimpften ab: wir haben leider einen Anteil an Ungeimpften, der nicht auf der ICU landen müsste, weil er geimpft einen milden Verlauf hätte. Das ist also vermeidbar.
Was uns allen klar sein muss: auch im Herbst/Winter 2022 werden wir eine Welle bekommen. Die wird nicht so groß wie die jetzige.
Und jetzt gerade hilft nur eins: Abstand halten und sich impfen lassen.