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Bad Kissingen
Gegen das Vergessen: Wie Rudolf und Marlies Walter seit 35 Jahren an das jüdische Leben in Bad Kissingen erinnern
Für sein langjähriges ehrenamtliches Engagement erhält das Ehepaar aus Bad Kissingen den renommierten Obermayer Award in Berlin. Was die Walters antreibt.
Das Ehepaar Rudolf und Marlies Walter wird am 23. Januar mit dem Obermayer Award ausgezeichnet. Seit vielen Jahren beschäftigen die Walters sich mit dem jüdischen Leben in Bad Kissingen.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Das Ehepaar Rudolf und Marlies Walter wird am 23. Januar mit dem Obermayer Award ausgezeichnet. Seit vielen Jahren beschäftigen die Walters sich mit dem jüdischen Leben in Bad Kissingen.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:39 Uhr

Seit 35 Jahren erforschen die Eheleute Rudolf und Marlies Walter das jüdische Leben in Bad Kissingen, sammeln Bild- und Textmaterial, halten Kontakt zu Hinterbliebenen und Nachgeborenen und sorgen für Begegnungen in der Kurstadt. Dafür werden die Walters nun in Berlin mit dem Obermayer Award ausgezeichnet.

Mit der renommierten Auszeichnung werden deutsche Bürgerinnen und Bürger geehrt, die sich besonders dafür einsetzen, die jüdische Geschichte und Kultur in ihrer Heimat zu erhalten. Frühere Geehrte waren unter anderem auch Hans-Jürgen Beck aus Bad Kissingen, Elisabeth Böhrer aus Sondheim (Landkreis Rhön-Grabfeld) oder die 2017 verstorbene Cordula Kappner aus Haßfurt.

Die Walters haben ein Online-Gedenkbuch mit mehr als 600 Biografien veröffentlicht

Die Arbeit der Walters begann 1988 mit den Vorbereitungen zur Dauerausstellung "Jüdisches Leben in Bad Kissingen" und gipfelte am 23. Januar 2020 mit der öffentlichen Vorstellung ihres Biografischen Online-Gedenkbuches mit weit über 600 Biografien.

Auf den Tag genau drei Jahre später werden nun Rudolf und Marlies Walter anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages am 23. Januar im Berliner Abgeordnetenhaus für ihre 35-jährige Erinnerungsarbeit mit dem Obermayer Award der gleichnamigen US-Stiftung ausgezeichnet. "Dies ist unsere erste Auszeichnung", freuen sich die Walters über die hohe Anerkennung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit.

Wie konnte es zu einer solchen Katastrophe in der deutschen Geschichte kommen?

Doch wie kam das Ehepaar dazu, sich dieses nicht einfachen Themas "Jüdisches Leben in Bad Kissingen" anzunehmen? "Schon als junger Geschichtsstudent, aufgewachsen im Zeitgeist der 1968er, interessierte mich die Frage, wie es zu einer solchen Katastrophe in der deutschen Geschichte kommen konnte", sagt Rudolf Walter.

Als sich im 1988 der 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 näherte, nahm der seit September 1980 am Bad Kissinger Gymnasium tätige Geschichtslehrer die Anregung seines früheren Schülers Hans-Jürgen Beck auf, in seinen Geschichtskursen eine Ausstellung über die jüdische Geschichte der Stadt und das Schicksal der jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu erstellen.

Walter: "Die Vorbereitung und Ausstellungsgestaltung wurden für mich zu einer unvergesslichen Erfahrung." Seit 35 Jahren hat diese Ausstellung ihren dauerhaften Platz im Jüdischen Gemeindehaus (Promenadestraße) und wird seitdem von Marlies Walter gepflegt.

Beeindruckt vom Engagement seiner Schülerinnen und Schüler sowie vor allem von der positiven Reaktion vieler zu Recherche-Zwecken angesprochener emigrierter Juden ließ das Thema die Walters nicht mehr los. Gemeinsam mit Hans-Jürgen Beck veröffentlichte Rudolf Walter 1990 das Buch "Jüdisches Leben in Bad Kissingen" als Begleitband zur Dauerausstellung.

Persönliche Begegnungen motivierten Marlies und Rudolf Walter

Daraus ergaben sich in den Folgejahren persönliche Begegnungen, auch regelmäßige Besuche emigrierter Juden und Familien in ihrer Geburtsstadt. Vor allem diese persönlichen Begegnungen gaben Marlies und Rudolf Walter das Gefühl, mit ihrer Arbeit "diesen Menschen eine Wiederannäherung an ihre frühere Heimat und eine Versöhnung zu ermöglichen".

Ein solches Zeichen der Versöhnung war die von Rudolf Walter unterstützte Umbenennung seines Bad Kissinger Gymnasiums in Jack-Steinberger-Gymnasium zu Ehren des 1921 in Bad Kissingen geborenen Physik-Nobelpreisträgers.

Seit 1988 intensivierte das Ehepaar Walter seine Forschungen und sammelte unzählige Fotos, Dokumente und Biografien aus dem jüdischen Leben in Bad Kissingen, dessen Spuren sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lassen.

Um dieses umfangreiche Archivmaterial mit weit über 600 Biografien und unzähligen Fotos, woraus auch die Verantwortlichen der Bad Kissinger Stolperstein-Verlegungen die benötigten biografischen Informationen bezogen, jedermann zugänglich machen zu können, wählten die Walters für ihr "Biografisches Gedenkbuch der Bad Kissinger Juden während der NS-Zeit" schließlich statt eines gedruckten und unveränderlichen Buches die zeitgemäße, ständig erweiterbare Online-Version. "Zentrales Anliegen unseres Gedenkbuches war, nicht nur Opferbiografien zu verfassen, sondern auch das Schicksal Überlebender zu rekonstruieren und ihre oft erstaunlichen Biografien der Nachwelt zu überliefern."

Der Obermayer Award wird seit mehr als 20 Jahren verliehen

Dank städtischer Unterstützung kann dieses Material jederzeit auf der Website kostenfrei gesichtet werden. "In einer Zeit, in der in vielen Ländern Antisemitismus und andere Formen von Vorurteilen und Hass immer mehr um sich greifen, sind die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger Vorbilder für alle, die sich für die Überwindung von brutalem Rassismus, Diskriminierung und Intoleranz einsetzen", würdigt Joel Obermayer, Geschäftsführer der Organisation Widen the Circle, die die Awards verwaltet, das Engagement des Bad Kissinger Ehepaares und weiterer fünf Preisträgerinnen und Preisträger.

Die Obermayer Awards gehen seit dem Jahr 2000 alljährlich an deutsche Einzelpersonen und Organisationen, die weltweit zur Verleihung vorgeschlagen werden - besonders von Juden, die damit ihre Anerkennung und ihren Dank für die geleistete Arbeit aussprechen wollen.

Livestream der Preisverleihung: Montag, 23. Januar, ab 18 Uhr, über die Website des Berliner Abgeordnetenhauses oder die Website des Veranstalters

 
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