Nein, sehr attraktiv ist das nicht, was Gunter Henn beim Blick aus dem Fenster im vierten Stock des Fresenius-Verwaltungsbaus im Schweinfurter Hafen sieht. Gesichtslose Hallen, einen Großmarkt, kein Wunder, dass der Architekt von einer „gewissen Beliebigkeit“ spricht, seine Einschätzung jedoch gleich wieder einschränkt, wenn sein Blick auf das neue, imposante, einen Steinwurf weit entfernte Sven Wingquist-Prüfzentrum für Großlager von SKF fällt.
Henn, dessen 350 Mitarbeiter zählendes Büro so markante Projekte wie die Autostadt von VW in Wolfsburg oder die Gläserne Manufaktur in Dresden geplant hat, wird in Schweinfurt auf dem Firmengelände in der Hafenstraße das neue Technologiezentrum von Fresenius Medical Care bauen, in dem die Entwicklung von Dialysegeräten für globale Märkte zusammenläuft. Hier investiert der Weltmarktführer für Dialysegeräte eine zweistellige Millionensumme und schafft Platz für 100 zusätzliche Entwickler.
Bei Fresenius Medical Care brummt das Geschäft. In den letzten Jahren wurde die Stückzahl Jahr für Jahr weiter gesteigert. Heuer sollen 45 000 Geräte das Werk verlassen. Mehr als die Hälfte der weltweit überhaupt produzierten Dialysegeräte stammen aus Schweinfurt. 1200 Mitarbeiter sind hier beschäftigt, wo die Produktion 1979 mit einer winzigen Mannschaft gestartet wurde.
Mehr als nur ein Gebäude
Die Großinvestition bedeutet weitaus mehr als der Bau eines neuen Gebäudes. Hier sollen Entwicklung und Produktion eng miteinander verzahnt werden, hat Entwicklungsvorstand Olaf Schermeier vorgeben.
„Es geht nicht um Software oder Dienstleistung, sondern um ein anfassbares Gerät von hoher Komplexität“, sagt Henn. Was zählt, sei nicht nur die Leistung des einzelnen Mitarbeiters, sondern die in Teams, die in unterschiedlichster Zusammensetzung und Größe, an ihren Projekten arbeiten.
Kommunikation ist der zentrale Begriff, der den Planern die Richtung weist. Henn spricht von einer gegliederten Landschaft, aus Büros, offenen Flächen, Laboren.
Dabei stelle sich die Frage, wie nahe darf oder muss man beisammen sein. „Projektarbeit findet horizontal statt.“ Menschen kommen zusammen, trennen sich wieder. 80 Prozent aller Face-to-face-Begegnungen passieren in einer Entfernung von 50 Metern, das zeigt die Wissenschaft. Dabei braucht es Räume der Begegnungen wie Räume zum Rückzug, darf die Produktion die Entwickler nicht stören und muss dennoch schnell erreichbar sein
Nach außen hin will Henn eine Landmarke, einen Counterpart zum SKF-Prüfstand schaffen. Mit ihrer Architektur demonstrierten der schwedische Wälzlagerhersteller wie der deutsche Medizintechniker Selbstbewusstsein, sagt der 70-jährige, sportliche Architekt, und sie prägen das Erscheinungsbild des Industrie- und Gewerbegebietes im Schweinfurter Süden.
Reinheit, Qualität und Offenheit
Das vierstöckige Gebäude aus überwiegend Glas und Stahl soll Reinheit, Qualität, Offenheit und Transparenz ausstrahlen. Darin sieht Henn auch ein Zeichen für die Wertschätzung der Beschäftigten. Das werde in einer Zeit immer bedeutender, in der es immer schwieriger werde, Mitarbeiter zu gewinnen. Dabei gehe es längst nicht mehr nur ums Geld. „Die Menschen wollen sich wohlfühlenwohlfühlen, wollen ihren Freunden zeige, da arbeite ich.“
Die Architektur hat in der Familie Henn Tradition. Vater Walter Henn gründete sein erstes Büro vor 70 Jahren. 1979 eröffnete Gunter Henn das heutige Büro in München. Niederlassungen hat es heute in Berlin und Peking. Der 70-jährige Gunter Henn hat eine Professur an der TU Dresden und ist Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT).
Investitionen der Industrie
Viele Millionen Euro geben mainfränkische Großunternehmen seit geraumer Zeit für Investitionen aus. So in Schweinfurt: Dort gehört die Großindustrie inzwischen zu Konzernen, die allesamt ihren Sitz nicht mehr in der Stadt haben und global unterwegs sind. Das jedoch hat der Investitionsfreudigkeit der Unternehmen keinen Abbruch getan. Die ZF Friedrichshafen AG etwa hat in den vergangenen zehn Jahren allein 80 Millionen Euro ausgegeben , um die Produktion von Wandlern für Automatikgetriebe der neuen Generation hier zu konzentrieren. 15 Millionen flossen in den letzten Jahren in ein großes Parkdeck, ein Sozialgebäude und erneut in die Wandlerfertigung. Erst kürzlich kam es zum Spatenstich für ein Zentrum der E-Mobilität. Es soll 12,5 Millionen Euro kosten.
Stark investiert hat auch SKF: 40 Millionen Euro in das Sven Wingquist Testcenter für Großlager, das heuer in Betrieb ging, zehn Millionen Euro in die Sanierung ihres Verwaltungsgebäudes, je 15 Millionen Euro in die Produktionsanlagen für Zylinderrollen- und Großlager. Bei Schaeffler wird kontinuierlich investiert. Der dickste Brocken waren die sieben Millionen Euro für einen Großlagerprüfstand. In den nächsten Jahren sollen die Arbeitsplätze Zug um Zug modernisiert werden. Die größte Investition, die für das neue Verteilzentrum, ging jedoch nach Kitzingen: 150 Millionen Euro.
Auch in Würzburg geht es um viel Geld: So steckt der Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer sechs Millionen Euro in ein neues Democenter in der Konzernzentrale, das in Kürze in Betrieb gehen soll. Wenige Kilometer entfernt richtet das Süddeutsche Kunststoffzentrum (SKZ) für 16 Millionen Euro eine Modellfabrik ein, die 2018 eröffnet wird. Zehn Millionen Euro ist Kräuter Mix die Betriebserweiterung in Abtswind und Wiesentheid (Lkr. Kitzingen) wert. Um den Kunden auf dem Betriebsgelände Backöfen im Echtbetrieb zeigen zu können, nimmt der Hersteller MIWE in Arnstein (Lkr.
Main-Spessart) vier Millionen Euro in die Hand. Das „live baking center“ wird den Plänen zufolge im August 2018 fertig sein.
In Bad Neustadt hat in diesem Jahr der Autozulieferer Preh mit der Eröffnung eines neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums für E-Mobilität auf sich aufmerksam gemacht. 12,5 Millionen Euro kostete der Bau. In der Nachbarschaft steckte Siemens Millionen in eine „Arena der Digitalisierung“ und in vier neue Montagelinien. kör/aug