Sehr geehrter Herr Gauland,
in einer einzigen Sache gebe ich Ihnen recht: Die Afghanistan-Politik des Westens, inklusive Deutschlands, ist krachend gescheitert. Sie stellten das diese Woche in Ihrer Rede im Bundestag richtigerweise fest. Fast genau 20 Jahre nach den Anschlägen des 11. September – dem Auslöser des Afghanistan-Einsatzes – ziehen die westlichen Truppen wieder ab und überlassen das Land seinem Schicksal. Im ungünstigsten Fall wird es nur noch Wochen dauern, bis die Taliban am Hindukusch wieder die Zustände vor der militärischen Intervention nach 9/11 hergestellt haben.
Ansonsten hat mich Ihre Rede in ungläubiges Staunen versetzt. Nicht aufgrund des ekelhaften Zynismus, den man ja von Beiträgen Ihrer Partei schon gewohnt ist. So ist es zwar abstoßend, wenn Sie etwa fragen, "wie viele afghanische Frauen in höchsten Ämtern oder Mädchen in Schulen (...) einen toten deutschen Soldaten" aufwögen. Und es ist eine groteske Verdrehung der Realität, wenn Sie behaupten, unsere "Soldaten hielten am Hindukusch ihre Knochen für eine Politik hin, die den Hindukusch nach Deutschland bringt".
Sind Sie ernsthaft davon überzeugt, dass das im Interesse unseres Landes wäre?
Überraschend sind solche Einlassungen von Ihnen jedoch schon lange nicht mehr – schlimm genug, dass die AfD die Öffentlichkeit für solche Aussagen abgestumpft hat. Auch dass Sie - zugegebenermaßen längst nicht als einziger – eine haarsträubende Parallele zu 2015 ziehen und versuchen, ein Bild des Chaos mit fünf Millionen afghanischen Flüchtlingen an Deutschlands Grenzen zu zeichnen, lässt kaum noch aufhorchen.
Nein, gestaunt habe ich vielmehr über das außenpolitische Verständnis, das Sie zumindest vorgeben zu haben und das schon in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts völlig überholt gewesen wäre. Eine Kernforderung Ihrer Rede: Deutschland soll sich nur um sich selbst kümmern, alles andere geht uns nichts an. Nach uns die Sintflut. Glauben Sie wirklich, Herr Gauland, dass das eine zeitgemäße Rolle der Bundesrepublik wäre? Oder noch wichtiger: Sind Sie ernsthaft davon überzeugt, dass das im Interesse unseres Landes wäre?
Die internationale Gemeinschaft muss drei Dinge anpacken
Ich sehe das so: Die internationale Gemeinschaft, in der Deutschland längst schon aufgrund seiner Wirtschaftskraft eine zentrale Rolle einnimmt (willkommen in der Gegenwart, Herr Gauland), muss drei Dinge anpacken. Auch aus eigenen sicherheitspolitischen Interessen. Sie muss verhindern, dass internationale Terror-Organisationen wie El Kaida oder "Islamischer Staat" in Afghanistan wieder einen Raum finden, um seelenruhig islamistische Anschläge auch in Deutschland vorbereiten können.
Sie muss die humanitären Folgen des Umsturzes in Afghanistan abfedern, indem vor allem den Nachbarländern geholfen wird, in denen die afghanischen Flüchtlinge ankommen, die es überhaupt noch über die von den Taliban abgeriegelten Grenzen schaffen. Und sie muss möglichst mit diplomatischen Mitteln einen dauernden Bürgerkrieg wie in Syrien verhindern, der der Hauptauslöser der Flüchtlingsbewegung von 2015 war. Unpopuläre, unbequeme Maßnahmen, aber wohl notwendig.
Vielleicht wollen Sie aber auch gar nicht, dass das passiert. Denn es ist doch kein Geheimnis mehr: Kaum eine andere Partei würde sich mehr über eine neue Flüchtlingskrise freuen als die AfD. Hinter vorgehaltener Hand bestätigen Parteifreunde von Ihnen das Kalkül: Steigen die Flüchtlingszahlen, steigen die Umfragewerte der AfD.
Bei alldem ist es schon beeindruckend, wie Sie Ihren teils wirren Thesen und antiquierten Schlussfolgerungen einen rhetorisch intellektuellen Anstrich geben und diese so, wenigstens im ersten Moment, plausibel klingen lassen. Das bekommen Sie so gut hin, wie kaum jemand anderes in Ihrer Partei. Nicht so überdreht-empört wie bisweilen Alice Weidel. Nicht so sehr im Sound der 30er Jahre wie Björn Höcke. Nicht so tumb wie Teile der Parteibasis.
Sie gefallen sich in der Rolle des intellektuellen Demagogen
Hätten Sie allerdings wirklich "Mut zur Wahrheit", wie es der Slogan Ihrer Partei behauptet, und würden Sie der Komplexität der Lage in Afghanistan auch nur annähernd Rechnung tragen, hätten Sie eine andere Rede halten müssen. Doch Sie gefallen sich eben in der Rolle des intellektuellen Demagogen, die Sie, mittlerweile 80-jährig, noch einmal vier Jahre im Bundestag spielen wollen.
Was bleibt? Für die Bundesregierung und ihre Partner sind die Entwicklungen in Afghanistan peinlich und beschämend. Für Ihre Partei sind sie einen Monat vor der Bundestagswahl Futter im Wahlkampf. Das Entscheidende aber: Für weite Teile der afghanischen Bevölkerung sind sie tragisch und mitunter tödlich.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Stahl, Redakteur
Ihre Terminologie passt nicht zu einem demokratischen Staat wie die Bundesrepublik.
Demokratische Parteien erhalten durch Wahlen einen befristeten Regierungsauftrag über die Dauer einer Legislaturperiode.
Der Begriff Machtergreifung stammt von 1933 als die Nazis die Demokratie für zwölf Jahre abgeschafft haben und alleine für sich dauerhaft die Staatsgewalt beanspruchten.
Beachten Sie bitte diesen Unterschied wenn Sie demokratische Parteien be- und verurteilen. Ihre Terminologie passt vielleicht für die Abwärts für Deutschland, die ja in weiten Teilen außerhalb des Grundgesetzes steht, aber nicht für die anderen Parteien die zur Wahl stehen.
Wie der alte Alexander Gauland, immer wieder kommt der Versuch Hitlers Terror über Europa zu relativieren.
Es gibt schlichtweg nichts Vergleichbares, aber das werden die Sympathisanten der Abwärts für Deutschland nie sehen.
Zumal diese blau-braune Partei schon längst auf dem Absteigenden Ast ist. Man wird auch bei den ausstehenden Wahlen stimmen verlieren.
Im weitesten Sinne ist Rassismus eine verallgemeinerte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zwischen Personengruppen, die sich biologisch und/oder ethnisch abgrenzen lassen.
Und wenn Sie das bei der AfD nicht sehen, dann nur deshalb, weil Sie es nicht sehen wollen.
Der Gauland beispielsweise macht ja noch nicht einmal im Ansatz den Versuch, das zu verbergen.
Für ihn ist das gerade in der öffentlichen Diskussion vollkommen normal. Er geht betont selbstverständlich und beiläufig damit um. Hören Sie sich seine Afghanistan-Rede doch mal an. Die trieft nur so von Rassismus ...
Er versucht auf diese Weise, den AfD-Anhängern das Gefühl zu geben, diese Denkweise sei legitim - und es sei nur eine Frage der politischen Einstellung, ob man das als akzeptabel ansieht oder nicht.
Aber genau das ist es eben nicht.
Ein Rassist bleibt ein Rassist, vollkommen egal, welche Politik er vertritt …