Bei vier Einsätzen hat Peter Utsch aus Aschfeld (Lkr. Main-Spessart) insgesamt fast zwei Jahre in Afghanistan verbracht. Dort beriet der inzwischen pensionierte Bundeswehr-Oberst die nationalen Streitkräfte, das Land sollte stabilisiert werden. Wie beurteilt der 64-Jährige jetzt das Scheitern der Mission und den Vormarsch der Taliban?
Sie waren zuletzt 2017 für längere Zeit im Bundeswehr-Hauptquartier in Masar-i-Scharif. Was ging Ihnen durch den Kopf, als die Taliban die Stadt vor drei Tagen eingenommen haben?
Peter Utsch: Ich habe mich natürlich gefragt, warum man keinen Widerstand leistet. Zumal die afghanische Nationalarmee gut ausgerüstet und ausgebildet war. Was wird aus all den Menschen, die ich kennengelernt und beraten habe? Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere oder auch die Repräsentanten der afghanischen Staatsgewalt – was wird aus ihnen?
Sie haben sich den Taliban ergeben. Was befürchten Sie?
Utsch: In Einzelfällen ist damit zu rechnen, dass man sie umbringt. Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt, sondern dass man sie nur gefangen nimmt und nach einiger Zeit entlässt. Ich mag mir nicht vorstellen, dass man die gefangenen Gegner massakriert.
Die Bundeswehr sollte die Nationalarmee stärken. Warum haben sich die Soldaten so kampflos ergeben?
Utsch: Es ist der Zusammenbruch einer Armee, wie man ihn auch in Südvietnam 1975 beobachtet hat. Da wird eine Armee mit viel Aufwand aufgebaut, und dann ist plötzlich die Unterstützung von außen nicht mehr gewährleistet. Man hat vermutlich gespürt: Uns hilft niemand mehr, wir sind auf uns allein gestellt. Da dürften Zweifel an der Weiterführung des Kampfes aufgekommen sein. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Fehlt es an Moral, weil man den staatlichen Strukturen im Land nicht vertraut?
Utsch: Vermutlich war die Bindung an den eigenen Staat noch nicht stark genug, um daraus eine entsprechende Kampfmoral zu beziehen. Es fehlte wohl an Loyalität innerhalb der Armee, auch Korruption gab es. Man wollte offensichtlich für bestimmte Autoritäten nicht mehr kämpfen.
Haben sich die auswärtigen Kräfte in den 20 Jahren zu sehr auf die militärischen Aspekte konzentriert und zu wenig auf die gesellschaftlichen, demokratischen?
Utsch: Ein Gedanke, den ich durchaus teile. Bewerten möchte ich ihn nicht, weil ich nur für das Bundesressort der Verteidigung sprechen kann. Aber ja, der zivile Wiederaufbau hatte sicherlich nicht die Fortschritte zu verzeichnen wie in der Armee.
Eine Option, das Land ohne die Amerikaner gegen die Taliban zu verteidigen, gab es nicht?
Utsch: Soweit ich das von hier einschätzen kann, nein.
Hat es Sie gewundert, wie schnell die Taliban das Land überrannt haben?
Utsch: Es hat mich überrascht, wie viele andere auch. Zu erklären ist das nur durch den kurzfristigen Abzug der internationalen Streitkräfte. Man hätte seitens des Westens deutlichere Bedingungen gegenüber den Taliban daran knüpfen müssen. Der Abzug der Deutschen aus Masar-i-Scharif kam mir fast vor wie eine Flucht.
Eine Art "Einladung" an die Taliban?
Utsch: Ja, so würde ich das bewerten. Eine Einladung nach dem Motto: Ihr bekommt das, was Ihr haben wollt, jetzt gratis.
Müssen die einheimische Ortskräfte, die für die westlichen Militärs gearbeitet haben, die Rache der Taliban fürchten?
Utsch: Davon ist auszugehen. Man hält diese Ortskräfte für eine privilegierte Gruppe, sie sind wegen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den auswärtigen Streitkräften bei den Taliban verhasst. Es ist zu befürchten, dass der eine oder andere das nun mit dem Leben bezahlt. Diese Leute haben gute Arbeit geleistet, ohne sie wäre unser Einsatz nicht denkbar gewesen.
Haben wir sie jetzt im Stich gelassen, weil Visa für Deutschland nicht ausgestellt wurden?
Utsch: Die Visaanträge sind ein Thema. Ich hoffe, dass man angesichts des Zusammenbruchs der alten Ordnung jetzt einen Großteil der wirklich bedrohten Menschen in Sicherheit bringt – schnell und unbürokratisch.
Wie ist die Gefühlslage jetzt bei Ihnen? Und wie wird sie bei den 150 000 Soldatinnen und -Soldaten der Bundeswehr sein, die seit 2002 im Einsatz in Afghanistan waren?
Utsch: Viele werden ähnlich denken. Man ist enttäuscht, dass die Mission am Ende gescheitert ist. Trotz der Energie, die man auch persönlich in den Einsatz gesteckt hat. Trotz der Gefahren, die man für das eigene Leben und die Gesundheit hat auf sich nehmen müssen. Sie dürfen nicht vergessen: Die Zeit, die man in Afghanistan verbracht hat, ist für die Familie und das Leben zuhause verloren gegangen. Da dürften viele meiner Kameradinnen und Kameraden ähnlich wie ich enttäuscht darüber sein, dass die Mission nun in einem solchen Desaster endet.
Von den Angehörigen der 59 Toten nicht zu reden... Waren 20 Jahre Bundeswehr-Einsatz umsonst?
Utsch: In Anbetracht der aktuellen Ereignisse kann man das vordergründig so sehen. Was letztendlich aus dem Land wird, wird man erst beurteilen können, wenn sich dort andere Strukturen etablieren. Möglicherweise nimmt Afghanistan eine Wendung, die jetzt noch niemand voraussehen kann.
Welche Erwartung haben Sie persönlich?
Utsch: Ich befürchte, dass es zur Gründung eines so genannten Kalifates kommt. Dass sich das Land versucht abzuschotten und eine neue Ordnung einzuführen, die sicherlich wieder an die Scharia erinnert – so wie dies bis 2001 war. Damit würde alles unterdrückt, was an modernem, fortschrittlichen Gedankengut in den letzten 20 Jahren entstanden ist.
Wie sollte Deutschland reagieren? Die Taliban und Land isolieren oder im Gespräch bleiben und sich um diplomatischen Einfluss bemühen?
Utsch: Mittel- und langfristig wird man ein Land mit der doppelten Größe Deutschlands und 32 Millionen Einwohnern und seiner geostrategischen Lage nicht ignorieren können. Ich würde nicht empfehlen, alle Gespräche einzustellen und das Land links liegen zu lassen. Allein deshalb nicht, weil ein Teil der Menschen das Land verlassen hat und eine neue Heimat finden muss. Ich fürchte, dass ein Teil der Probleme, die jetzt entstanden sind, uns für längere Zeit erhalten bleiben und wir als Deutsche auch in eigenem Interesse an einer Lösung mitwirken sollten.
https://www.youtube.com/watch?v=5Q-7alKsbzw
wenn man die liste auf wikipedia betrachtet findet sich davor schon einiges mehr.
und ja, dort kann man zwischen hilfs- und kampfeinsätzen unterscheiden.
aber sind wir mal froh, das direkt nach 9/11 nicht die angela am ruder war, die hätte gerne deutsche soldaten in den irak geschickt...
Aber hier geht es doch um etwas anderes. Hätte H. Utsch oder sonst jemand der Bundeswehrführung sagen sollen "nein, wir gehen nicht nach Afghanistan, das bringt nichts"?
Fazit: Meine Rede, mein Kommentar und wie viele darüber "herziehen!". Aber anderen Kommentatoren geht es oft auch nicht anders. Ich formuliere es so. Es gibt genügend Beispiele von Kommentatoren der Main-Post, die "vernichtend" über Kommentare anderes urteilen.
Und zur Sinnhaftigkeit des Einsatzes: entscheiden tut die Politik, das Militär führt nur aus.
Aus dem gleichen Grund sollte man auch niemanden aus einem solchen Land aufnehmen. Diese Menschen sind unser Leben, unsere Kultur nicht gewohnt, sondern sind irgendwo im Mittelalter stehen geblieben.