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AUGSBURG
Die Taliban: Steinzeit-Islamisten oder Pragmatiker?
Machtübernahme: Die Taliban residieren nach ihrem Durchmarsch wieder im Präsidentenpalast. Jetzt wird spekuliert, ob sie sich nach ihrer Vertreibung aus Kabul 2001 geändert haben, ob sie moderater sind oder noch so radikal wie früher.
Konflikt in Afghanistan - Taliban       -  Sabiullah Mudschahid (Mitte), der Sprecher der Taliban, gibt am Dienstag seine erste Pressekonferenz in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Nach Einschätzung von Experten gehen die Taliban sehr geschickt mit den Medien um.
Foto: Rahmat Gul/AP/DPA | Sabiullah Mudschahid (Mitte), der Sprecher der Taliban, gibt am Dienstag seine erste Pressekonferenz in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Von Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:29 Uhr

Wie werden die Taliban die ihr so überraschend leicht zugefallene Macht nutzen? Über diese Frage wird derzeit wild spekuliert. Die Bandbreite der Einschätzungen reicht von der Hoffnung, dass alles nicht so schlimm werden wird, bis zur Befürchtung, dass die Islamisten das Land wieder in die Steinzeit zurückstoßen werden.

Bekannt ist hingegen, mit welcher Brutalität die Taliban in der Zeit zwischen 1996 und 2001, also bis zum Einmarsch der internationalen Truppen, herrschten. Willkür und Rechtlosigkeit waren allgegenwärtig, Frauen wurden unterdrückt, Tanzen, Musik und Unterhaltung verboten. Wer sich den radikalen Eiferern entgegenstellte, musste um sein Leben fürchten. Vergewaltigungen und Massenexekutionen sind belegt. Jetzt ist geschehen, was vor 20 Jahren als völlig undenkbar galt: Die Taliban sind zurück an der Macht. Werden sie genauso rücksichtslos und menschenverachtend herrschen wie in den 90er Jahren? Seit der Einnahme Kabuls versichern Führer der Taliban, die virtuos mit den Medien umgehen, dass sich keiner fürchten müsse. Auch Frauen nicht. Sogar freie Medien werde es geben. Gleichzeitig werden systematisch Wohnungen durchsucht. Aus den Provinzen kommen Berichte von blutigen Übergriffen.

Der Kenner des Landes und Gründer der Kinderhilfe Afghanistan, Reinhard Erös, glaubt, dass sich die Islamisten verändert haben: „Die jungen Taliban wissen um das katastrophale Image der ersten Generation und wollen die Unterstützung ihrer afghanischen Brüder“, sagte Erös der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King?s College, der ursprünglich aus Würzburg stammt, ist vorsichtiger. Sicher gebe es Pragmatiker, aber auch Hardliner, die ihr Programm sofort durchsetzen wollen. „Doch auch die Pragmatiker sind letztlich Islamisten, die einen islamistischen Staat wollen.“

Woher kommen die Taliban, die vom Westen so sträflich unterschätzt wurden? Die islamistische Miliz trat erstmals 1993/94 in Erscheinung. Sie besteht in erster Linie aus Paschtunen, die mit rund 40 Prozent die mit Abstand stärkste Bevölkerungsgruppe im Land stellen. Die Taliban gelten als Nachfolger der Mudschaheddin – der „Gotteskrieger“, die in den 80er Jahren erfolgreich gegen die sowjetischen Besatzer kämpften. Nach einem Bürgerkrieg gegen ihre Widersacher im Land übernahmen die Taliban 1996 die Macht in Kabul. Fast alle ihrer Milizen kommen aus sehr armen Verhältnissen, sie gelten als zähe und geschickte Kämpfer.

Traditionelles Rückzugsgebiet ist Pakistan. Dort wurden und werden viele von ihnen in großen Koranschulen ausgebildet. Dort studieren sie den Koran, dort allerdings lernen sie auch, den Westen und alle „Feinde“ des Islam zu hassen. Nicht zu unterschätzen ist, dass sie unter dem Schutz der Schulen leben und genug zu essen bekommen. Die andere Seite ist politisch-militärisch: „Pakistan unterstützt die Taliban seit 25 bis 30 Jahren offen mit Geld und Waffen“, sagt der Politikwissenschaftler Neumann. Doch die militärische Ausrüstung der Milizen, die im Westen oft staunend zur Kenntnis genommen wird, speist sich aus weiteren Quellen. „Afghanistan ist nach 40 Jahren Krieg weltweit eines der Länder, in denen Waffen am weitesten verbreitet sind. Mit jeder erfolgreichen Schlacht gegen die afghanische Armee, die ihre modernen Waffen oft ohne Widerstand zurückließ, wuchs das Arsenal der Taliban weiter.“ Jetzt, nach dem Abzug der internationalen Truppen, habe sie noch mehr Waffen erbeutet. „Aktuell sind die Taliban die am besten ausgerüstete islamistische Miliz der Welt.“ Spekulationen, Saudi-Arabien würde sie mit Waffen beliefern, sieht Neumann skeptisch. Beweise dafür habe er noch nie gesehen. Die Folgen der Niederlage der internationalen Truppen sind kaum absehbar. „Mit dem Abzug hat der Westen jedes Druckmittel gegen die Taliban verloren“, ist sich Neumann sicher. Die USA werden dort in Zukunft militärisch nur intervenieren, wenn von Afghanistan aus erneut internationale Terrorgruppen agieren würden. „Das ist die rote Linie.“

Die Herrschaft der Taliban könnte also sehr dauerhaft sein. Zumal der Iran und China bereits als Partner bereitstehen. Enge Kontakte sind längst geknüpft. Insbesondere von Peking erwarten die neuen Machthaber Investitionen in dem zerrütteten Land. Was bedeutet das für die Frauen in Afghanistan, wenn die Taliban, wie Reinhard Erös erwartet – ein „religiöses Regime“ installieren und alle „zivilen und militärischen Machtpositionen“ für sich beanspruchen werden? „Vielleicht müssen die Frauen nicht sofort wieder Burka tragen. Es wird möglicherweise auch keine Steinigungen mehr geben. Ich bin mir aber sicher, dass die Taliban keine Frauen in führender Rolle dulden werden. Mag sein, dass Mädchen die Schule besuchen dürfen, aber moderne Frauen werden keine Chance haben, so zu leben, wie sie wollen“, sagt Neumann. Bleibt die Frage, ob die Befürchtungen im Westen gerechtfertigt sind, dass die Taliban wieder internationalen Terrorgruppen wie El Kaida in Afghanistan eine Operationsplattform bieten werden. Peter Neumann glaubt daran nicht, zumindest nach derzeitigem Stand. Dafür gebe es aus Sicht der Taliban keine Anreize: „Sie wissen, dass es vor 2001 ein Fehler war, dies zu tun. Allerdings waren sie damals militärisch längst nicht so stark. Osama bin Laden hat sie mit Geld und Waffen unterstützt. So etwas haben sie aktuell gar nicht nötig.“ Außerdem hätten die Taliban, anders als El Kaida oder der Islamische Staat, keinerlei Interesse daran, den Islamismus in die Welt zu tragen. Es gehe ihnen allein um Afghanistan. „Die entscheidende Frage aber wird sein, ob die Taliban das ganze Land derart unter ihre Kontrolle bringen, dass sie in der Lage sind, das Einsickern von Terroristen überall zu verhindern.“

 
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