Mathias Repiscus, Chef der Würzburger Kabarettbühne Bockshorn, formuliert, was wohl die meisten Kreativen dieser Tage (noch) vor dem Aufgeben bewahrt: "Pessimismus ist kein Elixier zum Weitermachen." Mitten in einem Lockdown, der alle paar Wochen verlängert und verschärft wird, ist die Stimmung in der Kulturszene bestenfalls gefasst.
Vor diesem Hintergrund haben die Fraktionen der "demokratischen Opposition" im Landtag - so die eigene Sprachregelung von Grünen, SPD und FDP ohne AfD - Mitte Dezember eine Anhörung mit Kulturschaffenden unterschiedlichster Sparten aus ganz Bayern initiiert. Und so den bislang tiefsten Einblick in eine äußerst vielfältige Szene gewonnen. Neben einer umfassenden Dokumentation ist daraus ein "Sechs-Punkte-Akut-Katalog" entstanden mit den aus Sicht der Landtagsopposition dringlichsten Schritten.
Bei den Kulturschaffenden aus Unterfranken überwiegt Zustimmung. Viele sind froh, dass ihre Anliegen überhaupt angehört wurden. Andere bleiben zurückhaltend. "Das kommt alles sehr programmatisch daher, aber umsetzen muss es die Regierung", sagt beispielsweise Mathias Repiscus. "Und wenn man sieht, wie es bisher gelaufen ist, bin ich skeptisch."
Das Geld: Wie überleben Künstler und Einrichtungen bis zum Neustart?
Am schwersten haben es nach wie vor die Solo-Selbständigen. Antje Molz vom Dachverband freier Würzburger Kulturträger, die Kreative bei den Hilfeprogrammen berät, listet mühelos Fälle und Rechenmodelle auf, bei denen Antragsteller durch alle Raster fallen und leer ausgehen. Oder gar kriminalisiert wurden: Wer mangels Beratungsmöglichkeit einen Antrag sowohl auf Soforthilfe als auch auf Künstlerhilfe stellte, hatte ruckzuck eine Anzeige wegen Subventionsbetrugs am Hals, berichtet Molz. 8000 solcher Fälle habe es bundesweit gegeben. "Sie konnten inzwischen mit viel Mühe geklärt werden."
Achim Könneke, Kulturreferent der Stadt Würzburg, beobachtet zwar, dass die Hilfen für Spielstätten und Kinos gut funktionieren. Die für Solo-Selbständige aber weniger: "Zu spät, zu gering, zu bürokratisch und für einen zu kleinen Kreis konstruiert." Das sinnvolle Konzept mit einem fiktiven Unternehmerlohn hätte man schon im Frühsommer aus Baden-Würtemberg übernehmen können, sagt Könneke: "Das hätte man nur abschreiben müssen." In Bayern sei es erst im Oktober verkündet worden - und funktioniere immer noch nicht. "Das ist dann leider doch Symbolpolitik und keine wirkliche Hilfe." Ihm leuchte auch nicht ein, warum sich die Förderbeträge immer maximal an der Sozialhilfe orientierten, sagt der Kulturreferent: "Das wird in anderen Wirtschaftsbereichen ganz anders gehandhabt."
Die Kreativität: Wie kommen die Künstler mit der Untätigkeit klar?
Neben dem faktischen Berufsverbot, der fehlenden Planungssicherheit und der schieren Existenzangst wird für viele Künstler derzeit ein Zustand offensichtlich, den es schon vor Corona gab: "Die öffentliche Wahrnehmung, was Kunstschaffende machen, ist komplett verzerrt", sagt Antje Molz. Training und Proben, Organisation, Planung, Vorbereitung – all das werde schlicht nicht gesehen. "Mir wurde sogar empfohlen, ich solle halt Spargelstechen gehen."
Allerdings: Es sind auch die Kulturschaffenden selbst, denen es häufig nicht gelingt, ihre Anliegen effektiv in die Öffentlichkeit zu tragen. "Jeder wurschtelt vor sich hin. Und deshalb haben wir keine Lobby", sagt Jürgen Dahlke, Geschäftsführer der Schweinfurter Disharmonie. Auch Antje Molz warnt: "Keiner kann es sich leisten, sich nicht zu vernetzen."
Das Publikum: Werden die Menschen wieder in Veranstaltungen gehen?
Und die Kulturbesucher? Werden die Menschen wieder in Veranstaltungen gehen? Oder haben sie in der Zwischenzeit festgestellt, dass sie ohne Theater, Konzerte, Ausstellungen auskommen? Und wie groß ist ihre Verunsicherung? "Wir werden es erst sehen, wenn es so weit ist", sagt Anne Maar, Leiterin des Theaters Schloss Maßbach.
In Maßbach war zwar die ganze Freilicht-Saison ausverkauft, aber in die 52 Vorstellungen kamen eben aufgrund der Corona-Auflagen nur so viele Zuschauer wie sonst in 22. In der Schweinfurter Disharmonie wiederum hat man eine deutliche Zurückhaltung des Publikums beobachtet – trotz bekannter Namen wie Mathias Tretter oder Matthias Egersdörfer. Jürgen Dahlke sagt: "Die Leute haben sich nicht getraut."
Joachim Schulz, Geschäftsführer der Würzburger Posthalle, sieht eine strukturelle Gefahr: "Es gibt jetzt eine ganze Generation Erstsemester, die die kulturelle Vielfalt der Stadt gar nicht erst kennengelernt hat." Neben Kostensteigerungen in allen Bereichen befürchtet er, dass der Neustart hart wird: "Wenn ein Angebot einmal weggefallen ist, wird es ganz schwer, wieder ein neues zu schaffen."
Die Zukunft: Wie wird Kultur nach Corona aussehen?
Antje Molz sieht in der Pandemie zumindest die Chance, dass am Ende der Durststrecke eine neue Neugier entsteht. Dass Menschen ihr Bedürfnis nach Begegnung dann auch in Veranstaltungen ausleben, die nicht zu ihren gewohnten Genres gehören. Dazu müsse die Kultur einerseits sichere Begegnungen garantieren – etwa mit einer Art Prüfsiegel. Andererseits müsse man sich untereinander abstimmen und koordinieren: "Sonst wird das ein riesiger Kampf um Aufmerksamkeit. Dann befürchte ich ein großes Chaos."
Würzburgs Kulturreferent Achim Könneke glaubt, dass die mangelnde Wertschätzung für Kultur auch und gerade in der Politik eng mit einem falschen Verständnis des Begriffes Freizeit verknüpft ist. "Das ist ja nicht die Zeit, die einfach so übrig bleibt, sondern das ist die wertvollste Lebenszeit." Und genau für diese gelte es, sinnvolle Angebote zu machen.
Womit eine zentrale Frage gestellt ist: "Gerade die öffentlichen Einrichtungen müssen viel intensiver an ihrer gesellschaftlichen Relevanz arbeiten", sagt Könneke. "Wenn wir sagen, die Kultur muss die Demokratie retten, dann muss da mehr passieren." Er spricht von mehr Teilhabe, mehr Identifikation, mehr Öffnung, mehr Auseinandersetzung mit Themen wie Klimawandel, Singularisierung, Entsolidarisierung. "Der Kulturbereich muss sich viel engagierter dahin bewegen, wo es vielleicht auch ein bisschen wehtut."
Kultur-Nothilfefonds: Für Kulturschaffende aus dem Raum Würzburg in einer schwierigen finanziellen Situation hat der Dachverband freier Würzburger Kulturträger einen Nothilfefonds eingerichtet. Es stehen Gelder der Castellbank und Spenden zur Verfügung. Bewerber schicken eine E-Mail an post@dachverband-wuerzburg.de