Für die Kultur ist der "Lockdown light" alles andere als leicht. Die Schließung der Theater, Konzerthallen, Kinos und Museen bis mindestens Anfang Dezember ist für die Kulturschaffenden auch in Unterfranken diesmal besonders frustrierend, zumal bis heute so gut wie keine Corona-Fälle nach Kulturveranstaltungen bekannt geworden sind.
Für Christian Federolf-Kreppel, Direktor des Theaters der Stadt Schweinfurt, ist die Entscheidung nicht nachvollzeihbar: "Es zeigt sich wieder, dass die meisten Politiker nicht wissen, wie wir ticken. Was wir brauchen. Oder es interessiert sie nicht. Aber sie sind die Entscheider." Federolf-Kreppel hat auch weitergespielt, als nur noch 50 Gäste in sein 800-Plätze-Haus durften. "Was haben wir in dieses Hygienekonzept reingesteckt. Natürlich ist es traurig, vor nur 200 Leuten zu spielen, oder gar 50. Aber ich würde auch für 20 spielen."
Abstände und Maskenpflicht penibel eingehalten
Als die Kultureinrichtungen der Region den Spielbetrieb wieder aufnahmen, konnte der nicht im mindesten wirtschaftlich sein – es ging nicht ums Geldverdienen, sondern darum, wieder etwas anzubieten, sich in Erinnerung zu rufen. Man hatte Termine verschoben (oft mehrfach), Spielpläne über den Haufen geworfen und komplett neu aufgesetzt, Programme und Stücke gekürzt, neues, geeignetes Repertoire ermittelt und einstudiert, abertausende von Eintrittskarten zurückgenommen oder umgebucht, hochdifferenzierte Bestuhlungspläne ausgetüftelt, neue Formate entwickelt, neue Arten, mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben, vom Hofkonzert bis hin zum Autokino. Kaum irgendwo sonst ist so gut bekannt, wer anwesend ist. Das Publikum sitzt still, trägt Maske, spricht nicht, singt nicht, tanzt nicht.
Kultur gehört nicht zu den Treibern der Pandemie
Freischaffende Künstlerinnen und Künstler aber auch Agenturen und Veranstalter, Techniker, Caterer und all die sonstigen Kultur-Dienstleister hatten indes erfahren, wie schwer es war, tatsächlich an finanzielle Hilfen zu kommen, hatten erlebt, wie andere Branchen früher öffnen durften. Und sie erleben es heute wieder: Das "light" bezieht sich nicht auf die Kultur, obwohl gerade diese – in der Region wie überall in Deutschland – bewiesen hatte, dass sie nicht zu den Treibern der Pandemie gehört.
Für mindestens vier Wochen gehen die Lichter jetzt trotzdem wieder aus. Doch diesmal regt sich in der bislang eher leisen Kulturbranche Widerspruch. Prominente wie Bastian Pastewka, Till Brönner oder Igor Levit machen auf die Problematik aufmerksam. Und auch Vertreter regionaler Kultureinrichtungen sparen nicht mit Kritik.
Am 16. November treffen sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Dass sie für Dezember eine Öffnung verkünden, daran glaubt wohl niemand in der Kulturszene. Dazu sei der erste Lockdown zu oft stillschweigend immer wieder neu verlängert worden, sagt etwa Gaby Heyder, Geschäftsführerin beim Veranstaltungsservice Bamberg, der in normalen Zeiten viele Veranstaltungen auch in Unterfranken organisiert. "Die kurzfristigen Ansagen der Politik, das Stückwerk, die fehlende Planungssicherheit, das alles setzt uns zu", sagt sie. "Es hätte uns allen besser getan, wenn die Politik frühzeitig gesagt hätte, ,Bis Ende Februar braucht ihr mit gar nichts zu planen'. Dann hätte man sich an einen Tisch setzen und besprechen können, wie die Probleme am besten zu lösen sind."
Permanent ändern sich die Gegebenheiten
So aber muss der Veranstaltungsservice permanent auf neue Gegebenheiten reagieren. Was einiges an Bürozeiten erfordert, weswegen die Agentur das Hilfsmittel der Kurzarbeit nur sehr begrenzt einsetzen konnte, so Heyder. "Wir hatten 97,4 Prozent Umsatzeinbruch. Und bis die Bestätigung kam, dass wir Hilfe aus dem Spielsstättenprogramm bekommen würden, mussten wir Kredite aufnehmen. Die können wir nun teilweise wieder rückabwickeln. Das ist jedoch auf längere Sicht nur der Tropfen auf den heißen Stein."
Ein Neustart am 1. Dezember wäre im übrigen für viele gar nicht möglich. Zumindest nicht, wenn die Ansage erst am 16. November käme. "Im Moment dürfen wir, und das ist bundesweit einmalig, nicht einmal proben", sagt Markus Trabusch, Intendant des Mainfranken Theaters Würzburg. "Wir können nicht aus dem Stand wieder anfangen. Wir brauchen einen Vorlauf, auch für Produktionen, die schon fertig geprobt sind."
Die wenigen Wochen im Ausweichquartier Theaterfabrik Blaue Halle hätten dem Theater sehr gut getan, sagt Trabusch: "Wir hatten eine sehr, sehr gute Nachfrage. Es gibt einfach dieses Bedürfnis, das gemeinsam live zu erleben. Und unsere Hygienekonzepte sind extrem sicher, das Publikum verhält sich extrem sicher. Deswegen hätten wir das gerne differenzierter betrachtet und hätten das gerne auch selbst entschieden."
Kultur könnte Menschen durch schwierige Zeit helfen
Niemand könne sich dem Infektionsgeschehen verschließen. Aber: "Wir wollen Plausibilität." So findet Trabusch es "schräg", dass die Theater leer sind, Züge, Busse oder Baumärkte ("nur ein Beispiel") aber voll. Johannes Mnich, Intendant der Tauberphilharmonie in Weikersheim, sieht außerdem die Gefahr eines Vertrauensverlusts: "Die Leute denken, so sicher sind die vielleicht doch nicht." Dagegen würden die Menschen nun wieder ins Private gezwungen. "Bei so einem Spieleabend sind doch ganz schnell mehr als zwei Haushalte beisammen." Theater und Konzerthallen hingegen könnten beitragen, die Menschen durch diese schwierige Zeit zu bringen: "Druck aus dem Kessel lassen an einem sicheren Ort", wie Mnich es nennt.
"Wir haben eben keine Lobby – anders als Autoindustrie oder Lufthansa", sagt Monika Wagner-Repiscus, die zusammen mit ihrem Mann Mathias Repiscus die Kabarettbühne Bockshorn in Würzburg betreibt. "Aber selbst die Gastronomie, die eine bessere Lobby hat als wir, konnte nichts ausrichten." Es wäre ein halbes Jahr Zeit gewesen, andere Strategien zu entwickeln als nur Verbote. "Aber da ist zu wenig passiert. Man hätte die Theater offen lassen müssen. Keiner von uns Theatermachern kann es sich leisten, dass sich jemand ansteckt."
Wolf Eiermann, Leiter des Schweinfurter Museums Georg Schäfer, findet es in Ordnung, dass auch die Museen geschlossen sind. Nicht aus Sicherheitsgründen, wohlgemerkt, sondern aus Solidarität mit den Theatern. "Wir im Museum sind doch der Club der toten Künstler. Es gibt bei uns nur an einer Stelle die Gefahr der Kontaktaufnahme: an der Kasse. Ansonsten kann man sich bei uns sehr gut aus dem Weg gehen."
Verlieren die Menschen die Lust auf Kultur?
Problematisch werde es, wenn die Menschen dank immer neuer Verbote die Lust auf Kultur verlieren, befürchtet Eiermann: "Mutieren wir zu einer Fernseh-, Internet- und Rundfunkgesellschaft? Ein neues Biedermeier unter anderen Vorzeichen?"
Luisa Heese, seit September Leiterin des Würzburger Kulturspeichers, sah, wie viele Museumsleute, einen kurzen "Hoffnungsschimmer", als Angela Merkel am 29. Oktober in der Schließungsliste die Museen nicht erwähnte. Ministerpräsident Markus Söder holte das tags darauf nach, und zwar einsortiert als Freizeit- und nicht etwa Bildungseinrichtungen. "Das war schon skurril. Da zeigt sich eine Problematik, was die Wertschätzung angeht", sagt Heese. "Man muss mit solchen Setzungen vorsichtig umgehen. Das hat auch mit dem Selbstbild des Kulturlandes Bayern und Deutschland zu tun." Selbstverständlich gehe es darum, die Infektionszahlen wieder zu senken. "Aber ein Aspekt ist, wie darüber gesprochen wird."
Kulturschaffende protestieren auch im Internet
Um der Kultur eine Stimme zu geben, haben etliche Berufsverbände Appelle verfasst, die Förderstiftung der Bamberger Symphoniker hat sogar eine Online-Petition gestartet. Und auch in den sozialen Netzwerken melden sich Kulturschaffende aus ganz Deutschland zu Wort: Unter dem Hashtag #sangundklanglos sind aktuell allein auf Facebook fast 17 000 Beiträge mit Kurzvideos eingegangen, in denen Sänger und Schauspieler stumm bleiben, Geiger ihr Instrument an den Nagel hängen, Orchester Platz nehmen und nicht spielen, Eiserne Vorhänge sich senken und Ateliers leer bleiben.