Würzburgs Kulturreferent Achim Könneke hat klare Vorstellungen über eine zeitgemäße Kulturpolitik. Seine Devise ist: "Kultur von Allen und für Alle". Im Gespräch äußerte er sich auch zum Mozartfest-Jubiläum, zum Kulturquartier Alter Hafen und darüber, welche Bedeutung der 16. März in Zukunft haben kann.
Frage: Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt in Würzburg haben Sie sich unter anderem mit dem Satz „Ich bin ein Kind der Kulturpolitik der 70er Jahre“ vorgestellt. Was bedeutet dies für Ihre Tätigkeit in Würzburg?
Achim Könneke: Die klare Festlegung, dass Kulturpolitik sich nicht primär um die „Hochkultur“ oder die „traditionellen Institutionen“ kümmert und nur, wenn Ressourcen übrig sind, sich auch ein bisschen mit der Freien Kultur, Breiten-, Sozio- und Stadtteilkultur beschäftigt. Das bedeutet, dass eine Oper nicht wichtiger ist als ein Stadtteilkulturzentrum oder eine Stadtbücherei. Diese nicht mehr ganz „Neue Kulturpolitik“ – Stichwort „Kultur von Allen und für Alle“ – bedeutet ja nicht „Alles umsonst und draußen“, sondern sie unterstreicht Teilhabegerechtigkeit und Zugangsmöglichkeit. Das "Bürgerrecht Kultur" bedeutet, dass jeder Bürger, jedes Kind das Recht hat und die Chance haben soll, sich kulturell zu entwickeln und kulturelle Angebote wahrzunehmen.
Ein Beispiel: Man könnte sagen „Wir haben das Mozartfest als kulturelles Flaggschiff", was es zweifellos ist, "und alles andere ist nicht mehr so wichtig“, oder man sagt: „Das Mozartfest ist unser Alleinstellungsmerkmal, aber wir haben beispielsweise gleichberechtigt den Anspruch, die durch Abriss der Posthalle gefährdeten dortigen Initiativen kulturpolitisch ebenso ernst zu nehmen und diesen Akteuren und ihren Zielgruppen Perspektiven zu ermöglichen.“ Die dortigen soziokulturellen Initiativen und kulturwirtschaftlichen Start-ups müssen auch Entwicklungsräume haben, denn auch aus ihnen bildet sich der Humus einer dynamischen, urbanen und vielfältigen Stadtkultur.
Es ist ja in Würzburg schon ein bisschen eine Tradition, dass die Freie Szene sich als Gegenpol sieht zur institutionalisierten oder Hochkultur. Kann man da als Kulturreferent eine Art Durchlässigkeit herstellen?
Könneke: Die Durchlässigkeit ist längst viel größer als manche glauben. Zwar erlebe ich immer noch, nicht selten von - nicht hiesigen - Funktionären speziell der freien Theaterszene, dass immer noch das seit Jahrzehnten nicht mehr gültige Bild bemüht wird: Auf der einen Seite die verbeamtete Theaterlandschaft der Stadt- und Staatstheater, die konservativ ist und überkommene Traditionen bewahrt und auf der anderen Seite die innovative und experimentelle Freie Szene. Dieses Bild aber ist lange überholt. Heute sind viele Stadttheater zum Teil viel experimenteller und innovativer als manche in die Jahre gekommene Institution der Freien Szene. Genau so trifft auch die vermeintlich klare und qualitativ wertende Trennung zwischen U- und E-Kultur, Breiten- und Hochkultur heutzutage nicht mehr zu. Vor allem spielt sie beim Publikum nicht mehr die große Rolle. Auch hier gibt es eine erfreuliche Durchlässigkeit und Offenheit. Dieses stetig ansteigende Interesse der Menschen an Kunst und Kultur ist auch ein Erfolg dieser „Neuen Kulturpolitik“. Diese Offenheit und Vielfalt aber ergibt sich nicht von selbst. Hier sind die Politik oder die Stadt gefordert, entsprechende Möglichkeitsräume anzubieten oder ihre Entfaltung zu fördern: durch marktunabhängige Produktionsräume, Ateliers, Proberäume, Präsentations- und Diskursräume. Gerade das absehbare Ende des Kulturareals Posthalle wird hier in Würzburg einen großen Bedarf auslösen. Zum Beispiel für Ateliers und Bandprobenräume. Hier könnte die Stadt prüfen, intensiver eigene Räume an Künstler zu günstigen Konditionen zu vermieten. Manche Städte, die wenig eigene Räume haben, bezuschussen auch die Miete, wenn Künstler privat Räume angemietet haben, um so den Kulturstandort zu stärken und die Künstler in der Stadt zu halten.
In Würzburg wird immer wieder der Ruf nach einem soziokulturellen Zentrum laut. Was halten sie von diesem Wunsch?
Könneke: Soziokultur bezeichnet ja ein extrem breites Feld bürgerschaftlicher und selbstbestimmter Aktivitäten und Angebote von und für sehr unterschiedliche Gruppen einer bunten Stadtgesellschaft. Deutlich ist damit schon, dass man ein soziokulturelles Zentrum nicht aus der Politik top-down definieren oder verordnen kann. Soziokulturelle Aktivitäten oder ein Zentrum sind existenziell davon abhängig, welche Gruppen oder Szenen mit welchen Ansprüchen in einer Stadt engagiert sind. Da gibt es ja in Würzburg einige sehr unterschiedliche, wie den „Freiraum“ oder das „Immerhin“. Es kommt konkret darauf an, welche Gruppen sich zusammentun und überzeugende Konzepte entwickeln und sich hierfür Rückendeckung in der Stadtgesellschaft erarbeiten. Entscheidend dafür ist sicher, welcher gemeinschaftsstiftende Mehrwert oder welche konkrete Bereicherung zum Beispiel eines Stadtteils möglich wird. Soziokultur beweist sich über ihren konkreten Anspruch der kulturellen und gesellschaftspolitischen Inklusion und Integration. Wenn es hierzu keine überzeugenden Initiativen gibt, wird es auch kein soziokulturelles Zentrum geben.
Haben Sie vor, ein Signal auszusenden und ein Angebot zu formulieren für solche Gruppen und Initiativen?
Könneke: Ein Angebot zu formulieren würde mir im Sinne des eben Gesagten zu weit gehen. Da verstehe ich uns mehr als Vermittler und Ermöglicher. Schon vor Monaten habe ich beispielsweise dem Freundeskreis „Rettet die Posthalle“ Gespräche angeboten und auch schon im Sommer erste Gespräche mit Initiativen aus der Soziokultur geführt. Man kann aber von der Stadt nicht erwarten, dass sie ein Konzept für ein soziokulturelles Zentrum entwickelt und top-down umsetzt. Das muss scheitern. Wir sind aber offen dafür, Hilfestellung zu geben.
Gibt es Objekte in der Stadt, die dafür geeignet wären?
Könneke: Ich setze zumindest mittelfristig große Hoffnungen in die urbane Entwicklung der Faulenberg-Kaserne. Hier wären einmalige Potenziale für soziokulturelle Möglichkeitsräume. Aktuell sind dort aber wohl alle nutzbaren Räume vermietet. Mit guten Konzepten könnte man sich aber in die Planung einer künftigen Nutzung einbringen. Das hoffe ich zumindest. Es wird aber auch an anderen Orten in der Stadt immer wieder mal Umnutzungen geben. Wenn deutlicher wäre, was man konkret wofür sucht, würde es sich vielleicht lohnen, die Augen offen zu halten.
Da muss Ihnen doch, wenn Sie sehen, was jetzt mit der Frankenhalle passiert, das Herz bluten?
Könneke: Das wurde vor meiner Zeit entschieden. Klar hätte ich mir gewünscht, die Frankenhalle würde eine viel deutlichere kulturelle Nutzung bekommen, um auch das ganze Areal des Alten Hafens weiter aufzuwerten und vor allem die Belebtheit dort zu steigern. Die Situation dort ist trotz der tollen Kultureinrichtungen schwierig. Bockshorn und Tanzspeicher haben nur abends ein paar Stunden geöffnet, der Platz vor dem Museum ist alles andere als einladend, das Café ist auf der Rückseite versteckt, Ausschilderung und Zugänglichkeit entlang des Mains sind unzureichend. Das einmalige Potenzial, das in dem Areal steckt, ist noch nicht zufriedenstellend entwickelt. Da muss mehr Leben rein. Und natürlich hoffe ich, dass von der künftigen Nutzung der Frankenhalle eine Belebung ausgeht. Noch ist ja in vielen Punkten sehr offen, was in der Halle passieren wird. Es muss auf jeden Fall besser werden als noch einmal 20 Jahre Stillstand. Aber ob das reichen wird?
Die Erreichbarkeit der Festung und des künftigen Museums für Franken ist in Würzburg ein Reizthema. Wie stehen Sie dazu?
Könneke: Der Festungscharakter ist seit Jahrhunderten obsolet. Die Nicht-Erreichbarkeit eines bedeutenden Museums und eines Tagungszentrums auf der Festung ist ebenso wenig zeitgemäß und wenig zukunftsfähig. So viel traue ich mich zu sagen. Es ist toll, dass der Freistaat über 100 Millionen Euro in die Hand nimmt, um die Festung und das Museum zu sanieren und zukunftsfähig zu machen. Wenn das Museum für Franken neu eröffnet wird, dann strahlt es eine ganz andere Attraktivität aus. Richtig Sinn macht das aber nur, wenn die Zugänglichkeit funktioniert. Diese Feststellung ist eigentlich auch nicht sehr originell. Die Frage nach Aufzug, Seilbahn oder ähnlichem wird man sich hoffentlich noch intensiv stellen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Würzburger und das Land da etwas mutiger rangehen würden, um diesen Schatz der Festung, den man nur von weitem sieht, durch einen direkten Zugang an die Stadt heranzuholen.
Man könnte das ja auch als Chance begreifen, um im Hinblick auf Technologie oder Design vorzupreschen und zu zeigen „Wir trauen uns was“?
Könneke: Sicher. Das hat aber nicht zu Unrecht ein Für und Wider. Nicht alles, was neu ist, ist per se positiv. Bewahrung und auch mal eine gewisse Beharrungstendenz, gerade in einer Stadt, die so extrem zerstört wurde, ist nachvollziehbar und wertvoll. Dass die Würzburger um den Erhalt jedes Denkmals kämpfen, halte ich für absolut richtig. Dass man bei der Festung und dem Festungsberg, die ja auch Denkmäler sind, den Anspruch hat, sehr sensibel zu sein, ist verständlich und zwingend. Aber wenn man sich umschaut, gibt es national und international genug Vergleichbares, wo eine gute Balance gefunden wurde von Bewahrung der Tradition und innovativen Zugangsmöglichkeiten. Ein bisschen Zukunft wagen, würde Würzburg bestimmt gut anstehen. Tradition und Dynamik, Bewahrung und Aufbruch gehören zusammen und machen Urbanität aus.
Das Mainfranken Theater wird während der Sanierung sein Großes Haus schließen müssen. Das neue Kleine Haus wird beispielsweise für große Oper zu klein sein. Inwieweit sind Sie beteiligt oder steuern Ideen bei, wohin man ausweichen könnte?
Könneke: Grundsätzlich muss das neue Kleine Haus den Spielbetrieb des Großen Hauses mit auffangen. Es wird ja mehr als dreimal so groß wie die jetzige Kammerbühne. Darauf muss das Theater während der Sanierung den Schauspiel-Spielbetrieb einstellen. So lautet die Beschlusslage. Darüber hinaus sind aber Theater und Stadt intensiv auf der Suche nach ergänzenden räumlichen Möglichkeiten, um für die Würzburger auch weiterhin Musiktheater und große Oper spielen zu können, denn dafür ist nur das Große Haus ausgelegt. Im Augenblick gibt es verschiedene Optionen, die geprüft werden. Noch ist das völlig offen und nichts spruchreif. Ideal wäre eine leer stehende Fabrik-, Lager- oder sonstige Halle, die man so herrichtet, dass sie für eine Interimszeit unter sehr einfachen Bedingungen funktioniert und vielleicht eine ganz besondere Ästhetik herausfordert. Wir wollen den Bürgern -wenn irgend möglich - trotz Sanierung tollen Kunstgenuss bieten. Das könnte im besten Fall sehr reizvoll und einzigartig werden.
Gibt es ein bestimmtes Objekt, das Ihrer Ansicht nach in Frage käme?
Könneke: Ja es gibt Objekte, die theoretisch in Frage kommen. Die werden geprüft.
Die wollen Sie aber noch nicht nennen?
Könneke: Nein.
Im Jahr 2021 findet das 100. Mozartfest statt. Gibt es schon konkrete Überlegungen wieviel Geld die Stadt dafür in die Hand nehmen wird? Der Bedarf wird ja deutlich größer sein als bei einem „normalen“ Mozartfest?
Könneke: Der Bedarf ist natürlich viel größer, das ist richtig. 100 Jahre Mozartfest ist ein internationales Ereignis. Wir überschlagen derzeit, wieviel das Jubiläumsfestival an Zusatzmitteln braucht, um angemessen strahlen zu können. Da sind wir auf einem guten Weg. Ministerpräsident Söder hat ja ab 2019 eine Erhöhung des Landeszuschusses um 80 000 Euro signalisiert. Wir werden für das Jubiläumsjahr einen Zuschussantrag beim Kulturfonds Bayern stellen und gehen davon aus, dass der Freistaat uns 2021 noch entschiedener unterstützen wird. Das wird nicht zuletzt aber auch davon abhängen, wie entschieden die Stadt selbst ist, dieses Jubiläum ihres kulturellen Leuchtturms angemessen auszustatten. Wir werden diese Frage noch 2019 klären müssen, weil die Festivalleitung bereits jetzt das Programm für 2021 verbindlich planen muss. Es gibt aber noch keine finanzielle Hausnummer. Was es aber schon gibt: Wir haben zwei befristete Projektstellen vom Stadtrat genehmigt bekommen – für die Erarbeitung von aufwändigen Begleitprojekten wie einer Publikation, einer CD-Edition, einer Kunstausstellung und für Projekte im internationalen Raum sowie für Fundraising und Sponsoring. Beide Stellen sind gerade besetzt worden. Es geht also voran.
Erinnerungskultur mit dem 16. März, dem Tag der Zerstörung Würzburgs im Zweiten Weltkrieg, als zentralem Gedenktag spielt seit einigen Jahren eine zunehmende Rolle in der Stadt. Welche Bedeutung wird der 16. März in Zukunft haben?
Könneke: Der 16. März bleibt der 16. März, das ist überhaupt keine Frage. An diesen wichtigen Einschnitt in der Stadtgeschichte soll und muss man sich erinnern. Aber Erinnerungskultur darf nicht auf den 16. März reduziert werden. Wird es auch nicht. Der 16. März hat ja eine Vorgeschichte und muss kontextualisiert werden. Das geschieht ja auch schon hervorragend. Darüber hinaus ist auch mir wichtig, dass wir die gesamte Geschichtskultur der Stadt stärker in den Blick nehmen. Die Herausforderung für die Zukunft ist, die wechselvolle Geschichte über Jahrzehnte und Jahrhunderte stärker in den überregionalen und internationalen Kontext zu stellen. Auch die Stadtgesellschaft wird immer pluraler und daher ist für viele Menschen die Geschichte um den 16. März nicht mehr selbstverständlich ihre Geschichte. Trauerarbeit und Erinnerungsarbeit sind wichtig, aber entscheidend dabei ist immer, welche Schlüsse daraus für heute und für die Zukunft gezogen werden können. Insofern ist die zentrale Herausforderung, darauf zu schauen, was bestimmte Erfahrungen aus der Geschichte für unsere aktuelle gesellschaftliche Situation, unsere demokratische und offene und auch immer multikulturelle Gesellschaft bedeuten. Das gilt allgemein, aber auch für den 16. März, der für Würzburg das bittere Ende einer durchaus selbst verschuldeten gesellschaftspolitischen und auch kulturellen Entwicklung war.