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Bayreuth
Durchwachsene Bilanz auf dem Grünen Hügel
Andreas Schager in der Titelrolle des „Parsifal”, hier mit Elena Pankratova (Kundry)
Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath | Andreas Schager in der Titelrolle des „Parsifal”, hier mit Elena Pankratova (Kundry)
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:58 Uhr

Dass ganz normale Leute mitten während der Bayreuther Festspiele noch regulär im offiziellen Online-Shop zwei Karten für „Tristan und Isolde“ kaufen können, dürfte für manch altgedienten Wagnerianer so etwas wie der Beleg für den Untergang des Abendlandes sein. Unerreichbarkeit gehört schließlich untrennbar zum Mythos Bayreuth. Man kann es auch anders sehen: Der Bayreuth-Besucher ist längst vom demütigen Bittsteller, der teils Jahrzehnte auf die Zuteilung einer Zutrittserlaubnis zum Grünen Hügel warten musste, zum Kunden avanciert.

Dass am Dienstag, einen Tag vor Schluss, auffällig viele Wiederverkäufer vor dem Festspielhaus Karten für die abschließende „Walküre“ feilbieten, zeigt wiederum, dass dieser Kunde nicht wiederspruchslos alles schluckt, was ihm vorgesetzt wird. Diese „Walküre“ nämlich dirigierte Placido Domingo, 77, einer der größten Tenöre des 20. Jahrhunderts, heute Bariton und Dirigent. Ihm zuliebe hatte die Festspielleitung den zweiten Teil der abgespielten „Ring“-Tetralogie von Frank Castorf nochmal auf den Spielplan gesetzt – Domingo war am Premierenabend ob seiner quälend zähen und stellenweise auffällig unpräzisen Interpretation gnadenlos ausgebuht worden. Es heißt, die Festspielleitung habe deshalb auf den traditionellen Orchesterapplaus nach der zweiten Aufführung verzichtet.

Die Festspiele sind jedenfalls mit sich selbst zufrieden

Aber das war schon immer so: Der Marktwert mancher Inszenierungen und Dirigenten schwankt, früher ließ sich das an den Schwarzmarktpreisen ablesen, heute an der regulären Verfügbarkeit der Karten. Die Festspiele 2018 jedenfalls sind hochzufrieden mit sich selbst. Über 62 000 Besucher „aus zahlreichen Ländern“ hätten für 32 ausverkaufte Aufführungen gesorgt: „Das künstlerische Niveau der Festspielaufführungen ist international führend und stellt die Einzigartigkeit der Bayreuther Festspiele als wichtigsten Ort der Auseinandersetzung mit Wagners Werk eindrucksvoll unter Beweis“, heißt es auf der Festspiel-Homepage.

Katharina Wagner       -  Katharina Wagner, Chefin der Bayreuther Festspiele
Foto: Matthias Merz, dpa | Katharina Wagner, Chefin der Bayreuther Festspiele

Abgesehen davon, dass derlei Selbstlob nie besonders überzeugend wirkt – die Kritiker, die in Festspielchefin Katharina Wagner den personifizierten Niedergang sehen, wird es nicht besänftigen. Tatsächlich fällt es nicht schwer, Pannen, Ein- und Ausladungen, Absagen, Skandale und Skandälchen der letzten Jahre zu einer Liste der Fehlbarkeit zu addieren. Aber man muss nur sehr oberflächlich googeln, um auf ähnliche Lamentos in allen Jahrzehnten zu stoßen.

Der neue „Lohengrin“ hinterließ kaum bleibenden Eindruck

Tatsächlich auch findet die oben postulierte „Auseinandersetzung mit Wagners Werk“ nicht immer so intensiv statt, wie man sich das wünschen würde. Während Barrie Koskys „Meistersinger“ sich in ihrer zweiten Spielzeit als beglückend vielschichtig erweisen, hinterlässt ausgerechnet die Neuinszenierung, der „Lohengrin“ in der Regie von Yuval Sharon mit Bühnenbild und Kostümen von Neo Rauch und Rosa Loy, ein harmlos putziges Märchen in Blau, kaum bleibenden Eindruck, sieht man vom bravourös eingesprungenen Piotr Beczala in der Titelrolle ab.

Andreas Schager (Parsifal) inmitten der Blumenmädchen in Klingsors Burg
Foto: Nayreuther Festspiele / Enrico Nawrath | Andreas Schager (Parsifal) inmitten der Blumenmädchen in Klingsors Burg

Nicht immer sind (Rollen-)Besetzungen nachvollziehbar, aber auch das gehört schon immer zu Bayreuth. Dass immer wieder Dirigenten oder Solisten nicht für die gesamte Spielzeit (oder gar nicht) verfügbar sind – auch darin kann man ein Indiz des Niedergangs sehen. Wenn man davon ausgeht, dass es einst allerhöchste Auszeichnung bedeutete, hier singen oder dirigieren zu dürfen. Aber aus den Personalien immer gleich ein Spekulationsspiel darüber zu machen, wer mit wem nicht kann, wer wen verärgert oder verprellt hat oder wer bei wem in Ungnade gefallen ist, das erscheint doch reichlich anstrengend.

Andreas Schager gibt dem „Tristan“ eine gewaltige Dosis Energie mit

Manchmal allerdings kann Spekulieren Spaß machen. Vor allem, wenn es unverhofft befeuert wird. So ist am Dienstag Andreas Schager als Tristan für den erkrankten Stephen Gould eingesprungen. Die Rolle kennt er, er singt sie in Berlin unter Daniel Barenboim und demnächst in Paris. Im Gegensatz zur nicht allzu umfänglichen Titelrolle des„Parsifal“, die Schager seit zwei Spielzeiten in Bayreuth singt, ist die Partie des Tristan weitaus größer angelegt.

Und wie schon als Nachfolger von Klaus Florian Vogt im „Parsifal“ bringt Schager im „Tristan“ eine gewaltige Dosis Energie mit. Der österreichische Heldentenor ist unglaublich präsent, ohne andere Ensemblemitglieder zu überschatten. Und gibt dem Tristan – anders als der ebenfalls großartig singende Gould– eine linkische Verletzlichkeit, die einerseits Katharina Wagners pessimistischer Deutung etwas von ihrer Düsternis nimmt, andererseits die Anteilnahme am tragischen Schicksal der Figuren drastisch steigert.

Stephen Gould wird 2019 die Titelrolle des „Tannhäuser“ singen

Und wenn dann noch Christian Thielemann das Orchester, das schon zur Premiere über sich hinausgewachsen war, zu vollkommener Homogenität führt (beim Applaus wirkt er, als habe er diese weitere Steigerung selbst ungläubig zur Kenntnis genommen), dann tritt alles andere in den Hintergrund. Dies jedenfalls ist Weltklasse.

Doch zurück zur Spekulation: Stephen Gould wird 2019 den Tannhäuser in einer Neuinszenierung von Tobias Kratzer, Jahrgang 1980, singen (und Anna Netrebko jetzt dann doch die Elsa im „Lohengrin“). Da läge es nahe, Andreas Schager regulär für den Tristan zu verpflichten. Das bisschen Parsifal schafft er doch trotzdem.

 
 
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