Dass mit Rosa Loy und Neo Rauch zwei Bildende Künstler, genauer gesagt: Maler, Kostüme und Bühne geschaffen haben, sieht man. Der neue Bayreuther „Lohengrin“ ist eine gemalte Welt in Blau. Die so beherrschend ist, dass der Zuschauer die Spuren der Regie von Yuval Sharon erst suchen muss. Sharon, der als erster Amerikaner überhaupt auf dem Grünen Hügel inszeniert, war für Alvis Hermanis eingesprungen und hatte ein fertiges Bühnen- und Kostüm-Konzept vorgefunden.
Und so sind in dieser Neuinszenierung für die Bayreuther Festspiele die optischen Reize weitaus stärker als die szenischen, auch wenn die Hauprollen durchaus Akzente setzen: Piotr Beczala, auch er Einspringer (für Roberto Alagna, der in letzter Minuten absagte), ist ein großartiger Lohengrin – ein Mann mit vielen Facetten, der nach drei Stunden sang- und klanglos verschwindet und den Eindruck hinterlässt, man habe viel zu wenig von ihm gesehen (und gehört), obwohl er in den entscheidenden Momenten alles beherrscht. „Nun ist all unser Glück dahin“ und die Gralserzählung im dritten Akt etwa sind Szenen von anrührender Intensität.
Ein in all seiner Würde fehlbarer Lohengrin
Beczalas Tenor gehört eher ins Belcanto- als ins Helden-Fach, und das ist sehr, sehr gut so. Dieser Lohengrin ist in all seiner Würde verletzlich und fehlbar, und genau das ist es, was Elsa keine Ruhe lässt. Insofern hat wohl doch ein wenig mehr Regie stattgefunden als auf Anhieb erkennbar.
Anja Harteros ist als Elsa von Anfang an zerrissen zwischen ihrer Sehnsucht zu vertrauen und ihrer Beeinflussbarkeit durch die Einflüsterungen der charismatischen Ortrud. Die Würzburgerin Waltraud Meier wird zum Schluss nach 18-jähriger Abwesenheit in Bayreuth demonstrativ für diese Ortrud gefeiert, die sie als ruhelose Intrigantin gestaltet. Georg Zeppenfeld als König Heinrich zeigt in Ermangelung besonderer Ideen seitens der Regie einmal mehr, wie klar und elegant man Bass singen kann, Tomasz Konieczny als Telramund bringt einiges an Wucht und Wahn auf die Bühne, allerdings ist sein Text – im Gegensatz zu etwa Beczala und Zeppenfeld – kaum zu verstehen.
Thielemann dirigiert mit Präzision und Verve
Überhaupt die Musik: Christian Thielemann am Pult des Festspielorchesters komplettiert mit „Lohengrin“ sein Bayreuth-Portfolio – nun hat er alle hier gespielten Wagner-Opern dirigiert, was vor ihm nur Felix Mottl gelungen ist. Und er tut es mit Präzision und Verve – großartig die Organisation zwischen Graben und Bühne, hochsensibel die Koordination der Instrumentengruppen, energisch die Gestaltung der Tempi. Das ist, um es mit Harnoncourt zu sagen, Klangrede im besten Sinne.
Die Welt, in der das alles stattfindet, ist ein Diorama irgendwo zwischen Rembrandt und „Metropolis“, in dem Bäume, Himmel und sogar das Licht gemalt sind – eine Märchenwelt, die Weite vortäuscht, die aber gleichzeitig weiß, dass der Zuschauer die Täuschung durchschaut. Die Personen wirken wie Spielfiguren in einer Miniaturlandschaft – bezeichnenderweise tragen die Hauptrollen Insektenflügel. Die Soldaten könnten der „Nachtwache“ entstiegen und in diese nahezu monochrome Welt in Blau eingetaucht sein.
Hier steht Technik für Fortschritt – ein Aberglaube
Mit Lohengrin, der offenbar über die elektrische Energie gebietet, dringt der Fortschritt in eine Welt des Aberglaubens ein. Fortschritt zumindest dann, wenn man Technik mit Fortschritt gleichsetzt. Was, wie wir heute wissen, der noch größere Aberglaube ist. In der Welt des Königs Heinrich aber (die Oper spielt laut Libretto im zehnten Jahrhundert) ist kaum mehr Magie denkbar. Lohengrin kämpft nicht mit dem Schwert, sondern mit einer Art Elektroblitz-Pfeil. Das erklärt, warum er allen ein Rätsel ist, allerdings macht das seine Erscheinung für die Massen eher unpersönlich.
Und das ist genau das Problem dieser Inszenierung: Sie wirkt unpersönlich. Das hochartifizielle, irgendwie putzige Ambiente mit Trafostationen und Strommasten, die konstruierte Zuordnung der Figuren zu verschiedenen Stadien menschlicher Erkenntnis, die schablonenhaften – im zweiten Aufzug allerdings wirklich beeindruckenden – Kulissen versetzen die Handlung in eine märchenhaft distanzierte Nebenwelt. Was hier passiert, mag ja ganz interessant sein. Wirklich bewegend ist es aber nicht. Dass hier kein Schwan auftaucht, muss kaum erwähnt werden, aber dass der von seinem Dasein als Schwan erlöste Gottfried plötzlich als giftgrüner Mann über die Bühne spaziert, das ist dann doch entschieden sonderbar.
Zum Schluss großer Applaus für Solisten, Chor und Orchester und auch für das Regieteam – wenn sich letzteres doch auch etliche Buhs anhören muss. Aber auch die klingen, als kämen sie nicht wirklich von Herzen.