Wenn dieses Fußballspiel ein Kinofilm wäre, seine Handlung wäre von maßlos übertrieben bis kitschig von der Kritik zerrissen worden. Auch wenn sich manche am Abend zwicken lassen mussten, um zu prüfen, dass er oder sie nicht wild geträumt hatte: Was zwischen 16 und 18.45 Uhr auf der Sepp-Endres-Sportanlage geschah, war wirklich.
Der Würzburger FV hat das Rückspiel der zweiten und entscheidenden Runde der Bayernliga-Relegation mit 5:3 nach Verlängerung gegen den TSV Großbardorf gewonnen. Nach dem 0:0 im Hinspiel bleiben die Nullvierer damit in der Fußball-Bayernliga, die Grabfeld-Gallier, die sich ihren Beinamen mit großem Kämpferherz verdienten, müssen trotz starker Leistungen in der nächsten Saison einen erneuten Anlauf auf eine Rückkehr dorthin nehmen.
1330 Menschen sehen das Rückspiel an der Mainaustraße
Was in diesen zwei Sätzen so harmlos klingt, war wohl für die meisten der 1330 Zuschauerinnen und Zuschauer an der Mainaustraße das außergewöhnlichste Fußballspiel, das sie je gesehen haben – und vielleicht auch je sehen werden. Falls Hollywood den nächsten Fußball-Film "nach einer wahren Begebenheit" drehen möchte, hier ist die Vorlage.
Nach besagtem 0:0 im Hinspiel in Großbardorf drei Tage zuvor nahm FV-Trainer Philipp Eckart mit Jan Krettek, Samuel Röthlein und Julian Wild drei Änderungen an seiner Anfangself vor. Auch Großbardorfs Trainer Mario Schindler änderte seine Formation zweimal.
Mit Fazdel Tahir und Diego Schwab, der nach einer Roten Karte beim 2:1 im Hinspiel der ersten Runde gegen Coburg wieder einsatzberechtigt war, ordnete er seine Mannschaft auf mehreren Positionen neu – auch, weil er sich mehr Impulse nach vorne erhoffte, als seine Großbardorfer trotz einer mehr als 30-minütigen Überzahl im torlosen Hinspiel gezeigt hatten.
Jan Krettek bringt anfangs dominante Nullvierer in Führung
Der FV begann dominant, zog das Geschehen in den ersten Minuten an sich und drängte die Grabfelder erneut in die passive Rolle. Daraus ergab sich eine erste Torgelegenheit, nachdem sich Paul Obrusnik auf links durchgesetzt und den Ball zurück an den Elfmeterpunkt gepasst hatte, von wo aus Dennie Michels Schlenzer nur Zentimeter zu hoch war (10.).
Schon nach dem nächsten Angriff der Nullvierer konnte Stadionsprecher Christian Götz die Torhymne spielen: Fabio Gobbo setzte sich auf rechts mit viel Geschick und etwas Glück durch und hob den Ball mustergültig in den Sechzehner auf Krettek, dessen Kopfball über TSV-Torhüter Simon Voll hinweg zum 1:0 der Hausherren ins Netz flog (11.).
Großbardorf, das in den ersten Minuten erneut nur verhalten agiert hatte und an die ineffektiven Überzahl-Minuten des Hinspiels anzuknüpfen schien, reagierte: Yasir Aldijawi setzte vor FV-Torhüter André Koob zu energisch nach und handelte sich ermahnende Worte von Schiedsrichter Thomas Stein ein (13.). Auch Tahirs Schuss parierte Koob (17.).
Moritz Lotzens Freistoßtor bringt Pausenführung für den FV
Mitte der ersten Halbzeit war die Partie ausgeglichen. Für die Blauen blieb Krettek der Mann der Chancen. Als er sich im Strafraum durchgesetzt hatte und noch im Fallen abzog, verfehlte sein Schuss nur knapp das Tor (23.). Für den TSV zwang Tahir, dessen Einsatz für die Gäste nun belebend wirkte, Koob mit seinem Schuss zur Parade (25.).
Die Folge von Großbardorfs Offensivbestreben und Würzburgs verlorener Spielkontrolle: Nach einem langen Ball in die Spitze entschied Aldijawi ein Laufduell für sich und traf mit seinem Schuss aus halbrechter Position platziert zum 1:1 ins untere linke Eck (28.).
Zwar hatte der FV zum Ende der ersten Halbzeit Partie und Gegner wieder etwas mehr im Griff, für die Pausenführung brauchte es dennoch eine sehenswerte Einzelaktion: Moritz Lotzen, der schon in der Relegation vor zwei Jahren beim Hinspiel-1:0 in Röllbach einen Freistoß direkt verwandelt hatte, nahm nach einem Foul an Obrusnik auf der linken Seite aus 35 Metern ganz genau Maß und versenkte den Ball zum 2:1 im unteren rechten Eck (43.).
Nach dem 2:3 hat der FV die Landesliga mehr als nur vor Augen
Obwohl Großbardorf auf das späte Gegentor mit einer offensiveren Herangehensweise in der zweiten Halbzeit reagierte, hatten wiederum die Nullvierer in dieser die ersten Gelegenheiten. Michel traf nach einem Zuspiel von Julian Wild aus kurzer Distanz das Außennetz (51.) und Lotzens Freistoß von links außen flog über das Tor (55.).
Nachdem die Partie von zehn Minuten nach der Halbzeit bis zehn Minuten vor ihrem Ende vor allem von Spannung, nicht aber von Torszenen gelebt hatte, startete Großbardorf eine Offensive. Jannik Binders Schuss aus 16 Metern landete noch bei Torhüter Koob (78.), doch nach Alban Pecis Flanke und dem Kopfball des am zweiten Pfosten frei stehenden Aldijawi, fiel das 2:2, das sich angedeutet hatte, da der FV zuvor nur noch reagiert hatte (80.).
Es war der Auftakt zu Schlussphase, Nachspielzeit und Verlängerung, die auf unterschiedliche Arten in die Vereinschroniken beider Seiten eingehen dürften. Der vom späten Ausgleich getroffene FV hatte nach Pecis 3:2 die Landesliga mehr als nur vor Augen (90.+1).
Michel vergibt Elfmeter in der Nachspielzeit, Schäffer trifft
Das betretene Schweigen der FVler unterbrach ein Aufschrei, als der Schiedsrichter nach einem Foul an Tim Herbert auf Elfmeter entschied – und noch einer, als FV-Kapitän Michel diesen vergab (90.+3). Der FV rannte verzweifelt an, Michel über links in den Strafraum, als er dort zu Boden ging. Wieder Foulelfmeter. Wieder Hoffnung. Simon Schäffer übernahm die tonnenschwere Verantwortung für die letzte Aktion der Partie, für die letzte Möglichkeit, dem Abstieg zu entkommen und sich in die Verlängerung zu retten: 3:3 (90.+7).
Kaum hatte diese begonnen, wühlte sich das eben noch als Erleichterung gespürte Gefühl erneut auf. Moritz Gündling nahm Michels Zuspiel mit dem Rücken zum Tor an, drehte sich nach rechts und jagte den Ball mit links zum 4:3 in den oberen linken Winkel (94.).
Zu viel des Irrsinns für den TSV, der zehn Minuten zuvor noch mit mehr als zwei Beinen, falls es die gäbe, in der Bayernliga zu stehen schien. Dass die Großbardorfer danach kein Aufbäumen mehr zeigten, war allzu verständlich. Mit einem weiteren direkt verwandelten Freistoß, nun unten links, zum 5:3 besiegelte Lotzen den Ausgang dieser Partie (109.).
Fußball: Bayernliga-Relegation, 2. Runde, Rückspiel
Würzburger FV – TSV Großbardorf 5:3 n.V. (3:3, 2:1)
(Hinspiel: 0:0, nach Hin- und Rückspiel 5:3)
Würzburg: Koob – Obrusnik, N. Wagner, Imgrund, Gobbo (46. Vierneisel) – Lotzen (90.+1 Gündling), Illig – Krettek (78. Herbert), Röthlein (56. Schäffer), Michel – Wild (66. F. Hock).
Großbardorf: Voll – Schulz (78. Peci), Alawami (116. Leicht), Zeitler, Schwab – Steinmetzer (60. S. Götz), Baum (106. Manninger) – Müller, Tahir (63. Binder), Aldijawi – Göller.
Schiedsrichter: Thomas Stein (Homburg/Main). Zuschauende: 1330. Tore: 1:0 Jan Krettek (11.), 1:1 Yasir Aldijawi (28.), 2:1 Moritz Lotzen (43.), 2:2 Yasir Aldijawi (80.), 2:3 Alban Peci (90.+1), 3:3 Simon Schäffer (90.+7, Foulelfmeter), 4:3 Moritz Gündling (94.), 5:3 Moritz Lotzen (109.). Bes. Vorkommnis: Dennie Michel (FV) vergibt Foulelfmeter (90.+3).