Sarah Rinkowitz ist eine fröhliche junge Frau. Lässig schiebt sie das Wägelchen mit den vielen Schlägern über den Rasen. Der Frühling ist zu Gast auf der Anlage des Golfclub Schweinfurt. Die 34-Jährige blinzelt in die Sonne, dann schlägt sie den kleinen weißen Ball ziemlich nah an die Fahne - und ist zufrieden. Sie spielt Golf, sie spielt sehr gut Golf. Zu Hause in ihrer Dachwohnung in Kleinmünster im Landkreis Haßberge muss sie die Ecke mit den Medaillen und Pokalen jedes Jahr ein bisschen größer gestalten. Sarah Rinkowitz lebt mit Trisomie 21, bekannt als Down Syndrom. Dass sie die vielen Auszeichnungen bei den Special Olympics, Wettbewerben für geistig behinderte Menschen, gewinnt, stört sie nicht: "Ich fühle mich nicht behindert. Nein."
Papa Udo Rinkowitz lächelt. Er weiß, welche Kämpferin seine Tochter ist. Aber auch, dass sie kein im landläufigen Sprachduktus "normales" Leben führen kann. "Sarah hat eine geistige Behinderung. Warum sollen wir das anders nennen? Es ist doch so, und es wird nicht besser, wenn man ein anderes Wort verwendet." Viel wichtiger ist ihm, der sein Kind sportlich seit vielen Jahren leidenschaftlich fördert: "Uns geht es darum, anderen Menschen zu zeigen, dass wir auch was können." Im Juni startet Sarah wieder beim nationalen Entscheid der Special Olympics - in Berlin, mit Siegchancen natürlich.
Trisomie 21. Das bedeutet, angeboren ein Chromosom zu viel zu haben: Das 21. Gen liegt drei- statt zweimal vor. Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten sind die Folge. In Deutschland leben etwas 30.000 bis 50.000 mit dieser genetischen Besonderheit. Für die Eltern Rinkowitz war es eine Überraschung bei der Geburt. Während der Schwangerschaft habe es stets geheißen, es sei alles in Ordnung. Und dann lag das Baby da, ohne jegliche Muskelspannung in den Beinen, im Gesicht, selbst in der Zunge - "wie leblos", erinnert sich der Vater. "Das musste Sarah in den ersten Lebensjahren alles antrainiert werden."
Therapeutisches Reiten für Gleichgewicht und Mobilität
Eine Tortur. Mit drei Monaten Frühbehandlung im Wasserbecken, jeden Tag turnen. Mit drei Jahren Laufen lernen. "Nach vier Jahren haben wir versucht, wie wir sie mobiler kriegen können." Denn: Sarah fehlte auch jegliches Gleichgewichtsgefühl. Die Familie versuchte es, damals noch zu Hause in Monheim am Rhein, mit therapeutischem Reiten, kaufte vier geeignete Pferde, engagierte eine Therapeutin - und organisierte eine Reitgruppe für behinderte Kinder.
Der Anfang der sportlichen Laufbahn des Mädchens, das mit der Zeit austrainierter war als viele gleichaltrige Kinder. Ein Weg, den der ehemalige Chemiemeister als Rentner auch im Jahr 2000 nach dem Umzug nach Kleinmünster, der Heimat seiner Frau Irene, fortführte. Zwei Pferde zogen mit um nach Unterfranken. Sarah Rinkowitz lernte Voltigieren, Turnen auf dem Pferderücken. Noch im selben Jahr startete sie im Voltigieren bei den Nationalen Special Olympics in Berlin, bis 2008 regelmäßig. Ein Verein stand nicht hinter dem Projekt. Die Eltern arrangierten alles privat.
Auch im Skifahren bei der deutschen Meisterschaft
Auch die winterlichen Aufenthalte im schweizerischen Lenzerheide. Wegen der Höhe. Sarah Rinkowitz hat Atemprobleme wegen einer verengten Luftröhre. Sie nutzte die Zeit, lernte Skifahren und nahm 2001 erstmals an den nationalen Winterspielen in Zwiesel im Slalom und Riesenslalom teil. Im Sommer reichte ihr das Reiten bald nicht mehr, sie absolvierte die Prüfungen zu den ersten beiden Gürteln im Kickboxen. Mit dem Kampfsport hörte sie erst auf, als sie gegen andere kämpfen hätte müssen. "Ich möchte keinen hauen."
Wer weiß, wie alles gelaufen wäre, hätte Papa Udo 2009 nicht massive Probleme mit der Halswirbelsäule bekommen und die Arbeit mit Pferden einstellen müssen. Es dauerte nicht lange und Sarah Rinkowitz sagte: "Dann machen wir jetzt Golf." Weil da diese Minigolfanlage im Ostsee-Urlaub zwischen Hotel und Strand lag. Jeden Tag wollte sie spielen, auch wenn ihr die Bahnen zu klein waren.
"Zu Hause haben wir gleich geschaut, welcher Golfclub sie nimmt", erinnert sich der Vater. Es gab Absagen - nicht vom GC Schweinfurt in Löffelsterz. Seit September 2009 trainiert Sarah bei Trainer Collin Monk, ein- bis zweimal die Woche. An den Wochenenden geht's mit dem Papa, der selbst nicht spielt, auf den Platz.
2010 startete Sarah Rinkowitz das erste Mal im Golf bei nationalen Spielen. Und verpasste den eigentlichen Wettkampf hauchdünn, weil sie in den sechs Qualifikations-Stationen nur 59 statt 60 Punkte erreichte. "Ich war nicht traurig, nur enttäuscht."
Zwei Jahre später in Frankfurt startete sie durch - genoss das ganze Programm: Auch bei den Nationalen Special Olympics wird ein "olympisches" Feuer entzündet, der Eid ("kann ich auswendig") gesprochen. Es gibt eine Eröffnungs- und Abschlussfeier sowie einen Disco-Abend. "Ich tanze gerne, aber dort ist es mir zu voll", sagt Sarah Rinkowitz. 2014 in Düsseldorf wurde sie Erste und qualifizierte sich für die Weltspiele.
Anders als bei den Paralympics mit vielen verschiedenen Behinderungsgraden existieren bei Special Olympics keine Kategorien, sondern pro Sportart jeweils ein gemeinsamer Wettbewerb für geistig und körperlich Behinderte. Theoretisch dürften Paralympics-Teilnehmer mitmachen, was aber zumindest die Spitzensportler nie tun. Die Special Olympics bleiben vorrangig für mental Gehandicapte.
Vater Udo Rinkowitz, bayerischer Special-Olympics-Landeskoordinator Golf, nennt die Wettbewerbe "Breitensport auf Leistungsniveau. Bei den Paralympics-Spitzensportlern entscheidet bisweilen die teuerste Prothese über Sieg und Niederlage. Das ist eine Materialschlacht."
Unvergessliches Erlebnis im Olympiastadion von 1932
Inzwischen spielt Sarah Rinkowitz so gut, dass sie auch bei "normalen" Turnieren mitmacht. Für offizielle Meisterschaften reicht ihr Handicap von 36 aber nicht. Dafür stehen Sportlerinnen und Sportler wie sie im Mittelpunkt bei Special-Olympics-Weltspielen wie 2015 in Los Angeles im alten Olympiastadion von 1932.
Aus Deutschland waren 134 Sportlerinnen und Sportler dabei, darunter auch je zwei Golferinnen und Golfer. Vier Stunden vor der Eröffnungsfeier hatten sich alle getroffen bei Gluthitze. Und so bekam die damals 27-Jährige Atemprobleme beim schnellen Einmarsch. Damit keine Lücke entstand, schnappte sich ein Trainer einen Rollstuhl und schob Sarah über die Laufbahn. "Das werde ich nie vergessen."
Erlebnisse, die sich womöglich nicht wiederholen werden für die junge Frau: Wer bei Special-Olympics-Weltspielen dabei war, soll künftig zugunsten anderer zurückstehen. Deswegen ist es nicht sicher, ob Sarah Rinkowitz, die 2019 in Dubai bereits verzichtete, 2023 in Berlin starten darf. Das hängt davon ab, ob für Gastgeber Deutschland die Golf-Startplätze aufgestockt werden. Ohnehin wirkt Sarah unentschlossen angesichts der Erinnerung an Los Angeles: "40 Grad. Und alles englisch. Kann ich nicht. Nur Yes. No. Please. Love. You." Dass es in Berlin kühler ist und Deutsch gesprochen wird, muss sie erst verinnerlichen.
Heavy Metal, Musicals, Theater und Florian Silbereisen
Was eher eine Frage der Emotionen denn der Auffassungsgabe ist. Sarah Rinkowitz kann lesen und schreiben, lediglich Zahlen und Zeitbegriffe fallen ihr schwer. "Aber mit Handy oder Laptop kann sie besser umgehen als ich", sagt der Papa. Sie liebt Musik. Von The Schield. "Das sind die von WWE Champions", erklärt die Tochter. Die Band spielt die Musik zur WWE-Wrestling-Serie, melodischen Heavy Metal. "Da kenne ich alle Lieder". Musicals mag sie auch, und Florian Silbereisen. Mit einer Begleitung besucht sie bald ein Konzert. In den Laien-Theatern der Region ist sie Stammgast, bekommt Manuskripte geschenkt, um sie zu Hause nachzuspielen.
Sarah Rinkowitz arbeitet in der Behinderten-Werkstatt Augsfeld in der Montagegruppe, fertigt Verpackungen für Automobil-Zulieferer und hilft bei einfacher Büro-Arbeit ("Ich habe schon stempeln dürfen"). An ihre Pferde denkt sie kaum noch - nur an Island-Pony "Sturmwind, von dem bin ich manchmal runtergefallen." Sie lacht. Und wird binnen Sekunden ernst, wenn sie über Ziele spricht: "Ich will noch lange Golf spielen. Aber ich will auch Schwächeren helfen."
Dass sie selbst von heute auf morgen zu den "Schwächeren" gehören könnte, ist ihr ob der Atemprobleme bewusst. Die Eltern haben ihr das Dachgeschoss des Hauses ausgebaut und notariell festschreiben lassen, dass nach deren Tod eine Begleitperson mit im Haus bleiben kann, solange Sarah lebt. Und eine eigene Familie? Da vergisst Sarah Rinkowitz gerne jeden Zeitbegriff, fällt dem Papa um den Hals und sagt: "Das ist meine Familie."