Valentin ist neun Jahre alt und besucht die Grundschule in seinem Heimatort Sulzfeld. "Ich hätte nie gedacht, dass er so schnell rechnen lernt", sagt seine Mutter Nina Wirth. Noch vor einigen Jahren hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass der Junge in einer Regelschule zurechtkommt. Denn der Zweitklässler wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Doch es kann funktionieren – wenn die Voraussetzungen stimmen. Läuft es gut, profitiert die ganze Klasse davon.
"Förderschule oder Regelschule?" Als Nina Wirth und ihr Mann Christian Hindemith vor mehr als zwei Jahren über diese Frage nachdachten, waren sie sich schnell einig: Ihr Sohn Valentin soll in eine ganz normale Schule gehen. Die Jahre zuvor war er bereits im örtlichen Kindergarten – und es hat aus ihrer Sicht hervorragend geklappt. Warum also sollte er nicht zusammen mit den anderen Kindern auf die Grundschule wechseln?
Seit elf Jahren ist das Recht auf Inklusion im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz verankert: Jedes Kind soll die Möglichkeit haben, auf eine Regelschule zu gehen – unabhängig von körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Die praktische Umsetzung klappt jedoch nicht immer reibungslos. "Oft müssen die Eltern dafür kämpfen", schildert Nina Wirth die Erfahrung vieler Familien. Im Fall von Valentin hatten sie und ihr Mann jedoch Glück: Als sie bei der Kitzinger St.-Hedwig-Grundschule, zu der die Außenstelle in ihrem Wohnort gehört, anfragten, stießen sie auf offene Ohren.
Runder Tisch bereitete die Inklusion vor
Als Inklusionsschule hat es sich die Grundschule auf die Fahnen geschrieben, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Schulalltag zu integrieren. "Aber ein Kind mit Down-Syndrom hatten wir bis dahin noch nicht", erzählt Schulleiterin Andrea Lorey. Also wurde erst einmal ein großer Runder Tisch mit Schulleitung, Eltern, Kindergarten, der künftigen Klassenlehrerin, den Schulbegleitern sowie dem Mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD) der Kitzinger Förderschule St. Martin einberufen.
Anschließend erarbeitete Klassenlehrerin Sigrid Wolf zusammen mit dem MSD für Valentin einen speziellen Förderplan. Zum einen orientiert sich dieser am regulären Lehrplan der Klasse. Zum anderen wurden individuelle Lerninhalte und Lernziele festgelegt. "Es ist so, als hätte man ein Kind aus einer anderen Jahrgangsstufe in der Klasse", erklärt Schulleiterin Lorey. In manchen Fächern, wie etwa Kunsterziehung, könne der Junge einfach mitmachen. In anderen, wie Mathe oder Deutsch, bekomme er seine eigenen, auf ihn zugeschnittenen Aufgaben.
Fester Schulbegleiter als Unterstützung ist unerlässlich
Neben der fachlichen Unterstützung durch den MSD ist auch eine feste Schulbegleitung unerlässlich. Sie ist im Unterricht stets mit dabei und unterstützt den Neunjährigen, wo immer es nötig ist. Außerdem hilft sie ihm an den drei Tagen, an denen er die Nachmittagsbetreuung der Offenen Ganztagsschule besucht, bei den Hausaufgaben. Ergänzt wird das Förderprogramm durch die Heilpädagogin der St.-Hedwig-Grundschule, die zwei Stunden pro Woche spezielle Übungen mit Valentin absolviert. Darüber hinaus unterstützt das Lehrerkollegium die Klassenlehrerin mit drei Inklusionsstunden.
Damit der gemeinsame Unterricht gelingt, muss die Klassenlehrerin bereit sein, sich auf die besondere Situation einzulassen. Neben Geduld und Einfühlungsvermögen sei zusätzliches Engagement unerlässlich, betont Schulleiterin Lorey. Die Lehrkraft müsse nicht nur Zeit für Gespräche mit dem Sonderpädagogischen Dienst und den Schulbegleitern einplanen. "Bei der Unterrichtsvorbereitung muss sie auch stets überlegen: Ist das, was wir morgen machen, auch für Valentin geeignet? Oder muss ich andere Arbeitsblätter für ihn bereitstellen?"
Dass sich die Mühe lohnt, davon sind Nina Wirth und Christian Hindemith überzeugt. "Es läuft fantastisch und übertrifft unsere Erwartungen", lautet ihr aktuelles Resümee. Mit Staunen haben die Eltern beobachtet, wie schnell ihr Sohn in der Schule Rechnen gelernt hat. Auch Lesen könne er inzwischen. "Er liest, schreibt und rechnet unglaublich gerne", freuen sie sich. Zwar sei es mit der Artikulation noch ein bisschen schwierig. Aber das Lesen habe sich positiv auf Valentins Sprache ausgewirkt, sagt die Mutter.
Für die Klassenkameraden gehört Valentin dazu
Dass der Neunjährige manches nicht ganz so gut kann oder etwas länger braucht, ist für seine Klassenkameraden kein Problem. "Valentin ist für die Kinder in der Klasse ein Schüler wie jeder andere. Sie wissen, wann er Hilfe braucht und wann sie ihm Zeit lassen müssen. Im Unterricht beweisen sie Geduld und Einfühlungsvermögen", lobt Schulleiterin Lorey die Mitschüler.
Auch außerhalb des Klassenzimmers ist der Junge integriert. Sein Vater konnte dies selbst beobachten: "Es war herzberührend zu sehen, wie unser Sohn auf dem Pausenhof mit den anderen Buben Fußball gespielt hat. Obwohl er nicht so schnell ist und nicht so gut schießen kann wie die anderen, haben sie ihn nicht ausgeschlossen. Er war einfach dabei."
Für Schulleiterin Lorey ist Valentin ein Beispiel, wie Inklusion gelingen kann. Läuft es gut, profitiere nicht nur das einzelne Kind, sondern die ganze Klasse davon. "Es macht die Mitschüler sensibel für Menschen mit Behinderung", meint sie. "Sie lernen, sich zurückzunehmen und Geduld zu haben. Das muss man auch im Leben lernen."
Allerdings sieht die Rektorin auch Grenzen: Sollten noch mehr Kinder mit erhöhtem Förderbedarf in Regelschulen unterrichtet werden, bräuchte es kleinere Klassen und deutlich mehr Personal, um jedes Kind optimal fördern zu können und eine Überforderung der Lehrkräfte zu verhindern, so lautet ihre Einschätzung.
Inklusion als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Die Eltern von Valentin empfinden den Schritt in die Regelschule für ihren Sohn als richtig. Mit ihrem Beispiel wollen sie Familien, die in einer ähnlichen Situation sind, Mut machen. "Wenn Eltern, Lehrer und Schule gewillt sind, es gemeinsam zu schaffen, dann kann das klappen", sind sie überzeugt.
Letztendlich geht es ihnen um Inklusion, um das Recht jedes Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Menschen wie Valentin sollten selbstverständlich dazu gehören – so wie auf dem Pausenhof, wenn er mit seinen Klassenkameraden kickt.