Die drei Berufsrichter und zwei Schöffen sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Sie sollen im Namen des Volkes eine Entscheidung treffen – und müssen doch Antworten auf Fragen schuldig bleiben, für die das Gesetzbuch allein keine Lösung hat. Warum tötete Abdirahman J. am 25. Juni 2021 in der Würzburger Innenstadt drei Frauen mit einem Messer und verletzte sechs weitere Menschen schwer? Warum hielt ihn niemand vorher auf? Und mit welcher Last müssen seine Opfer und ihre Angehörigen nun weiterleben?
Die Richter prüfen sorgfältig, was jetzt mit dem beschuldigten Geflüchteten aus Somalia geschieht. Lebenslänglich in Haft, ins Gefängnis oder in eine Klinik? Das Landgericht Würzburg zeigt mit anvisierten 27 Verhandlungstagen, wie ernst es diesen Auftrag auch im Dienst der Opfer nimmt.
Unverständnis über die angesetzte Dauer des Prozesses
Die lange Prozessdauer findet nicht überall Verständnis. Doch sie entkräftet den Vorwurf, vor Gericht komme der Blick auf die Opfer zu kurz. Die Kammer hat in den Verhandlungen seit April den richtigen Umgangston gefunden. Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster vergewissert sich jedes Mal fürsorglich, dass sich die Opfer nicht noch bedrängter fühlen und lässt Zeugen vor den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit abschirmen. Das ist durchaus nicht immer so Standard an deutschen Gerichten.
Verhandlungstage über fünf Monate hinweg? In etlichen Kommentaren auch zu den Berichten dieser Redaktion wird Unverständnis darüber geäußert. "Unnütz wie ein Kropf" sei die Verhandlung, der Beschuldigte gehöre gleich weggesperrt, die Richter sollten "buchstäblich kurzen Prozess machen" dürfen. Das spreche zwar für ein verständliches Maß an Zorn, sagen auch die Anwälte der Nebenkläger. Aber es zeige eben auch das mangelnde Wissen darüber, wie ein demokratischer Rechtsstaat funktioniert.
Dass die Tat exakt aufgearbeitet wird, ist wichtig. Weil drei Menschen gestorben sind und sich für etliche Opfer das Leben durch schwere Verletzungen und Traumata für immer veränderte. Eine Frau wird den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzen, weil das Messer des Täters ihr Rückenmark durchtrennte. Andere haben noch immer Albträume oder wiederkehrende Bilder im Kopf, wenn sie im Spiegel die Narben der Messerstiche sehen.
Rührende Momente in einem emotionalen wie ruhigen Verfahren
Der Prozess hat rührende Momente: Ein junger Soldat, der sich am 25. Juni 2021 dem Täter mutig in den Weg gestellt hatte, stutzt, als er nach seiner Aussage den Zeugenstand verlässt. Unter den Nebenklägern im Saal sieht er Chia Rabiei sitzen, der Schulter an Schulter mit ihm in jenen furchtbaren Minuten dem Messerstecher trotzte. Blicke suchen und finden sich: Stumm schlägt sich der Zeuge mitten im Gerichtssaal auf die Brust und zeigt dann mit gestrecktem Zeigefinger auf Rabiei – als wolle er andeuten: "Du hast das Herz am rechten Fleck!" Rabiei gibt die Geste stumm zurück – wie das geheime Zeichen einer Bruderschaft, die durch den Fall entstand.
Richter Thomas Schuster weiß das Eis zu brechen
Geschädigte befragt der Vorsitzende Richter mit viel Einfühlungsvermögen. Manchmal bricht Thomas Schuster das Eis schon, wenn die Zeuginnen und Zeugen zu Beginn ihrer Aussage personenbezogene Daten zu Protokoll geben. Nach ihrem Alter gefragt, müssen manche kurz überlegen. "Ändert sich jedes Jahr", scherzt Schuster dann. Einen nervös wirkenden Jugendlichen, der beim Angriff Opfer wurde, fragte der Richter nach seinem Lieblingsverein. "Bayern München", antwortet der Zeuge. "Meiner auch – aber das sagen wir hier besser nicht zu laut", raunt Schuster lächelnd. Schon wirkt der angespannte Zeuge viel gelöster.
Nur selten geht der Blick zur Anklagebank, wo der Beschuldigte Abdirahman J. fast verschwindet hinter seinen Anwälten und der Dolmetscherin. Zu Beginn des Prozesses schleppte er sich an seinen Platz, die Polizisten mussten ihn führen. Inzwischen geht er selbstständig, mit den kleinen Schritten, die die Fußfesseln erlauben.
Oft schaut der 32-Jährige starr geradeaus, blickt scheinbar ins Leere. Manchmal sind seine Augen zum Boden gerichtet. Als das Gericht die Videos der Überwachungskameras aus dem Kaufhaus Woolworth zeigt, die die Brutalität der Tat aufzeichneten, verbirgt er seinen Kopf in den Armen, als schäme er sich.
Als "wohltuend ruhig, professionell und dem Thema angemessen" empfinden Pflichtverteidiger Hanjo Schrepfer und sein Kollege Tilman Michler die Prozessatmosphäre. Dazu würden alle Beteiligten im Umgang miteinander beitragen. "Ich hatte befürchtet, dass es deutlich emotionaler wird", sagt der erfahrene Strafverteidiger Schrepfer – erleichtert darüber, dass auch die persönlichen Anfeindungen deutlich nachgelassen haben. Und dass das Gericht seine Fürsorgepflicht für die Opfer so ungewöhnlich offen zeige, empfinde die Verteidigung nicht als vorweggenommene Parteinahme – sondern als angemessen.
Auch ihr Mandant sei - nach seinen anfänglichen Befürchtungen - jetzt erleichtert, einen Rechtsstaat zu erleben, in dem er mit menschlichem Anstand behandelt werde, sagen Schrepfer und Michler. Dadurch, "dass er nicht angefeindet, beschimpft, bedroht wird", komme Abdirahman J. mit der Situation nun besser klar.
Der bisherige Prozessverlauf hat nach Einschätzung der Verteidiger nicht in allen Fällen, die in der Antragsschrift stehen, einen versuchten Mord bewiesen. Möglicherweise müsse der Vorwurf in einigen Fällen abgeschwächt werden, um keine Gründe für eine Revision zu liefern. Die Verteidiger rechnen mit einem "rechtlichen Hinweis" des Gerichts in diese Richtung.
Viele Plätze im Zuschauerraum bleiben inzwischen leer
Sachlich tritt auch Oberstaatsanwältin Judith Henkel von der Generalstaatsanwaltschaft München auf. Mit ihrer Antragsschrift hat sie den Rahmen für den Prozess geschaffen. Nur selten stellt sie in der Verhandlung eine Frage, immer in ruhigem Ton. Henkel hat in München schon Bombenbastler und Gruppenvergewaltiger in spektakulären Prozessen angeklagt, in denen es wild zuging. In Würzburg ist ihre Rolle: das Verfahren um die Messerattacke formal korrekt zu Ende zu bringen.
Das öffentliche Interesse hat nach dem Prozessauftakt deutlich nachgelassen. Hatten anfangs noch 30 Bürgerinnen und Bürger bei den Verhandlungen im hinteren Teil der Säle gesessen, bleiben inzwischen häufig alle Zuschauer-Plätze leer. Rund 30 Plätze sind für Journalistinnen und Journalisten vorgesehen. Doch meist sind davon nur drei oder vier belegt, die Medienkarawane ist weitergezogen zur nächsten Sensation.
Auch die Journalisten müssen sich an juristische Feinheiten gewöhnen: Es gibt keine Anklage, sondern eine Antragsschrift, der 32-Jährige auf der "Anklagebank" ist deshalb "nur" Beschuldigter. Gelegentlich rutscht selbst dem juristisch beschlagenen Vorsitzenden Schuster aus Versehen die falsche Bezeichnung "Angeklagter" heraus.
Eventuell weniger Prozesstage als anberaumt - Ende im Juli?
Dass der Täter unbefristet in eine Klinik kommt, wenn die Gutachter das Gericht überzeugt haben, scheint so gut wie sicher. Am jüngsten, dem achten Verhandlungstag hat der Vorsitzende bereits angekündigt: Einige der 27 Prozesstage bis zum 23. September seien als zeitlicher Puffer gedacht gewesen. Für den Fall, dass Zeugenaussagen länger dauern als geplant oder Zeugen zum geplanten Termin nicht kommen können. Doch bisher liegt das Gericht gut im Zeitplan.
So deutete Schuster an, dass die Puffertage gar nicht gebraucht werden und der Prozess schon früher endet – noch im Juli, statt Ende September. Traurig wäre darüber vermutlich niemand.
Egal wie man sich entscheidet, er wird uns noch viel Geld kosten. Warum kann man solche Täter nicht in deren Heimat schicken? Die haben dort doch sicher auch Gefängnisse in denen er einsitzen kann.
Warum entsteht immer wieder der Eindruck, dass hier die unbeteiligten Bürger, Leser und Menschen ohne juristische Vorkenntnisse auf der Anklagebank der Mainpost sitzen!
Richtig ist jedenfalls, dass das Ergebnis dieses Prozesses - was den Beschuldigten angeht - tatsächlich feststeht: dauerhafte Unterbringung nach § 63 StGB.
Ob ihm das bewusst ist, darf bezweifelt werden. Und vielleicht ist er nicht mehr so "gelöst", wenn er dieses Ziel dieses ach so lauschigen, "Maßstäbe" (?) setzenden Prozesses auch mitbekommt.
Der "Zorn", dass die Taten nicht verhindert wurden, obwohl die Behörden die Situation des Mannes kennen mussten, ist berechtigt - und weiter kein Thema.....
Es ist ja schön, dass hier alles so "problemlos" verläuft, sich alles so prima verstehen und auch der Beschuldigte sich "wohlfühlt" - ob er allerdings versteht, wie sein weiteres Leben aussieht und dass er nie wieder frei sein wird, nachdem ihm zuvor jede Hilfe verweigert und er seiner Psychose/Störungen wurde überlassen wurde, darf bezweifelt werden!
Schön auch, dass der Vorsitzende, dem die Mainpost hier seit Wochen Honig um den Bart schmiert, Scherze macht und die Atmosphäre "auflockert"....
Dieser Prozess setzt allenfalls "Maßstäbe" - zumal das Urteil tatsächlich bereits "feststeht" - was das Ausblenden von Fehlern, Versäumnissen und Aufklärung angeht, die diese Taten ermöglichten anstatt sie zu verhindern. Allen voran die Staatsanwaltschaft Würzburg!
Werden diese Fehler noch Thema oder ist das Klima dafür zu lauschig...?