Eine Kamera folgt Chia Rabiei bis in den Gerichtssaal. Der Zeuge muss an dem Beschuldigten aus Somalia vorbei, der ihm vor elf Monaten am Barbarossaplatz in wilder Wut sein Messer in den Bauch rammen wollte. Der Gegensatz könnte kaum krasser sein: Der beschuldigte Abdirahman J. kauert mit gesenktem Kopf und leerem Blick auf der Anklagebank. Rabiei betritt an diesem Dienstagvormittag als Nebenkläger und Zeuge mit festem Schritt die Mehrzweckhalle in Estenfeld (Lkr. Würzburg), in der das Gericht tagt. Und er blickt immer wieder dem Beschuldigten direkt in die Augen, dem er an jenem Abend des 25. Juni 2021 zunächst nur seinen Mut und seinen Rucksack entgegenhalten konnte.
Andere filmten, der Flüchtling trat dem Mann mit dem Messer entgegen
Nicht viele hätten an jenem Abend so gehandelt wie Chia Rabiei. Menschen rannten um ihr Leben. Manche filmten per Handy aus sicherer Entfernung unfassbare Szenen: Wie ein schmaler dunkelhäutiger Mann mit gezücktem Messer Passanten über den Platz verfolgt.
Rabiei, der Flüchtling aus dem Iran, ist nicht der einzige, der an jenem Abend Mut zeigte: Eine Angestellte bei Woolworth warf sich schützend über ein elfjähriges Mädchen, dessen Mutter gerade getötet worden war – und wurde selbst von Messerstichen getroffen. Ein Kaufhausdetektiv warf in hilfloser Verzweiflung mit Gläsern nach dem Täter, um ihn dazu zu bringen, mit dem Morden aufzuhören. Und ein Soldat aus Volkach trieb den Mann mit dem mordenden Messer schließlich in die Enge, bis die Polizei kam.
Landgericht würdigt mit dem öffentlichen Verfahren das beispielhafte Verhalten
Es ist dem Gericht wichtig, solch beispielhaftes Handeln in dem Verfahren öffentlich zu machen. Das ist - jenseits der juristischen Aufarbeitung - vielleicht die wahre Rechtfertigung für diesen Mammutprozess, bei dem 27 Verhandlungstage über fünf Monate hinweg angesetzt sind. Menschen wie Rabiei wendeten das Blatt an jenem Abend.
Videos zeigen, wie er Haken schlug wie ein Hase. Wenn der irre Verfolger atemlos stockte, stellte sich Rabiei wieder in Kampfposition. "Ich habe gesehen, wie der Täter auf einen sitzenden Mann eingestochen hat, da musste ich etwas machen", sagt er vor Gericht.
Der Geflüchtete wurde zum Held in den Medien
Rabiei ist jetzt bekannt wider Willen. Er hat kaum noch Ruhe, seit sein freundliches Gesicht mit dem sympathischen Lächeln überall in den Medien war. Wildfremde Menschen wollen ihm noch Monate später die Hand drücken oder ein Selfie mit ihm machen, wenn er in Würzburg unterwegs ist. Über seine Auszeichnung sagt Rabiei: "Ich danke Herrn Söder, aber ich habe das nicht getan, um eine Medaille zu bekommen.“
Das Wort Held hört er nicht gerne, aber er betont, dass es ihm immer wichtig war, für sich selbst zu sorgen - auch als Flüchtling. Er habe in der Küche der Gemeinschaftsunterkunft mitgearbeitet, weil ihm Untätigkeit zuwider sei, sagt er. Eine Weile habe er abends am Mainufer Leergut eingesammelt und am Pfandautomaten im Supermarkt eingelöst. Nun arbeitet er in einem Restaurant.
Nicht wenige in Würzburg fordern, ihn vorzeitig einzubürgern für sein vorbildliches Verhalten. Aber da ist die deutsche Bürokratie sperrig. Anwälte zitieren eine Kollegin am Rand des Prozesses mit dem furchtbar klingenden Satz: "Integrationsleistungen von Personen spielen im Asylverfahren regelmäßig keine Rolle."
Neue Arbeit, eigene Wohnung - "selbst besorgt"
Die Dankbarkeit Bayerns hält sich offenbar in Grenzen. Angesprochen auf das Thema wirkt Rabiei nicht annähernd so ruhig wie im Zeugenstand, wo er konzentriert Auskunft gibt. Was nützt ihm die silberne Rettungsmedaille des Freistaates von Ministerpräsident Markus Söder? Er habe sich selbst überlegen müssen, wie er nach München zur Verleihung kommt, und selbst für die Übernachtung sorgen müssen – auf eigene Kosten.
Die Arbeit, die er jetzt hat, "habe ich mir selbst besorgt". Aus dem Flüchtlingsheim wird der Kurde jetzt ausziehen können, ab nächstem Monat hat er endlich eine Wohnung - auch "selbst besorgt". Und sein Antrag auf dauerhaften Aufenthalt? Der "Held von Würzburg", der gar kein Held sein will, zuckt nur hilflos mit den Schultern.
Ich hatte übrigens auch einen guten Bekannten, der eine Verdienstmedaille vom MP bekam. Nicht im Traum hätte der sich Fahrtkosten und Unterkunft bezahlen lassen.
Nur die Info, dass man ungeachtet von eigener wirtschaftlicher Situation und Status "auf eigene Kosten".... zur Verleihung von Medaillen in München kommen muss und auch für die Übernachtung selbst zahlt, war so wohl nicht bekannt, passt aber ins Bild!
Gebt dem Mann endlich Sicherheit und bewilligt diesen Antrag. Das ist ja peinlich.....