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Würzburg
Wann wird Alkohol zum Problem? 4 Menschen aus Würzburg sprechen über ihr Abrutschen in die Sucht
Wie viel Alkohol ist okay und ab wann wird der Genuss problematisch? Vier alkoholkranke Menschen aus Würzburg schildern ganz offen ihren Weg in die Abhängigkeit.
Fängt das Alkoholproblem schon beim Feierabendbier oder dem Glas Wein am Abend an? Vier Menschen aus Würzburg geben ehrliche Einblicke in ihre Sucht.
Foto: Thomas Obermeier, Silvia Gralla | Fängt das Alkoholproblem schon beim Feierabendbier oder dem Glas Wein am Abend an? Vier Menschen aus Würzburg geben ehrliche Einblicke in ihre Sucht.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 16.11.2024 02:35 Uhr

Alkoholkonsum ist in der Gesellschaft weit verbreitet und bei vielen Gelegenheiten selbstverständlich oder akzeptiert. Aber wann fängt der Konsum an, zum Problem zu werden? Schon beim Feierabendbier oder beim Glas Wein am Abend?

Ob ein Mensch eine Abhängigkeit von Alkohol entwickelt, hängt Expertinnen und Experten zufolge von verschiedenen psychischen, sozialen, körperlichen Faktoren ab. Anzeichen der Alkoholsucht sind unter anderem das starke Verlangen nach Alkohol, Schwierigkeiten den Konsum zu kontrollieren und eine Toleranzentwicklung. Der Weg in die Sucht ist individuell und lässt sich nur schwer verallgemeinern – auch deshalb fällt es Abhängigen oft schwer, ihr Problem zu erkennen und sich dieses einzugestehen.

Hier berichten vier trockene Alkoholikerinnen und Alkoholiker aus der Region Würzburg, die keinerlei Alkoholika mehr trinken, über ihre Sucht.  

1. Sonja Hofmann aus Waldbüttelbrunn: "Der Wein am Abend hat mich die Sorgen vergessen lassen"

Sonja Hoffmann (44) ist seit fünf Jahren trockene Alkoholikerin. Am 12. Februar 2019 hat sie das letzte Mal Alkohol getrunken. 
Foto: Thomas Obermeier | Sonja Hoffmann (44) ist seit fünf Jahren trockene Alkoholikerin. Am 12. Februar 2019 hat sie das letzte Mal Alkohol getrunken. 

"Bei mir hat alles ganz schleichend angefangen und dann ging es plötzlich sehr schnell abwärts. In der Jugend war ich eine ganz normale Party-Trinkerin. Aber vor ein paar Jahren habe ich angefangen, nach der Arbeit immer mal ein Glas Wein zur Entspannung zu trinken – daraus wurden irgendwann zwei und dann drei. Mein Mann hat mich irgendwann auch darauf angesprochen, aber ich habe das einfach abgetan.

Dann ist mein Mann 2017 ein halbes Jahr beruflich nach Italien gegangen. Ich hatte viel Stress auf der neuen Arbeitsstelle, meine Schwiegermutter lag im Krankenhaus und mein Vater hatte einen Krebsrückfall. Ich war von morgens acht Uhr bis abends neun Uhr nur unterwegs. Der Wein am Abend hat mich die Sorgen vergessen und gut schlafen lassen. Mein Mann war nicht da, also habe ich abends so viel getrunken, wie ich wollte. Das fing dann auch schon mal tagsüber auf der Arbeit im Restaurant an. So hat sich das gesteigert.

Aber auch als mein Mann wieder zurück war, ging das Trinken weiter – nur habe ich es dann heimlich gemacht und die Flaschen versteckt. In der Öffentlichkeit habe ich immer nur so viel getrunken, wie die anderen, damit niemand was merkt. Bis mein Mann die Flaschen im Schlafzimmerschrank gefunden hat, da wäre ich am liebsten im Boden versunken.

Geändert hat sich alles Silvester 2018/2019. Wir waren im Urlaub, ich konnte den Alkohol da auch nicht mehr verstecken und hab beschlossen aufzuhören. Irgendwann habe ich angefangen zu zittern, Schweißausbrüche bekommen und bin ins Alkoholdelier gefallen. Eine halbe Stunde habe ich halluziniert und konnte mein Handeln nicht mehr beeinflussen. Da wurde mir klar, dass ich so nicht mehr weitermachen konnte und wollte. Mithilfe der Langzeittherapie habe ich den Weg in die Abstinenz geschafft."

2. Chris Uhlig aus Würzburg: "Irgendwann habe ich nach dem ersten Bier nicht mehr aufgehört"

Chris Uhlig (50) ist seit sieben Monaten trockener Alkoholiker. Er hat am 26. April 2024 das letzte Mal Alkohol getrunken. 
Foto: Thomas Obermeier | Chris Uhlig (50) ist seit sieben Monaten trockener Alkoholiker. Er hat am 26. April 2024 das letzte Mal Alkohol getrunken. 

"Bis ich mir überhaupt eingestanden habe, dass ich ein Alkoholproblem habe, hat es Jahre gedauert – obwohl die Leute mich lang vorher darauf angesprochen hatten. Das erste Mal getrunken habe ich mit zwölf. In der Jugend und während der Lehre hatte ich aber nie ein Problem. So richtig angefangen hat es erst mit 20. Das komische ist, dass in meinem Leben damals alles in Ordnung war. 

Ich war in einer Beziehung, gerade Vater geworden und habe Abends immer mal ein Feierabendbier getrunken. Das wurde zur Regelmäßigkeit und irgendwann habe ich nach dem ersten Bier nicht mehr aufgehört. Über die Jahre wurde das immer schlimmer, bis ich angefangen habe, mich montags krankzumelden, weil ich so fertig vom Wochenende war. Mein Chef hat mich irgendwann angesprochen. Ab da habe ich auch versucht, abends weniger zu trinken und Alkoholpausen zu machen. 

Das hat aber nicht lang gehalten und irgendwann war die Stimme in meinem Kopf, die gesagt hat: 'Komm, jetzt wissen es doch eh schon alle. Dann kannst du jetzt auch richtig Gas geben.' Irgendwann war dann der Job weg, die Freundin weg und ich habe das Haus nur noch verlassen, um Alkohol zu kaufen.

In einem hellen Moment habe ich dann den Entschluss zum Entzug gefasst. Seit dem habe ich acht Entgiftungen und drei Langzeittherapien hinter mir."

3. Georg Reck aus Würzburg: "Irgendwann habe ich morgens den ersten Alkohol gebraucht"

Georg Reck (66) ist seit elf Jahren trockener Alkoholiker. Er hat im September 2013 das letzte Mal Alkohol getrunken.
Foto: Silvia Gralla | Georg Reck (66) ist seit elf Jahren trockener Alkoholiker. Er hat im September 2013 das letzte Mal Alkohol getrunken.

"Gesteigert hat sich mein Alkoholkonsum erst über die Jahrzehnte. Das macht es so gefährlich, weil man lang glauben kann, dass man gar kein Problem hat. Damals bei der Bundeswehr, da habe ich immer mal einen drauf gemacht, aber dazwischen auch wochenlang nichts getrunken. Später kam dann das Feierabendbier dazu. Über die Jahre hat sich das weiter gesteigert. Da habe ich schon gemerkt: Wenn ich trinke, gehts mir besser.

Dann kam eine Zeit, wo die Belastung auf der Arbeit immer mehr wurde, ich viele Extraschichten geschoben habe und wir unser Haus gebaut haben. Also habe ich immer mehr getrunken, um mit dem Druck klarzukommen. Bis ich irgendwann morgens den ersten Alkohol gebraucht habe, um überhaupt zur Arbeit zu gehen. 

Vor meiner Frau habe ich das Trinken immer versteckt und bin heimlich in den Keller gegangen. Dort waren überall die leeren Flaschen versteckt. Klar, habe ich mir auch immer mal vorgenommen eine Trinkpause zu machen. Eine Zeitlang hat das auch super geklappt und ich war so stolz auf mich, dass ich dachte: 'Jetzt hast du es so lang geschafft, jetzt kannst du mal wieder was trinken.' Das hat sich über die Jahre immer weiter gesteigert.

Bis ich irgendwann die Scheidungspapiere von meiner Frau in den Händen hielt. Das hat mir die Augen geöffnet und ich habe eingesehen, dass ich etwas ändern muss."

4. Bärbel Puls aus Zell am Main: "Ich habe mir alles kaputt getrunken"

Bärbel Puls(66)  ist seit 18 Jahren trockene Alkoholikerin. Sie hat am 31. Dezember 2006 das letzte Mal Alkohol getrunken.
Foto: Silvia Gralla | Bärbel Puls(66)  ist seit 18 Jahren trockene Alkoholikerin. Sie hat am 31. Dezember 2006 das letzte Mal Alkohol getrunken.

"Ich habe damals schon mit 14 Jahren in der Schule immer mal etwas mit Freunden getrunken. Ich hatte zwar liebevolle Eltern, aber keine einfache Kindheit. Ich muss dazu sagen, dass ich in meiner Kindheit Missbrauch erfahren habe und als ich damals meinen ersten Mann kennengelernt habe, konnte ich mich deshalb auch häufig nicht von ihm anfassen lassen. Es sei denn, ich hatte getrunken, dann war mir alles egal. Das habe ich schnell gemerkt und der Alkohol ist mein 'Hilfsmittel' geworden.

Hinzu kam, dass wir in der Familie einige Probleme hatten und der Alkohol hat mir geholfen, mit allem klarzukommen – dachte ich. Mit 24 Jahren hat mein Mann mir gesagt, er lässt sich scheiden, wenn ich weiter trinke und ich habe das erste Mal eine Therapie gemacht. Zwei Jahre später habe ich wieder angefangen zu trinken. Bis ich wieder ganz unten war. Ich habe mir alles kaputt getrunken. Selbst als mein Sohn vor mir stand und mich gebeten hat aufzuhören, war es mir egal.

Das ging so bis 2006. Da ging es mir so schlecht, ich habe so viel getrunken und so stark gezittert, dass ich mir nicht mal mehr etwas einschenken konnte. Ich habe mich selbst gerochen und vor mir geekelt. Das war so schlimm, dass ich nachmittags im Bett lag und gebetet habe, dass Gott mir hilft aufzuhören, weil ich sonst sterbe. Dann habe ich beschlossen, trocken zu werden."

 
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Kommentare
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  • Monika Schreiber
    Einfach nur Respekt so offen darüber zu sprechen
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  • Klaus B. Fiederling
    es ist gut, wenn man selbst erkennt, die sogenannte "Reisleine" zu ziehen. Ganz besonders bei Alkohol. Wieviele Familien sind da schon zerstört und Kinder geschlagen, mißhandelt worden, nur weil der eine Partner, egal ob Mann oder Frau in diese Sucht hineinageraten ist. Wenn man 2 Bier pro Tag trinkt ist dies schon eine Sucht, hatte mal ein bekannter Arzt von mir gesagt. Recht hat er. Man braucht keinen Alkohol um "glücklich" zu sein. Der Nacheffekt kommt eh am nächsten Morgen wenn man mit nem mortz Schädelbrummen aufsteht.
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  • Felix Habermann
    An alle vier in diesem Bericht ! ! !
    Hatte auch jahrzehntelang Probleme
    mit dem Trinken von viel zu viel Alkohol.
    Jetzt ist Schluß mit lustig.
    Seit Anfang Juli diesen Jahres ist es vorbei.
    Und es geht auch so sehr gut.
    Klaus Habermann, Estenfeld ! ! !
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  • Stefan Krug
    viele sind abhängig
    und merken es nicht mal...

    bis man sie darauf anspricht

    ich trink keinen Alkohol und muss mich auch rechtfertigen
    komm stell dich halt nicht so an, Spaßbremse usw...
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  • Ulrike Schneider
    Solche Berichte sind wichtig. Es sollte viel mehr davon geben und nicht "Wie bewässert man am besten einen Weinberg". Wein ist Alkohol und genau der verursacht Sucht und Probleme.
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  • Anton Müller
    Sehr mutig von den Betroffenen hier mit Bild, Namen und Ortsangabe ihre Geschichte zu schildern. In meinem Umfeld gibt es auch eine betroffene Person, bei der ich (fast) alle Hoffnung verloren habe. Schlimm mitanzusehen, wie sich die Menschen unter dem Einfluß der Droge verändern...

    @Redaktion: Danke für solche Themen. Sehr schön auch das Interview mit dem Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens vor kurzem. Das lässt mich über die ausufernde Sportberichterstattung hinwegsehen... 😉
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