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Würzburg
Ritueller Missbrauch: Konzepte des Teufels in Kinderheimen?
Jörg Jaegers ist überzeugt, dass es rituellen Missbrauch gibt. Der Therapeut arbeitet mit Betroffenen, die sagen, sie seien von Priestern und Schwestern missbraucht worden.
In Kinderheimen soll es rituellen Missbrauch gegeben haben. Dieser Vorwurf wird auch den Würzburger Erlöserschwestern gemacht.
Foto: sam thomas | In Kinderheimen soll es rituellen Missbrauch gegeben haben. Dieser Vorwurf wird auch den Würzburger Erlöserschwestern gemacht.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:35 Uhr

Der gebürtige Aschaffenburger Jörg Jaegers arbeitet in Mainz als selbständiger Therapeut mit traumatisierten Menschen – vor allem mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs. Der Experte plant derzeit ein Buchprojekt und hat bereits vor Jahren bei einem Besuch in Würzburg über seine Arbeit mit Betroffenen gesprochen. Aufgrund seiner Erfahrungen als Heilpraktiker in Psychotherapie ist er überzeugt: Es gibt Menschen, deren Traumatisierung auf rituellem Missbrauch beruht. Dieser Vorwurf wird auch den Erlöserschwestern in Würzburg gemacht, die bis in die 1990-er Jahre in der Wickenmayerschen Kinderpflege Mädchen und Jungen betreut haben. Dass es rituellen Missbrauch gibt, ist jedoch umstritten.

Im Gespräch erzählt der 61-Jährige, was ihm Betroffene von ihrem Leidensweg berichtet haben, etwa im früheren Hänsel-und-Gretel-Heim in Oberammergau. Kinder wurden dort von den Niederbronner Schwestern betreut, die auch in Speyer tätig waren. Sie sind durch ihre gemeinsame Gründerin Elisabeth Maria Eppinger mit den Würzburger Erlöserschwestern verbunden. Jaegers geht von einem Netzwerk zwischen Schwestern und Geistlichen aus.

Frage: Herr Jaegers, Sie vertreten die Auffassung: Es gibt rituellen Missbrauch. Skeptiker sagen: Dafür gibt es keine Belege.

Jörg Jaegers: Es gibt eindeutig rituellen Missbrauch!

Woran machen Sie das fest?

Jaegers: Es gibt verschiedene Definitionen, ich würde sagen: Jeder sexuelle Missbrauch, der in wiederholter Weise nach einem bestimmten Muster und in Verbindung mit bestimmten Ritualen einhergeht, ist ritueller Art.

Welche Rituale sind das?

Jaegers: Ein Beispiel: Ein Mädchen wird in einen Raum geführt. Dort stehen schwarz gekleidete Männer mit Strumpfmaske über dem Kopf. Das Mädchen muss sich auf einen Tisch legen, wird festgebunden und darf keinen Ton von sich geben. Dann werden bestimmte Dinge gesagt. Das können Gebete sein, aber auch andere Sprüche. Und dann wird das Kind einer bestimmten Abfolge entsprechend sexuell missbraucht – auch mit Gegenständen.

Wer erzählt Ihnen das?

Jaegers: Das sind die Berichte von Betroffenen. Mit der Nutzung des Konzeptes des Teufels wurden die ehemaligen Kinder des Hänsel-und-Gretel-Heims in Oberammergau oder des Heims in Feldafing indoktriniert. Dort soll der Gemeindepfarrer Kinder missbraucht haben – im Heim und in der Sakristei. Die Betroffenen, die ich betreue, schildern verschiedenste Szenarien und wurden systematisch für solche Missbrauchsformen abgerichtet.

Wie geschieht das?

Jaegers: Die Kinder wurden regelrecht programmiert. Es wurde ihnen immer wieder Schmerz zugefügt, sodass sie in einen Schockzustand geraten. Es wurden zum Teil Drogen eingesetzt, sodass sie alles nur in einem Trance-Zustand erlebten. Sie wurden nicht als Menschen behandelt, sondern zu einem Etwas entwertet.

Aber nicht alle Kinder in Heimen wurden missbraucht.

Jaegers: Das betraf auch nur Kinder, die schutzlos waren, also ohne Verwandte, und die nie oder kaum Besuch hatten. Diese Kinder sind extrem bedürftig und leicht zu manipulieren. Für Täter war es leicht, diese Opfer für perfide Sachen abzurichten und für ihre Zwecke auszubeuten.

Es gibt auch Vorwürfe gegen Frauen.

Jaegers: Das ist immer noch ein Tabuthema. Aber Betroffene erzählen von Ordensschwestern, die sie ebenso missbraucht hätten wie Mönche und Priester. Und oft seien sie gemeinsam daran beteiligt gewesen. Oder von Schwestern, die es wussten und billigten.

Der gebürtige Aschaffenburger Jörg Jaegers arbeitet in Mainz als selbständiger Therapeut mit traumatisierten Menschen.   
Foto: Jaegers | Der gebürtige Aschaffenburger Jörg Jaegers arbeitet in Mainz als selbständiger Therapeut mit traumatisierten Menschen.   
Mit wie vielen Menschen mit ritueller Missbrauchserfahrung hatten sie bislang zu tun?

Jaegers: In meiner langjährigen Laufbahn hatte ich etwa mit zehn Betroffenen zu tun. Die Begleitung ist sehr aufwändig. Man muss genau wissen, was man wann wie überhaupt ansprechen kann. Denn auch Gefühle können programmiert sein. Ebenso Gedanken oder Handlungen.

Woran erkennen Sie, dass Menschen womöglich rituell missbraucht wurden?

Jaegers: Diese Menschen sind sehr stark dissoziiert. Es gibt starke Abspaltungen. Therapeuten müssen ein Bewusstsein für dieses Thema haben und wissen, welche Implikationen ritueller Missbrauch hat, also wie sehr jemand von sich selbst entfremdet werden kann.

Was würden Sie Skeptikern sagen, die bezweifeln, dass es rituellen Missbrauch gibt und vielmehr davon ausgehen, dass es "False Memory" ist, eine falsche Erinnerung.

Jaegers: Als Therapeut kann ich nicht wissen, ob das, was der Klient mir sagt, wahr ist oder nicht. Ich kann das authentisch finden oder nicht. Für mich ist das Entscheidende, wenn ich mit Menschen traumatische Dinge aufarbeite, dann muss ich in seiner gelebten Wirklichkeit etwas verändern. Ich muss ihm die Möglichkeit geben, in einem neuen Selbstverständnis Dinge anzugehen, die vorher gar nicht möglich waren. Beispielsweise, wenn sich jemand immer einen Partner gewünscht hat und das bislang nicht ging. Solche nachhaltigen Zugänge zu einer neuen Lebensweise, zu neuem Verhalten oder Gestaltungsmöglichkeiten, die vorher nicht da waren, so etwas ist nur möglich, wenn ich Wahrheit bewege. Wenn ich nur Illusionen berühre, also 'False Memory', dann würde das nicht stattfinden. Ich kann keine nachhaltige Veränderung im Leben bewirken, indem ich eingebildete Dinge bewege. Das funktioniert nicht.

Vielen Betroffenen wird nach wie vor nicht geglaubt.

Jaegers: Viele wurden sogar zu Schwachsinnigen erklärt und auch als solche behandelt und so in eine Ohnmachtssituation hineingetrieben. Deshalb gaben viele auf, haben sich umgebracht oder landeten in der Kriminalität.

Arbeiten Sie mit Missbrauchsbetroffenen der Wickenmayerschen Kinderpflege in Würzburg?

Jaegers: Nein, mit den beiden Würzburger Betroffenen stehe ich nur in losem Kontakt.

Gehen Sie auch von einem Netzwerk aus – also Verbindungen von Würzburg nach Oberammergau oder Speyer.

Jaegers: Es gibt Betroffene aus Oberammergau oder Speyer, die erst mal gar nichts miteinander zu tun hatten, die aber sagen, dass sie von den gleichen Nonnen missbraucht wurden. Ob es Verbindungen von Würzburger Heimkindern nach Oberammergau gibt, muss noch verifiziert werden. Es gibt aber Hinweise aus dem Betroffenenkreis.

 
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  • ergo-oetken
    "Walters" benennt ein Schweinfurter Heim, was nicht bedeutet, dass es katholisch sein muss. Das evangelische Kinderheim Marienthal in Schweinfurt existiert laut dessen Homepage seit 1852. In diesen Einrichtungen arbeiteten Diakonissen und Diakone.
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  • engert.andreas@gmx.de
    Das mag sein - aber was hat das mit den Erlöserschwestern zu tun?
    Darum geht es hier doch schließlich!
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  • 2186583
    Es kommt mir vor, dass solange in einer Richtung geredet, vermutet und gesprochen wird, bis schließlich die "Betroffenen" auch das sagen, was man hören möchte.
    Es sollte doch so laufen, dass nach genauen juristischen Regeln alle Fälle aufgenommen und beurteilt werden. Ebenso muss den "Täternj", also den Beschuldigten erlaubt sein alle - auch juristische Möglichkeiten - zu ergreifen, um sich selbst verteidigen zu können.
    Beschuldigte werden einer Art Schweigegelübde unterworfen, während "Opfer" alle Möglichkeiten - auch alle Medien - ergreifen können, um sich und ihre Meinung nach außen zu tragen. Zu diesem >Verhalten tragen Medien bei und wollen es wohl auch im Sinne der für sie bezahlt machenden Meinungsäußerung. Das Gesamt des Kindesmissbrauches das bei ca. 14.000 Fällen pro Jahr liegt und damit jede Vorstellungskraft sprengt wird seitens der der Medien nur sehr gering wahrgenommen. Bleibt die Frage nach dem Warum???
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  • ergo-oetken
    Die vorgebrachten massiven Sexualstraftaten sind leider längst verjährt. Weshalb eine andere Form der Aufklärung, Aufarbeitung und Entschädigung gefunden werden muss, als eine durch staatliche Gerichte.
    Zu den Zahlen: es werden pro Jahr ca. 13 ooo Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche polizeilich angezeigt und verfolgt. Die bilden sich in der Polizeilichen Kriminalstatistik ab und werden Hellfeld genannt. Das Dunkelfeld ist um ein Vielfaches höher. In Deutschland leben laut Dunkelfeldrechnungen 1 Million Kinder und Jugendliche, die im strafrechtlichen Sinne Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind, viele davon werden fortwährend sexuell missbraucht. Die Dunkelfeldraten unterlagen über Jahrzehnte keinen großen Schwankungen. Insofern ist jede 8. erwachsene Person in unserem Land ein Missbrauchsopfer (knapp 13 %).
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  • ergo-oetken
    Rituelle Gewalt ist nichts Anderes als kultisch verbrämte, gemeinsam begangene sadistische Sexualgewalt gegen Menschen. Oft spielt die Herstellung von Missbrauchsabbildungen (Kinderpornografie) und Gewaltpornografie sowie der Handel mit den Opfern eine Rolle. Die Rituale bilden einen Sexualfetisch, die sich je nach Milieu der TäterInnengruppe unterscheiden. Katholische Priester und Ordensfrauen nutzen andere als TäterInnen mit rechtsradikalem Hintergrund oder welche, die aus anderen Kulturkreisen stammen.
    2018 erstellte ein Fachkreis im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Stellungnahme, die unter dem Titel "Expertise zu sexualisierter Gewalt in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen" frei im Netz abgerufen werden kann.
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  • ergo-oetken
    Kinderhandel zum Zwecke der sex. Ausbeutung ist relativ verbreitet und wurde selbstverständlich auch früher schon betrieben. Oft ist es nur eine Frage der Gelegenheit, ob jemand, der darauf aus ist, sich an Kindern und v.a. Jugendlichen zu vergehen, zum Täter, zur Täterin wird oder nicht. Und für Kleriker und Ordensfrauen herrschten dafür in den Jahrzehnten nach Ende des WK II ideale Bedingungen.
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  • waldemarthurn@freenet.de
    Mein Schwager war in einem Schweinfurter heim und wurde von einer Schwester oft geschlagen er hat heute mit 65 immer noch Ängste.
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  • engert.andreas@gmx.de
    Es gibt und gar in Schweinfurt NIE ein katholisches Kinderheim!
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  • sigrid.weissenberger@gmx.de
    Wie schrecklich und grausam können Menschen sein?
    Und das Ganze im Namen der Kirche.
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  • simonhard
    Sie glauben also, daß die Peiniger auf Anweisung der Kirche handelten. War das eine Anweisung des Bischofs? Oder sogar des Papstes?
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  • ergo-oetken
    Die VerfasserInnen der MHG-Studie, die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz verfasst wurde, stellten folgendes fest: "„... bleibt festzustellen, dass mit fast 10 % ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Beschuldigten in höherer Verantwortung des kirchlichen Dienstes stand.“
    Abschlussbericht, Abschnitt „Beschuldigte mit höherem Kirchenamt bei Ersttat – Diskussion“ S. 274)
    D.h. wir sollten bei in der Hierarchie aufgestiegenen Klerikern mit einer erhöhten Rate an Missbrauchstätern rechnen. Es werden auch solche darunter sein, die es bevorzugen, ihre sadistische Sexualorientierung in der Gruppe in Form ritueller Gewalthandlungen auszuleben.
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  • ergo-oetken
    Im Netz wurden auch Vorwürfe des sex. Missbrauchs von Jungen und Jugendlichen gegen einen Papst erhoben, der dem Bistum Würzburg eng verbunden ist. Auch ein Papst ist immer nur ein Priester. Und unter denen beträgt die in Untersuchungsberichten ermittelte Rate an Tätern 4- 7 %.
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  • ergo-oetken
    Die Berichte über sex. Missbrauch, v.a. aber die oft sehr grausame Kinderpornografie im Netz zeigen uns, das das menschliche Sexualverhalten auch sehr böse und strafbare Seiten hat. Und die Aufklärung der in kirchlichen Kontexten verübten Missbrauchstaten offenbart, wie wenig Kirchen von anderen gesellschaftlichen Gruppen abweichen.
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