Die strahlende Sonne beleuchtet Menschen, die scheinbar glücklich sind. Pärchen tanzen miteinander, ein Akkordeonspieler greift in die Tasten, ein Geiger spielt eine fröhliche Melodie. Männer lehnen entspannt am Geländer, im Hintergrund sind Bäume des Ringparks und schemenhafte Mauern der Festung zu sehen. Einer der tanzenden Männer hat einen Degen umfasst. Ein paar Tage vorher hätte ihm diese Geste das Leben gekostet. Denn: Der Mann mit dem Degen ist ein ehemaliger Zwangsarbeiter und für die sah die Würzburger Gestapo strengste Strafen vor, wenn einer auch nur den geringsten Widerstand leistete. Das Foto täuscht also: Es zeigt Männer und Frauen, die Schlimmstes hinter sich haben.
In Würzburgs Ruinen herrschten schon vor Kriegsende die Amerikaner
Aufgenommen hat das Bild am 21. April 1945, einem sonnigen Samstag, der Fotograf einer amerikanischen Nachrichtenagentur, die es weltweit verbreitete. Der Zweite Weltkrieg sollte noch fast drei Wochen dauern, aber in den Ruinen Würzburgs herrschten seit dem 6. April die Amerikaner, die die fanatisch verteidigte Trümmerwüste in dreitägigem Kampf erobert hatten.
Das Agenturfoto aus dem Bestand des Würzburger Sammlers Alexander Kraus wurde auf dem Dach des Studentenhauses, des ehemaligen "Dr.-Goebbels-Hauses" am Sanderrasen, aufgenommen. Im Bildtext, der zusammen mit dem Foto an die Redaktionen ging, ist von einem "Befreiungstanz" ehemaliger "Sklavenarbeiter" die Rede.
Einen Tag zuvor hatte Hitler seinen letzten öffentlichen Auftritt
Am 21. April 1945 war das Ende des Krieges zwar absehbar und in Würzburg schon Wirklichkeit, aber keiner wusste, wie lange es noch dauern würde, bis das Nazi-Regime endlich kapitulierte. Am Tag zuvor hatte Adolf Hitler, der kurz aus dem "Führerbunker" unter der Berliner Reichskanzlei gekommen war, seinen letzten öffentlichen Auftritt gehabt: Er zeichnete Hitlerjungen mit dem Eisernen Kreuz aus. Wenig später begann die Schlacht um Berlin.
Am 26. April, vier Tage vor seinem Selbstmord, ließ Hitler Robert Greim einfliegen, den ehemaligen Direktor der Würzburger Fliegerschule am Galgenberg, den er seit Beginn der zwanziger Jahre kannte. Hitler ernannte Greim – im Krieg Führer einer Luftflotte – zum Nachfolger des abgesetzten Hermann Göring als Oberbefehlshaber der Deutschen Luftwaffe, die schon nicht mehr existierte. Danach wurde Greim wieder ausgeflogen.
Bis zu 9000 Zwangsarbeiter waren in Würzburg eingesetzt
Die Männer und Frauen, die am 21. April tanzten, gehörten zu einer für die Domstadt im Krieg überlebenswichtigen Gruppe: Zeitweise waren bis zu 9000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und nach Deutschland gelockte oder verschleppte "Fremdarbeiter" in Würzburg eingesetzt gewesen, die in verschiedenen primitiven Barackenlagern lebten und streng bewacht zu ihrem Arbeitsplätzen geführt wurden, beispielsweise zu der aus Schweinfurt ausgelagerten Star-Kugellagerfabrik in der Sanderau.
Der damals achtjährige Ado Schlier sah in der Nähe des Hauses seiner Großeltern in der Edelstraße jeden Abend "Männer in gestreiften Häftlingsanzügen", bewacht von Soldaten. Schlier: "Das war für mich als Kind ein schrecklicher Anblick, weil man instinktiv wahrnehmen konnte, dass die Leute, zum großen Teil barfuß, gedemütigt waren. Die Bewacher schrien und hatten Holzstöcke oder Knüppel, mit denen die Gruppe angetrieben wurde."
Die 19-jährige Würzburger Abiturientin Ortrun Koerber erfuhr 1944 von einem italienischen Kriegsgefangenen, der wie sie bei Koenig & Bauer in der Granatenproduktion beschäftigt war, von seinen Lebensumständen und denen seiner Leidensgenossen. "Sie erhalten so wenig Lebensmittel, dass ich uberrascht bin, dass sie noch nicht verhungert sind", schrieb sie in ihr Tagebuch: "Nur eine Tasse Kaffee und sonst nichts zum Fruhstuck. Dann arbeiten sie ohne Essen bis Viertel nach zwölf. Gemuse und eine oder zwei kleine Kartoffeln und eine halbe Scheibe Brot ist alles, was sie zu Mittag bekommen. Dann nichts mehr bis zum Abendessen, das aus einer Scheibe Brot und einer kleinen Schale Suppe besteht."
Bei Regelverstößen drohte das "Notgefängnis"
Wenn ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter, von denen manche erst 16 Jahre alt waren, gegen die für sie geltenden besonders strengen Regeln verstießen, wurden sie in das sogenannte "Notgefängnis" in der Friesstraße eingewiesen, das aus vier Baracken bestand und das wegen der Überfüllung des regulären Gefängnisses in der Ottostraße eingerichtet worden war. Unter den Gefangenen befanden sich Belgier, Franzosen, Holländer, Italiener, Jugoslawen, Polen, Russen, Tschechen und Ukrainer.
In einer Dokumentation der Würzburger Geschichtswerkstatt über das Notgefängnis heißt es, dass alle aus den östlich von Polen gelegenen Gebieten stammenden Gefangenen "durch Arbeit und Mangelernährung vernichtet und getötet werden" sollten.
Es existierten zwei Bunker für die Wachmannschaften und das Personal des Lagers, die Schutz bei Luftangriffen bieten sollten. Sie waren mit kleinen Schießscharten ausgestattet, um auf flüchtende Häftlinge, für die natürlich keine Bunker vorhanden waren, schießen zu können. In der Broschüre heißt es, am 16. März 1945 hätten Häftlinge versucht, sich aus dem brennenden Lager in Sicherheit zu bringen und seien auf der Flucht erschossen worden; insgesamt seien in dieser Nacht rund 120 Häftlinge verbrannt oder durch Kugeln getötet worden.
Suche nach einer Unterkunft für die ehemaligen Zwangsarbeiter
Einige Tage später war der Spuk vorbei und die amerikanischen Besatzer sahen sich vor die fast unlösbare Aufgabe gestellt, für Tausende von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern (DPs, "displaced persons") vor deren eventueller Rückkehr in die Heimat Unterkünfte in der fast völlig zerstörten Stadt zu finden. Der Blick der Amerikaner fiel auf das "Dr.-Goebbels-Haus" am Sanderrasen, das den Luftangriff unzerstört überstanden hatte.
Zunächst waren hier nach dem Einmarsch der Amerikaner deutsche Bewohner Würzburgs gefangenengehalten worden. Doch als diese nach dem Ende der dreitägigen Kämpfe wieder nach Haus gehen durften, diente das Haus als eine von vielen Unterkünften für DPs. Im Juli 1945 wurde es dann Sitz der Stadtverwaltung mit dem von den Amerikanern eingesetzten OB Gustav Pinkenburg an der Spitze.
Lager für "displaced persons" sollte es in Würzburg noch lange geben, denn viele hatten nicht vor, die ihre kommunistisch gewordenen Heimatländer im Osten zurückzukehren. Ihre Unterbringung, ebenso wie die der ausgebombten Würzburger selbst sowie der Tausendenden von Vertriebenen, die Würzburg zugewiesen wurden, stellte die Stadt jahrelang vor größte Probleme.