Kurz vor ihrem 95. Geburtstag ist Ortrun Scheumann gestorben. In Würzburg ist sie vor allem bekannt als Autorin der 2015 erschienenen Stadtarchiv-Publikation „Geliebte Feinde“. Darin beschrieb sie auf der Basis ihrer Tagebücher, wie sie als unangepasstes Mädchen, das die Nazis verachtete, den Zweiten Weltkrieg in Würzburg erlebte.
Bis kurz vor ihrem Tod gab Ortrun Scheumann, die seit 1957 in Bad Dürkheim lebte, die englischsprachige Zeitschrift „The Beacon“ und andere fremdsprachliche Monatsmagazine für Gymnasiasten heraus.
Ortrun Scheumann, die damals noch Ortrun Koerber hieß, hatte neun Jahre in Japan verbracht, als sie 14-jährig im April 1939 mit Vater, Mutter und zwei Schwestern nach Würzburg kam. Ihr Vater Josef Koerber, der in Japan an einer Universität Deutsch unterrichtet hatte, wurde Studienrat an der Oberrealschule, dem heutigen Röntgen-Gymnasium. Ortrun besucht die Mozartschule, wo sie 1944 das Abitur ablegte.
Abenteuerlustige und weltoffene Familie
Bei der Ankunft in Würzburg hatte Ortrun Koerber keinerlei Erfahrungen mit den Nationalsozialisten. Wie ein Wesen von einem fremden Stern sollte sie in einem unbekannten Land mit einer totalitären Ideologie Wurzeln schlagen. Die in Deutschland grassierende Fremdenfeindschaft kam ihr absurd vor; mit ihrer abenteuerlustigen und weltoffenen Familie hatte sie Russland, China, die USA und viele andere Länder bereist. Sie hatte amerikanische, englische und russische Freunde, liebte die Musik des aus Polen stammenden Frédéric Chopin und schrieb Gedichte in englischer Sprache.
Dieses Mädchen wurde nun in das enge Korsett des Bunds Deutscher Mädel (BDM) gepresst und sollte zu einem willfährigen Rädchen im System der NS-Diktatur werden. Sie und ihre ganze Familie verweigerten sich, was nicht ungefährlich war. Die Koerbers gerieten ins Visier der Gestapo, die Mutter Louise versteckte die Tagebücher ihrer Tochter, in denen diese zum Beispiel die Vermutung niedergeschrieben hatte, die aus Würzburg deportierten Juden würden im Osten ermordet.
Deutschunterricht für GIs
Ab Mai 1944 arbeitete Ortrun zwangsweise in der Granatenproduktion beim Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer; dort lernte sie den italienischen Kriegsgefangenen Carlo kennen, in den sie sich verliebte. Als der Vater im Januar 1945 mit dem „Volkssturm“ an die Ostfront ausrücken musste, wurde Carlo zum Beschützer der Familie. Gemeinsam erlebten sie Bombardierung Würzburgs am 16. März 1945 in einer Hütte am Dallenberg.
Ortrun Koerber unterrichtete nach Kriegsende an einer amerikanischen High School Deutsch für GIs. Danach begann sie ein Musikstudium und lernte ihren 1999 verstorbenen Mann Günther Scheumann, einen Musiker, kennen. Nachdem die Amerikaner die Wohnung der Koerbers im Frauenland 1947 beschlagnahmten, lebte die Familie bis 1957 in Rimpar.
Gründung der Zeitschrift "The Beacon"
Ortrun Scheumanns Vater lehrte zeitweise an der Würzburger Lehrerbildungsanstalt am Wittelsbacherplatz; er gründete die Zeitschrift „The Beacon“, die seine Tochter nach dessen Tod fortführte.
Ortrun Scheumann blieb bis zu ihrem Tod eine unangepasste Frau; anlässlich der Veröffentlichung ihrer Tagebücher erklärte sie im Jahr 2015 ihre Einstellung zu Autoritäten, die sich seit dem Dritten Reich nicht geändert hatte: „Man hält sich doch an das, was man für richtig hält und nicht an jedes Gesetz, das man vorgesetzt kriegt.“ Ortrun Scheumann hinterlässt die elf Jahre jüngere Schwester Ingrid, die im US-Bundesstaat New York lebt.