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Goebbels: Edelkitsch in Würzburg
würzburg Bevor Joseph Goebbels zum Massenmörder am Mikrofon wurde, war er ein Student wie viele andere. Von seinen Altersgenossen unterschied er sich höchstens durch eine Verkrüppelung am rechten Fuß. Im Wintersemester 1918/19 studierte der spätere Reichspropagandaminister in Würzburg Germanistik und Geschichte.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 17.10.2017 17:31 Uhr
Neues Interesse an Goebbels hat der Hitler-Film "Der Untergang" geweckt. Hier ist er kurz vor Kriegsende als ein Vater zu sehen, der vor der Tür wartet, während seine Frau die sechs Kinder vergiftet.

Als er am 8. Oktober 1918, einen Monat vor Ende des Ersten Weltkriegs, im Würzburger Einwohnermeldeamt vorsprach, musste Goebbels die von ihm als Schmach empfundene Behinderung eingestehen: "Kriegsuntauglich" notierte der Beamte auf dem Meldebogen, der heute im Stadtarchiv liegt.

Über seine Würzburger Zeit hat Goebbels einige Stichworte notiert, die 1987, zusammen mit seinen Tagebüchern der Jahre 1924 bis 1941, in vier dicken Bänden veröffentlicht wurden. 3308 Seiten umfasst das Werk, eine davon ist dem "Winter 1918/19 in Würzburg" gewidmet.

Der 1897 geborene Goebbels galt in der Schule als arroganter Streber. Nach dem glänzenden Abitur im Frühjahr 1917 begann er in Bonn ein Studium, das er 1918 in Freiburg fortsetzte. Im Oktober kam er nach Würzburg und bezog als Untermieter ein Zimmer bei einer Witwe im vierten Stock des Hauses Nummer acht in der Blumenstraße, der heutigen Eichendorffstraße.

Während sich andere junge Männer seines Alters noch an der Front zusammenschießen ließen, erlebte Goebbels am Main einen "wundervollen Herbst" (Tagebuch), den allerdings "Geldsorgen" verdüsterten. Teilweise gelindert wurden sie durch ein Stipendium der katholischen Albertus-Magnus-Gesellschaft. Der 21-Jährige gehörte in Würzburg der katholischen Studentenverbindung "Unitas" an, die ihm den "Biernamen" Ulex (Eule) gab. Allerdings entfremdete er sich bald von der Korporation und trat später aus.

Goebbels besuchte Vorlesungen und Seminare bei so unterschiedlichen Männern wie dem liberalen Staatsrechtsprofessor Robert Piloty und dem konservativen Althistoriker Julius Kaerst, der die Studenten zu sich nach Hause in die Friedenstraße 45 einlud. Während Goebbels von Piloty offensichtlich wenig beeindruckt war, könnte ihn der erzreaktionäre Kaerst beeinflusst haben.

Der Geschichtsprofessor sympathisierte offen mit der völkisch-rechtsradikalen Bewegung, die sich nach dem verlorenen Krieg auch in Würzburg buschfeuerartig ausbreitete, und sprach im Dezember 1919 vor studentischen Mitgliedern des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, der größten Vorläufer-Organisation der in Würzburg erst 1922 gegründeten NSDAP.

Politik scheint Goebbels in Würzburg jedoch nur am Rande interessiert zu haben. Als im November 1918 die Revolution ausbrach, empfand er "Abscheu"; als im Januar 1919 ein neuer Landtag gewählt wurde, notierte er lediglich den Sieg der konservativen Bayerischen Volkspartei. Mehr ist zum Thema kaum festgehalten. "Ich kümmere mich um nichts", schrieb er.

Was Goebbels viel mehr beschäftigte, war die Liebesaffäre mit der Recklinghausener Studentin Anka Stalherm, die am Ludwigkai wohnte. Ihr ist der größte Teil der Würzburg betreffenden Notizen gewidmet. Da ist viel von "bebenden Herzen", "Versprechen der Treue", "Zerwürfnissen", "süßen, seligen Nächten" und anderem Edelkitsch die Rede.

Am 22. Januar 1919 meldete sich Goebbels im Rathaus wieder ab. Danach studierte er in Freiburg und München und promovierte in Heidelberg mit einer Arbeit über romantische Dramen zum Dr. phil. Erst 1925 schloss er sich der NSDAP an, stieg 1926 zum Gauleiter von Berlin auf und machte bei den Nationalsozialisten jene Karriere, die ihn zu einem der meistgehassten Männer des 20. Jahrhunderts werden ließ.

 
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