Die Namen, um die es geht, stehen auf Würzburger Straßenschildern und sie gehören großteils bekannten Persönlichkeiten. Vier Jahre beschäftigte sich eine elfköpfige Kommission aus Wissenschaftlern und Stadträten mit Namenspaten und ihrer möglichen Verstrickung ins NS-Regime. Neun Namen blieben übrig, bei denen die Kommission Handlungsbedarf sieht (wir berichteten). Mit dem Ergebnis beschäftigt sich nun der Würzburger Stadtrat, erstmals an diesem Donnerstag.
Umbenennen? Das Straßenschild ergänzen? Nichts unternehmen? Darum geht es für diese Namensgeber: Heiner Dikreiter (1893-1966; Gründungsdirektor der Städtischen Galerie), Nikolaus Fey (1881-1956; Schriftsteller), Carl Schadewitz (1887-1945; Komponist), Hermann Zilcher (1881-1948; Begründer des Mozartfestes), Karl Ritter von Frisch (1886-1982; Zoologe), Armin Knab (1881-1951; Komponist), Peter Schneider (1882-1953; Mitbegründer des Frankenbundes), Richard Strauss (1864-1949; Komponist) und Michael Kardinal Faulhaber (1869-1952).
Egal wie später entschieden wird, für die Debatte gibt es Gründe:
Erstens: Ein Urteil über das Handeln früherer Generationen ist nicht nur erlaubt, es ist unerlässlich.
Der Satz ist so etwas wie ein Evergreen in jeder Debatte um die deutsche Geschichte im allgemeinen – und die NS-Zeit im besonderen: "Wer weiß, wie wir uns damals verhalten hätten!" Die Frage, die in dem Satz steckt, ist schnell beantwortet: Niemand weiß das. Es gibt keine Zeitmaschine, wir können nicht ausprobieren, ob wir Gegner, Mitläufer oder gar Aktivisten des Nationalsozialismus gewesen wären. Aber darum geht es auch nicht.
Selbstreflexion schadet nie, doch in der Debatte um historische Personen und ihr Verhalten in finsterer Zeit nützt sie nichts. Und so ist die hypothetische Frage nach der eigenen Rolle in früherer Zeit allzu oft nichts weiter als der Versuch, einer Diskussion aus dem Weg zu gehen, sie vielleicht sogar zu verhindern.
Historische Ereignisse fallen nicht vom Himmel, sie entspringen stets dem konkreten Handeln von Menschen. Dass man betrachtet und wertet, wie sich Menschen in der Zeit einer Diktatur verhalten haben, ist die schlichte Voraussetzung für die historischen Lehren, die es zu ziehen gilt. Erst recht, wenn es um die Ursachen und die Bilanz eines Regimes geht, an dessen Ende Millionen Tote und ein zerstörter Kontinent standen.
Zweitens: Namensgeber von Straßen müssen als Vorbilder dienen können.
Es wurde nach Kriegsende inflationär gebraucht, und es dürfte auch jetzt wieder zu hören sein: das Wort vom Mitläufer. Kein Regime kommt ohne Massenbasis aus. Und Mitläufer, erst recht, wenn sie sich dem Regime aktiv andienen, sind so etwas wie das Blut in den Adern einer Diktatur.
Hier gilt es, genau hinzuschauen. Es ist ein Unterschied, ob Menschen in einer Diktatur Kompromisse eingehen, um das eigene Leben und die Existenz der Familie zu retten, oder ob sie sich dem Regime aktiv andienen, um Vorteile zu erlangen. Ob sie nur die nötigsten Zugeständnisse machen oder ob sie den Machthabern aktiv dienen.
Niemand maßt sich an, Menschen in der Extremsituation einer Diktatur mangelnden Heldenmut vorzuwerfen. Das ist auch nicht das Thema der Straßennamen-Debatte. Es geht nicht um unterlassenen Widerstand. Es geht um unterlassenen Anstand.
Wer sich willfährig und teils zum eigenen Vorteil für die braunen Machthaber einspannen ließ, wusste, was er tat, auch damals. Die Mordfabriken der Vernichtungslager waren der Kulminationspunkt des Terrors – sie waren nicht sein Anfang. Vom ersten Tage an verfolgte das Regime Menschen aus politischen und "rassischen" Gründen.
Diejenigen, die ab 1933 in den Gefängnissen und frühen Konzentrationslagern verschwanden, waren Bekannte, Nachbarn, Arbeitskollegen. Der Vernichtungsfeldzug gegen die Juden begann nicht erst mit Auschwitz. Die Schaufenster jüdischer Geschäfte wurden auch in Würzburg schon im April 1933 beschmiert, die Nürnberger "Rassengesetze" verkündete Hermann Göring 1935 vor laufender Kamera.
Wer sich mit diesem Regime einließ, um von ihm zu profitieren, musste nicht zwangsläufig zum Täter im klassischen Sinn werden. Aber dient er als Vorbild, dessen im öffentlich Raum gedacht wird?
Drittens: Die Debatte um historische Personen ist auch eine Debatte um unsere Werte.
Wenn man dem bekannten Satz Heinrich Heines folgt, wonach der heutige Tag ein Resultat des gestrigen ist, dann ist ergibt sich eine Konsequenz: Die Diskussion um die Frage, nach wem wir unsere Straßen und Plätzen benennen und nach wem nicht (mehr), zielt nicht nur auf die Geschichte. Sie ist vor allem eine Frage, welche Werte wir uns zu eigen machen.
Wessen diese Stadt im öffentlichem Raum gedenkt, wen sie herausgehoben würdigt, hat viel mit historischem Verständnis zu tun, aber auch mit dem Selbstverständnis der Menschen, die heute hier leben. Ein Straßenschild verweist zunächst auf den Namensträger, aber es ist eben immer auch ein Hinweis auf diejenigen, die es anbringen ließen.
Die Debatte um die Frage, wen wir in unserer Stadt würdigen, ist notwendig. Es führt kein guter Weg an ihr vorbei.
zB bleibt die Frage: was ist mit den Teilnehmern der Wehrmacht? Sie haben im Namen Hitlers europäische Nachbarn überfallen? Im Zusammenhang mit Kardinal Faulhaber muss man umgekehrt bedenken, was er gegen die Nazis getan hat (Anfrage an Müchner Diözesanarchiv). Und parallel dazu Frage nach Hindenburg, der schließlich Hitler auf den Schild hob und dessen Partei vor und nach 1933 irgendwie in Grenzen wies? Er war auch der Mann, der noch bei der letzten Westoffensive 1918 120.000 Männer in den Tod schickte? Wie um Gottes Willen soll das alles bewertet werden?
Ich denke man muss fragen, was eine Person für Wü und das Land an Gutem getan haben und dort wo es auch Verstrickungen zum NS gibt, sollte ein Zusatzschild informieren.
Wie immer nicht anonym, sondern mfG
Heinrich Jüstel
https://de.wikipedia.org/wiki/Manifest_der_93
Und bevor Sie hier über Julius Echter loslegen, sollten Sie auch diese Zeit einfach mal historisch einordnen (lassen!). Es war in dieser Zeit allgemein-gesellschaftliche Überzeugung: Es gibt Hexen, die können Böses anrichten, die sind auszumerzen! Das war keine kirchliche Erfindung - und beileibe keine Würzburger! Das war damals ganz offizielle Anschauung: Wer eine vermeintliche Hexe anschwärzt, tut etwas Gutes und nichts Böses! - Das wurde dann allerdings auch massiv von Neidern und Raffgierigen ausgenutzt, Kontrahenden auszuschalten oder sich privat zu bereichern (um sich die Besitztümer des ungeliebten Nachbarn einzuheimsen). Etwas, das vor 400 Jahren gesellschaftlich als rechtlich angemessen galt in einen Top zu werfen mit Dingen vor ca. 80 Jahren, wo jeder wusste, dass das ein Verbrechen war, halte ich schon für extrem fragwürdig! (Fragen Sie mal nen ordentlichen Historiker!)
Die Kirche ist beileibe nicht unschuldig, sie bestimmte die „offizielle Anschauung“.
(Fragen Sie mal nen ordentlichen Historiker nach der Inquisition!)
wenn man da genauer hinschaut, fallen einem schon gewisse Parallelen auf. Z. B. wurde im III. Reich jede Menge Eigentum jüdischer Mitbürger/innen "arisiert" so wie das Eigentum der als Hexen diffamierten durchaus an böswillig-verleumderische Denunzianten fallen konnte.
Und der Antisemitismus war definitiv keine Erfindung der Nazis, den gab es schon vorher. Ich hoffe doch nicht, dass Sie das dann auch als Zeitgeist o.ä. einordnen wollen? Um übrigens konfessionsübergreifend-korrekt zu blieben, auch Martin Luther war - zumindest zeitweise - ein glühender Antisemit.
Aber was sind alle(!) diese (hinter)frag(ungs)würdigen Namen im Verhältnis zu den Menschen, die Tag für Tag auf der Flucht ums Leben kommen, weil sie es in ihrer "Heimat" nicht mehr aushalten???
Ich trete überhaupt nicht dafür ein, die Julius-Promenade oder das Julius-Spital umzubenennen. Aber wenn Straßen umbenannt werden sollen, nur weil deren Namensgeber in der NS-Zeit mit den örtlichen Machthabern gekungelt haben, sehe ich vor diesem Hintergrund ein Problem.