
Nach den Prozessen um den Mord in Lohr und um die tödlichen Messerstiche am Stift Haug in Würzburg steht die Justiz vor der nächsten Herausforderung in gewaltiger Dimension: An diesem Montag, 9. September, beginnt ein Mammutprozess von 60 Verhandlungstagen bis zum Sommer 2025.
Im Verfahren um den Mord an der 13-jährigen Sabine B. müssen die Richter am Landgericht Würzburg Rücksicht nehmen auf das Alter des Angeklagten, der zur Tatzeit - im Dezember 1993 - erst 17 Jahre alt war.
Zugleich ist das Interesse der Öffentlichkeit an diesem weit bekannten Fall ungewöhnlich hoch. An einer transparenten und nachvollziehbaren Vorgehensweise des Gerichts hängt also auch ganz wesentlich das Vertrauen in die Justiz und in den Rechtsstaat ab.
Warum die Öffentlichkeit nicht völlig ausgeschlossen ist
Das Landgericht Würzburg hat sich zu einer ungewöhnlichen Verfahrensweise entschlossen, wie Pressesprecherin Martina Pfister-Luz deutlich macht: Der Prozess läuft prinzipiell unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Jedoch dürfen eigens akkreditierte Medienvertreter in weiten Teilen der Verhandlung dabei sein und darüber berichten, was "im Namen des Volkes" entschieden werden soll. Dazu gibt es strenge Auflagen.
Warum ist jetzt Mord angeklagt und nicht Totschlag?
Die Tat war im Jahr 1993. Alle Delikte außer Mord wären verjährt - eine Verhandlung darüber wäre gar nicht mehr möglich. Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat aber ein Motiv vorgelegt, das Voraussetzung für eine Anklage wegen Mordes ist: Dem 47-jährigen Angeklagten "liegt zur Last, einen Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs zum Nachteil der 13-jährigen Sabine B. begangen zu haben", heißt es in der Erklärung des Gerichts. Grund: An der Kleidung des Opfers fand sich an exponierter Stelle DNA des Angeklagten.
Haben die zugelassenen Medienvertreter ungehindert Zugang zum Verfahren?
Bei zwei Terminen muss auch die Presse den Sitzungssaal verlassen: Wenn sich der Angeklagte selbst äußert und wenn eine Belastungszeugin aussagt. Denn dann soll es um intime Einzelheiten ihres Verhältnisses zum Angeklagten gehen.
Warum ist die Teilnahme der Medien überhaupt möglich?
Der Angeklagte war zur Tatzeit am 15. Dezember 1993 erst 17 Jahre alt - also noch Jugendlicher. Eigentlich wird in solchen Fällen die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen. Aber der Angeklagte, sein Verteidiger Hanjo Schrepfer, Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach sowie Rechtsanwalt Jan Paulsen als Vertreter der Nebenklage haben zugestimmt, einer eingeschränkten Presseöffentlichkeit die Teilnahme an der Hauptverhandlung zu gestatten.
Bilder oder Tonaufnahmen dürfen während der Verhandlung – wie stets – nicht gemacht werden. "Allen Presseorganen steht es selbstverständlich frei, über den Prozess auch in Ton und Bild zu berichten", sagt Gerichtssprecherin Martina Pfister Luz. Dies gilt jedoch nicht für die Teilnahme an der Hauptverhandlung. Dort sind nur fünf schreibende Medienvertreter zugelassen, aber keine Fotografen und Fernsehteams mit Kamera.
Welche Regeln gelten und was sind die Auflagen für die Presse?
"Die Presseberichterstattung hat dergestalt zu erfolgen, dass die Identifizierbarkeit des Angeklagten ausgeschlossen ist", heißt es in der Anordnung des Gerichts. Außerdem: "Eine abwertende oder reißerische Berichterstattung über den Angeklagten ist unzulässig." Bei Verstößen behält sich der Vorsitzende Richter Thomas Schuster vor, das Recht des jeweiligen Pressevertreters oder anderer Vertreter des betreffenden Presseorgans zu widerrufen.
Hinweis der Redaktion: In der Vergangenheit hat unsere Redaktion bei der Berichterstattung zum Mordfall Wiesenfeld den vollen Namen des Opfers verwendet. Auch die Polizei hatte den vollen Namen zur Fahndung benutzt. Auf Bitten der Angehörigen kürzen wir den Nachnamen künftig in der Berichterstattung über den Mordprozess ab.
Sind die Auswahlkriterien bekannt?
Persönlich halte ich diese Entscheidung des Gerichtes für höchst problematisch, weil es Begehrlichkeiten bei anderen ähnlich gelagerten Prozessen weckt.
Ansonsten bin ich erstaunt, dass bei diesem Prozess 60 Zeugen geladen sind. Mittlerweile sollte auch dem Gericht bekannt sein , wie unzuverlässig Zeugenaussagen sind. Jetzt sind über 30 Jahre vergangen. Die eh problematischen Zeugenaussagen werden nach so langer Zeit noch weniger glaubhaft. Auf einer solch wackligen Basis einen Beschuldigten wegen Mordes ( nicht Todschlag etc.)zu verurteilen, scheint mir mehr als fragwürdig zu sein.
Oder soll der Angeklagte, wie im Fall Rupp, solange weichgekocht werden, bis er ein falsches Geständnis ablegt. (Der Familie Rupp, die weg Todschlags verurteilt wurde und einsaß, verweigert die bayr. Justiz bis heute eine Entschädigung)
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Der letzte von über 80 Zeugen ist für Anfang November geladen.
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Aus dem Bericht vom Abend des selben Tages.
Das hat mit Zensur gar nichts zu tun, sondern mit Anstand, Feingefühl und ja, genau, Takt. Nicht alles, was erlaubt ist, muss deswegen auch um jeden Preis getan werden. Es gibt im Übrigen auch einen Pressekodex, in dem solche Dinge im Sinn eines fairen und seriösen Journalismus geregelt sind, ohne dass das je ein Journalist als "Zensur" empfunden hätte.
Das Gericht hält seinen Hinweis offensichtlich für nötig. Sie liefern ja mit Ihrem taktlosen vehementen Eintreten für ein Recht auf herabwürdigende und reißerische Berichterstattung auch den besten Grund dafür.
Stellen Sie sich vor, Ihnen läuft ein Kind vors Auto und stirbt. Was hätten Sie lieber in der Zeitung stehen : "Tragischer Unfall" oder "Temming, der Raser von Würzburg"?
Das stimmt so nicht! Auch die Presse hat gewisse Regeln zu beachten. Siehe Art. 5 Abs. 2 GG ....
Was wollen Sie lieber lesen: "Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs begangen zu haben", wie es das Gericht ausdrückt, oder "Diese moralisch vollkommen verkommene Kreatur hat ihre niedersten Triebe an dem unschuldigen Opfer ausgelassen und dieses dann brutal umgebracht." Um diesen nicht mehr ganz feinen Unterschied geht es hier.
Letzteres war in der Nazizeit sogar einmal offizielle Gerichtssprache und ist heute leider immer noch - in verschiedenen Variationen -regelmäßig in der Boulevardpresse zu lesen. Da bin ich dann doch lieber für das, was Sie "Zensur" nennen. Als eventuell ironisch ist Ihr Beitrag nämlich wirklich nicht zu erkennen, deshalb gibt's hier keine mildernden Umstände.