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Würzburg
Psyche und Krebs: Was hilft gegen die Angst?
Die Diagnose Krebs ist ein Schock. Für Betroffene, oft für die ganze Familie. Wie spricht man darüber? Was tun gegen die enorme Belastung? Eine Würzburger Beraterin klärt auf.
Wie spendet man Halt und Nähe, wenn man Kontakte vermeiden werden sollen? Die Würzburger Psychoonkologin Evelyn Flohr-Schmitt erklärt, wie sie Krebspatienten in der Pandemie hilft.
Foto: Thomas Obermeier | Wie spendet man Halt und Nähe, wenn man Kontakte vermeiden werden sollen? Die Würzburger Psychoonkologin Evelyn Flohr-Schmitt erklärt, wie sie Krebspatienten in der Pandemie hilft.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:32 Uhr

Die Angst vor einer Ansteckung mit Corona, die Lockdown-Beschränkungen, die allgegenwärtige Unsicherheit. Und dann auch noch Krebs. Für Betroffene sei die psychische Belastung im Moment hoch, sagt Psychoonkologin Evelyn Flohr-Schmitt. Bei der psychosozialen Krebsberatungsstelle in Würzburg unterstützt sie seit 25 Jahren Patienten - eigentlich in persönlichen Treffen, während der Pandemie aber meist telefonisch. Im Gespräch erklärt sie, warum sie sich über wütende Patienten freut, wie das Fragen-Stellen Familien eint - und was gegen die Angst vor einem Rückfall hilft.

Frage: Der erste Corona-Winter wird hart, das zeigt sich bereits jetzt im November. Wie erleben Sie Krebspatienten in der aktuellen Situation?

Evelyn Flohr-Schmitt: Insgesamt ist es im Moment anders als im Frühjahr. Damals haben viele Krebspatienten die Entschleunigung als positiv empfunden. Jetzt höre ich oft Sätze wie: Ich vermisse meinen Rehasport, meine Selbsthilfegruppe, den regelmäßigen Kontakt zu Freunden. Alleinstehende trifft das besonders hart. Und wir können fast nichts anbieten, um zu helfen. Es gibt außer Telefonaten kaum Möglichkeiten, um wirklich in Kontakt zu treten.

Gerade wer schwer krank ist, sehnt sich aber oft nach Ablenkung, nach Positivem.

Flohr-Schmitt: Wir versuchen deshalb im Gespräch zu unterstützen und gemeinsam etwas zu finden, was den Betroffenen gut tut. Das können Hobbys sein, die man noch betreiben kann, oder Dinge, die Patienten immer schon Spaß gemacht haben und durch die Krankheit vielleicht in Vergessenheit geraten sind. Beispielsweise gibt es jetzt zahlreiche leidenschaftliche Wald-Spaziergänger.

Egal ob mitten in der Pandemie oder in normalen Zeiten, die Diagnose Krebs ist immer ein Schock. Wie lässt sich der verarbeiten?

Flohr-Schmitt: Jeder reagiert darauf anders. Manche Betroffene wollen schlicht ihr altes Leben zurück, manche fallen in ein Loch, manche werden wütend. Wenn das Gefühl vorherrscht, ich ärgere mich über die Ungerechtigkeit des Lebens, dann freue ich mich als Beraterin. Das ist eine gesunde Reaktion.

Ärger ist gesund?

Flohr-Schmitt: Ja, Ärger und Zorn sind Trauerreaktionen. Genau wie traurig zu sein an sich auch. Kinder können das fantastisch, Erwachsene sagen hingegen oft, zornig zu sein habe keinen Sinn. Aber das  ist falsch, denn es ist ein wichtiges Gefühl. Eine Krebserkrankung ist unfair. Sie reißt einen mitten aus dem Leben und das ist ein Verlust. Um das zu verarbeiten, gehören Ärger und Trauer dazu.

Der Pandemie-Winter und die Einschränkungen belasten die Psyche. Krebspatienten müssen zudem die Angst vor ihrer Erkrankung bewältigen.
Foto: Peter Steffen, dpa | Der Pandemie-Winter und die Einschränkungen belasten die Psyche. Krebspatienten müssen zudem die Angst vor ihrer Erkrankung bewältigen.
Hilft es, über die Diagnose, also über den Krebs zu sprechen?

Flohr-Schmitt: Die meisten empfinden es als sehr hilfreich. Viele Patienten sagen auch, es sei ihnen wichtig, bei uns in der Beratung mit jemandem sprechen zu können, der neutral ist und den man nicht schonen muss. Im privaten Umfeld werde oft abgewiegelt, getröstet, gesagt, das wird schon wieder. Dabei ist das Sprechen auch für Angehörige notwendig.

Warum?

Flohr-Schmitt: Die Erkrankten treffen in der Klinik andere Patienten oder Ärzte und können sich austauschen. Angehörigen fehlt das. Sie sagen in unserer Beratung oft: "Ich muss auch mal darüber reden, wie es mir geht, ich werde nie gefragt – es wird immer nur gefragt, wie es meinem Mann oder meiner Frau geht." Da ist es wichtig, zuzuhören. Denn für die Angehörigen ist Krebs ebenfalls eine enorm belastende Situation. Sie können nicht so viel handeln, sondern nur begleiten, warten, wie es voran geht. Zudem müssen sie häufig zusätzliche familiäre Pflichten übernehmen.

Und wie sollten Verwandte und Freunde mit Betroffenen umgehen? Wie redet man zum Beispiel richtig über Krebs?

Flohr-Schmitt: Das Wichtigste ist, Fragen zu stellen. Man sollte all das fragen, was man nicht versteht – aber keine Ratschläge geben. Auch ich muss die Patienten fragen, wie ist das, was denken Sie, wie fühlt sich das an? Der Weg zum Verstehen geht immer über Fragen. Und meist reden Betroffene dann auch.

Sollte man dabei eigene Unsicherheit offen zugeben?

Flohr-Schmitt: Genau. Man kann fragen, was brauchst du, wie kann ich dich unterstützen? Oder auch offen sagen, wenn einen etwas beunruhigt. Dann kann der Patient erklären. Es ist nicht schlimm, wenn man keine Ahnung von Krebs hat. In diesem Fall sind die Patienten die Experten.

In Familien fällt es oft schwer, über eine Krebserkrankung offen zu sprechen.
Foto: Symbolbild: Jens Kalaene, dpa | In Familien fällt es oft schwer, über eine Krebserkrankung offen zu sprechen.
Und bei welchen Themen suchen die Krebspatienten selbst Hilfe?

Flohr-Schmitt: Die Angst ist zum Beispiel so ein Thema. Ein Gespräch darüber könnte Familie oder Freunde belasten, deshalb kommen die Patienten manchmal lieber zu uns. Tatsächlich ist es oft so, dass die Diagnose zwar schockiert – aber zunächst keine Angst auslöst. Die Betroffenen werden erst einmal behandelt, es wird etwas getan, auf die Therapie folgt die Reha. Nur: Danach, in der normalen Nachsorge, da kommt plötzlich ganz viel Angst. Und das versteht das Umfeld nicht, es heißt: "Du bist doch jetzt behandelt, du bist doch gesund, wieso hast du jetzt so viel Angst?"

Woher kommt diese späte Angst?

Flohr-Schmitt: Das ist etwas ganz normales. Am Anfang geht es ums Überleben, darum, die Therapie zu überstehen. Da sind die Betroffenen sehr mit den körperlichen Dingen beschäftigt. Wenn das geschafft ist, kommt die Seele, die eigentliche Krankheitsverarbeitung – und natürlich auch die Angst. Damit muss man umgehen lernen.

Wie helfen Sie dabei?

Flohr-Schmitt: Ein großer Teil der Angst richtet sich in die Zukunft – wie es weiter geht, ob der Krebs zurückkommt, ob er schlimmer wird. Da muss man sich bewusst machen, dass das nur Science-Fiction-Szenarien sind und dass es in der Gegenwart ganz anders ist. Jetzt kann man das Leben so gestalten, dass Lebensfreude und Zufriedenheit aufkommen. Wenn ich Patienten dann ganz direkt frage, wie es ihnen gerade in diesem Moment geht, sagen sie oft: "Eigentlich fühle ich mich schon gesund." Das muss man sich verdeutlichen.

Ist es auch die Suche nach dem Warum, die Patienten quält?

Flohr-Schmitt: Ja, es gibt eine Phase, in der diese Frage gestellt wird. Ich frage Patienten dann immer, was eine Antwort verändern würde. Meist ist das nicht viel. Gleichzeitig ist die Warum-Frage natürlich immer die Suche nach dem, was ich falsch gemacht habe und was ich künftig besser machen kann. Hilfreicher ist es, bei den eigenen Ressourcen zu bleiben. Als Erwachsene haben wir nämlich bereits eine Menge Erfahrung bei der Bewältigung von Krisen. Dafür haben wir Handwerkszeug entwickelt und das kann man nutzen.

Verändert eine Krebsdiagnose die Einstellung zum Leben?

Flohr-Schmitt: Die meisten Menschen sind grundsätzlich soweit zufrieden mit ihrem Leben, dass sie sich nicht neu erfinden wollen. Aber oft stellen sich Betroffene die Frage: Was hat das für einen Sinn, dass ich das habe? In erster Linie geht es dabei darum, Belastungen abzubauen, das Leben langsamer, gründlicher zu leben. Bei Frauen ist häufig auch Selbstfürsorge ein Problem, sie kümmern sich um andere – aber eigene Bedürfnisse kommen zu kurz. Das ist ein großes Thema und manchmal nicht leicht zu verändern. Aber Nein zu sagen, das kann man lernen.

Hilft Selbstfürsorge auch dabei, nach der Erkrankung  wieder Vertrauen in den eigenen Körper zu finden?

Flohr-Schmitt: Tatsächlich kann man mit besserer Selbstfürsorge die Befindlichkeiten des Körpers besser wahrnehmen. Man hört in sich hinein und reagiert. Allerdings gibt es sicher eine Phase, in der Betroffene jedes Körpersyndrom als weiteres Anzeichen für Krebs interpretieren. Das Vertrauen in die eigene Gesundheit wird durch die Erkrankung ja stark erschüttert.

Wie legt man diese dauernde Angst vor einem Rückfall ab?

Flohr-Schmitt: Das ist ein Prozess, es passiert mit der Zeit. Wenn Patienten merken, sie können zwar Schmerzen an der Bandscheibe haben – aber es sind nicht sofort Metastasen in der Wirbelsäule. Auch hilft es, sich bewusst zu machen, dass man durch die ärztliche Nachsorge ein Stück besser beobachtet wird als vorher. Am Wichtigsten ist es, mehr auf den Körper zu hören. Aber es dauert natürlich wie bei jedem Vertrauensbruch – das Vertrauen muss erst zurückerobert werden.

Die psychosoziale Krebsberatungsstelle Würzburg ist von Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr geöffnet, am Donnerstagnachmittag auch von 14 bis 15.30 Uhr. Aufgrund der Corona-Pandemie finden Gespräche derzeit bevorzugt telefonisch statt. Kontakt unter Tel. (0931) 280 650 oder per Mail an kbs-wuerzburg@bayerische-krebsgesellschaft.de

 
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