Nicht helfen können. Zusehen müssen, wie der andere leidet. Wie er an Kraft verliert. An Mut. Das, sagt Ute Röhm, ist für Angehörige von Krebskrankendas Schlimmste. Röhm ist seit einem Jahr in dieser Situation. Vor allem in den vergangenen Monaten ging sie durch die Hölle: "Mein Mann hat in drei Wochen 24 Kilo verloren." Er konnte sich beim Essen kaum mehr am Tisch halten. Aber auch Röhm ist inzwischen am Ende ihrer Kräfte angelangt. Darum wandte sie sich an die Würzburger Krebsberatungsstelle.
"Ich dachte erst gar nicht, dass die Beratungsstelle auch für Angehörige da ist", sagt die 55-Jährige, die aus dem Würzburger Landkreis stammt. Doch die Beratung von Ehepartnern, Lebensgefährten, Kindern, Eltern und engen Freunden von Tumorpatienten macht laut Psychoonkologin Marianne Schmitt einen großen Teil der Arbeit aus. Überhaupt setzt sich in der Medizin Schmitt zufolge die Erkenntnis durch, dass Angehörige von Krebskranken "Patienten zweiter Ordnung" sind. Auch sie benötigen Versorgungsstrukturen. Sonst werden sie selbst krank. In der häuslichen Pflege ist das Phänomen längst bekannt: Nicht wenige Angehörige erleiden einen Pflege-Burnout.
Beim Pilotprojekt trafen sich zwölf Frauen
Vor diesem Hintergrund bot Marianne Schmitt vor zwei Jahren erstmals eine angeleitete Gruppe für Angehörige aus ganz Unterfranken an. Ab 25. Februar wird es unter dem Motto: "Und wo bleibe ich?" eine Neuauflage geben. Beim Pilotprojekt trafen sich zwölf Frauen unter Schmitts Moderation über ein Jahr hinweg, um sich über den schwierigen Prozess auszutauschen, in dem sie seit der Krebserkrankung ihres Angehörigen stecken. Solidarisch halfen sie einander, mit der Situation besser fertig zu werden. Sabine S. (Name geändert) nahm an der Gruppe teil. Ihr Leidensweg begann vor drei Jahren. "Damals wurde bei meinem Mann Magenkrebs festgestellt", berichtet die 57-Jährige.
Sabine S. erlebte die Gruppe als sehr hilfreich. Oft habe sie kleine, scheinbar banale Tipps erhalten, die sich jedoch in ihrem Alltag als sehr hilfreich herausstellten: "So stellt sich die Frage, wie man damit umgeht, wenn jemand wissen will, wie es dem Partner geht." Sabine S. hatte zwischendurch einen regelrechten Horror vor dieser Frage: "Sie kann so viel aufwühlen." Und dann wusste sie nie: "Fragt das Gegenüber nur aus Höflichkeit?" Ein Gruppenmitglied erzählte von seiner eigenen Strategie, darauf zu reagieren: "Ich frage dann erst mal zurück: Wie viel Zeit hast du denn?" Meist hätten die anderen sowieso keine Zeit. Womit sich eine Antwort erübrige.
Schmitt zufolge ist es sowohl für Betroffene als auch für Angehörige wichtig, in einer so schwierigen Krisenzeit auf die Suche nach Kraftquellen zu gehen. Für Ute Röhm war das ein einwöchiger Urlaub in Italien, den sie und ihr Mann sich trotz der Diagnose gegönnt hatten: "Sowie es ihm besser geht, wollen wir wieder wegfahren." Doch auch der Alltag bietet viele kleine Quellen der Kraft. Das kann die halbe Stunde Auszeit im Café sein. Angehörige müssen sich dies jedoch erlauben, so Schmitt. Viele hätten das Gefühl, dass sie sich selbst keine kleine Freude mehr gönnen dürften, weil es dem Partner so schlecht geht. Eben diese falsche Einstellung birgt die Gefahr, selbst krank zu werden.
Eine Entlastung für Angehörige ist wichtig
Ute Röhm will unbedingt an der Neuauflage der geleiteten Gruppe für Angehörige teilnehmen. Alleine, sagt sie, schafft sie es einfach nicht mehr: "Ich habe das Gefühl, wie in einen Schraubstock eingezwängt zu sein." Noch nie im Leben habe sie so eine schwere Krise durchmachen müssen: "Heute sehe ich, dass mein Mann und ich bisher immer auf der Sonnenseite des Lebens standen." Niemals sei einer von ihnen schwerer krank gewesen. Bis vor einem Jahr bei ihrem Ehepartner Darmkrebs mit Metastasierungen in der Leber festgestellt wurde.
Sich Entlastung zu suchen, ist für Angehörige laut Marianne Schmitt auch deshalb so wichtig, weil diese sich neben der Sorge um ihren Ehegatten oder Freund darum kümmern müssen, dass der Alltag funktioniert. Die meisten gehen weiterhin arbeiten. Einige müssen noch Kinder oder pflegebedürftige Eltern versorgen. Der Haushalt muss organisiert, Behördenkram erledigt werden. Was zuvor auf zwei Schultern verteilt war, hat nun eine Person ganz alleine zu tragen.
In der Gruppe wird darauf geachtet, dass die einzelnen Schicksale der betroffenen Angehörigen die anderen Teilnehmer nicht retraumatisieren. Im Mittelpunkt steht laut Schmitt das Kennenlernen von Strategien, wie mit der schweren Krise besser umgegangen werden kann. Das können Techniken wie "Gedankenstopp" oder das Legen einer "Timeline", einer Art Lebensfadens, sein. Jeder soll am Ende der zwei Stunden ein kleines Stückchen gestärkter, befreiter und zuversichtlicher nach Hause gehen.