Irgendwann kommt dieser Punkt. Der Moment, in dem "man begreift, dass das alte Leben unwiederbringlich weg ist und dass man das neue Leben so gar nicht will", sagt Kerstin Mayer (Name von der Redaktion geändert). "Man will kein Leben mit Krebs, Chemo und Bestrahlung – sondern nur das alte Leben zurück." Doch mit der Diagnose Brustkrebs "gibt es das nicht mehr".
Was dann? Vor dieser Frage stehen jedes Jahr mehr als 70 000 Patientinnen in Deutschland. Bei Frauen ist Brustkrebs damit die häufigste Krebserkrankung. "Von zehn Frauen erkranken ein bis zwei im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs", sagt Professor Achim Wöckel, Leiter der Frauenklinik am Uniklinikum Würzburg. Die meisten von ihnen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr.
Diagnose Brustkrebs mit 38 Jahren
Kerstin Mayer bekam ihre Diagnose mit 38. In ihrer Familie hatte es bereits Brustkrebsfälle gegeben. Bei einem Routinetermin entdeckte ihre Frauenärztin dann vor zwei Jahren plötzlich einen Knoten. Sofort wurde eine Mammographie gemacht. Mit der Röntgenuntersuchung lassen sich auffällige Symptome abklären. Drei Tage musste Mayer warten, dann kam der erlösende Anruf: Es sei nichts Dramatisches.
Sie sei unendlich erleichtert gewesen. Und dankbar. Deshalb nahm sie Kontakt zum Würzburger Verein "Hilfe im Kampf gegen Krebs" und dessen Gründerin Gabriele Nelkenstock auf. Kerstin Mayer wollte denen helfen, die nicht so viel Glück hatten wie sie.
Sie fuhr in den Sommerurlaub, genoss die unbeschwerte Zeit. Bei einer anschließenden Ultraschall-Untersuchung der Brust kam bei den Ärzten Unsicherheit auf. "Ich dachte, es sei alles in Ordnung. Dass das wieder in Frage gezogen wurde, war ein Schock", sagt Kerstin Mayer. Sie entschloss sich zu einer Biopsie an der Uniklinik. Die Gewebeprobe wurde entnommen, das Warten begann erneut. "Psychisch war das eine schreckliche Zeit", sagt die zweifache Mutter über die Woche des Hoffen und Bangens. Als ihr der Arzt gegenüber trat, war ihre Hoffnung zerstört. "Du erinnerst dich nur noch an den Satz: Es ist Brustkrebs. Danach hört alles auf."
Bereits drei Tage später wird die 38-Jährige operiert. Über das "Wie" des Eingriffs habe sie nicht lange nachdenken müssen. "Ich habe immer gesagt, ich hänge nicht an meiner Brust – wenn es sein muss, kommt sie ab. Ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen", sagt Mayer bestimmt.
Ein Jahr und drei Jahre alt sind ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt. Eine "enorm belastende" Situation. Geholfen habe es ihr, schon vor der Operation grundlegende Fragen zu klären, eine Haushaltshilfe zu organisieren, über eine Perücke nachzudenken. "Um die Schockstarre zu überwinden, ist es wichtig, die Dinge in die Hand zu nehmen", sagt auch Gabriele Nelkenstock, die Kerstin Mayer seit der Diagnose begleitet.
Erst nach der Operation wird Mayer bewusst, was passiert ist. "Es ist als sei man in eine neue Zeit gebeamt, tapst umher und versucht sich zu orientieren", erinnert sich die heute 40-Jährige. Die Verarbeitung brauche Zeit. Und einen Plan: "Sobald man das Gefühl hat, ich kann etwas tun, kommt man wieder auf die Beine."
Jeder Betroffene geht anders mit einer Krebserkrankung um
Manchen Patienten hilft das Reden, das Gespräch mit anderen. Mayer nicht. Nur ihr Mann und enge Freunde wissen Bescheid. Die Kinder nicht. "Ich wollte nicht, dass sie das mitbekommen. Sie haben mich auch nie ohne Haare gesehen, ich habe das alles vor ihnen verbergen können." Jeder gehe anders mit einer Krebserkrankung um, bestätigt Gabriele Nelkenstock. Für die, die helfen wollen, sei es wichtig, das zu akzeptieren. Man müsse sich "auf das einlassen, was der Betroffene braucht". Egal ob es Gespräch und Nähe sind oder Distanz und Alltäglichkeit.
Für Kerstin Mayer steht fest: "Ich will das mit mir allein ausmachen und nicht die anderen damit belasten". Sie kämpft sich durch Chemotherapie, Bestrahlung, Reha. Erfolgreich. Der Krebs hat nicht gestreut. "Ich würde sagen, dass es mir heute gut geht und ich ein sehr bewusstes Leben führe".
Sie arbeitet, aber weniger. Sie geht joggen und schwimmen oder spielt Golf. Und sie nimmt sich auch mal kleine Auszeiten, für sich. Natürlich gebe es nach wie vor "dunkle Momente", vor den Nachsorgeterminen habe sie noch immer Angst. An vielen Tagen aber denke sie nicht mehr an den Krebs, sagt die 40-Jährige.
Wöckel: Viel Bewegung kann das Risiko eines Rezidivs bei Brustkrebs senken
Generell seien die Chancen, nach einer vollständigen Behandlung ein Leben ohne Brustkrebs führen zu können, heute sehr gut, sagt Frauenklinik-Leiter Achim Wöckel. Über 80 Prozent der betroffenen Frauen könnten geheilt werden. Und: "Wir wissen, dass viel Bewegung und körperliche Aktivität das Risiko eines Rezidivs bei Brustkrebspatienten senken". Auch präventiv sei ein gesunder Lebensstil sinnvoll: ausgewogene Ernährung, Sport, Verzicht aufs Rauchen. Wichtig sei zudem die Vorsorge, abgestimmt auf das Alter und die genetische Vorbelastung. "Je früher man eine Erkrankung erkennt, desto besser ist die Prognose", sagt Wöckel.
Nicht jedem aber fällt es leicht, vorzusorgen und sich dem Thema zu stellen. "Krebs ist etwas, wovor wir uns alle fürchten – weil wir Bilder davon vor Augen haben, von Menschen ohne Haare, von Patienten, die dahinsiechen", sagt Kerstin Mayer. Mit diesen Ängsten wolle niemand konfrontiert werden, für Betroffene erschwert das die Situation. Einerseits Volkskrankheit, andererseits Tabu. "Viele Menschen leben einfach, als würden sie nie sterben", sagt Mayer. Auch für sie sei der Tod weit weggewesen. Bis zur Diagnose. "Heute weiß ich, das Leben ist endlich." Dadurch lebe sie "akzentuierter", schiebe weniger auf. "Man sagt nicht mehr, irgendwann mache ich das mal – sondern fängt jetzt an."
Am 25. November findet das Brustkrebs-Forum der Würzburger Uni-Frauenklinik statt – angesichts der Corona-Pandemie als Online-Veranstaltung. Im Fokus des Infotages stehen moderne Therapiestrategien und der Umgang mit einer veränderten Körperwahrnehmung. Die Teilnehmer können Fragen an Experten stellen. Anmeldung bis 13. November unter Tel. (0931) 880 79 447 oder info@gn-beratung.de